Efrîn, der
nordwestlichste Zipfel des de facto inexistenten Gouvernements
Aleppo, ist der einzige Teil Nordsyriens, der noch nicht weitflächig
zur Ruine geschliffen worden ist. Unzählige Kurden und vor allem
sunnitische Araber aus der Peripherie von Aleppo sind hierher
geflohen. Efrîn ist auch der westlichste Kanton der Demokratischen
Konföderation Nordsyriens. Die Co-Vorsitzende des Kantons, die
kurdische Alevitin Hêvi Ibrahim, bekräftigt die Befreiung der
Frauen sowie ein angstfreies Leben auch für alle religiösen
Minoritäten als zentrale Grundpfeiler der Konföderation.
Nie
ist irgendeine Aggression von Efrîn ausgegangen. Währenddessen
unterliegt Efrîn seit längerem einem strengen Isolationsregime
seitens der Türkei sowie islamistischer und panturkistischer
Milizionäre. Entlang der türkischen Grenze zum Kanton
verunmöglichen Beton, Stacheldraht, Drohnen und gegossenes Blei die
Versorgung des Kantons mit dem Gröbsten, entlang der innersyrischen
Grenze des Kantons zur Provinz Idlib floriert die
Entführungsindustrie islamistischer Rackets. Nicht von
ungefähr lobte Angela
Merkel unlängst vor ihren europäischen Amtskollegen in Brüssel,
die Türkei erbringe „Herausragendes“ als Prellbock gegen wilde
Migration.
Doch nicht
einzig die Isolierung von Efrîn ist als systematische Aggression zu
werten. Denn anders als für die in Efrîn Lebenden wird
die türkisch-syrische Grenze für die Angehörigen islamistischer
und panturkistischer Todesschwadronen durchlässig gehalten.
Protegiert vom türkischen Souverän schufen Grüne und Graue Wölfe
einen propagandistischen und logistischen Apparat, einen quasi
militärisch-“humanistischen“ Komplex für die islamistischen
Militanten – inklusive Benefizabende, auf denen die Traditionslinie
vom Mentor Osama Bin Ladens, Abdullah Azzam, über das spirituelle
Haupt der Hamas, Ahmed Yasin, bis hin zum kaukasischen Emir Dokka
Umarov gezogen wird. Es ist ein Milieu, in dem der
völkisch-panturkistische Geltungsdrang sich unlängst islamisch
ummantelt hat und so beschriften die Brigaden Grauer Wölfe wie die
Muntasır Billah ihre Artilleriegeschosse mit den Namen nationaler
Idole wie Enver Paşa, jungtürkischer Mitorganisator des Genozids an
den anatolischen Armeniern, oder Muhsin Yazıcıoğlu, Gründer der
„Partei der Großen Einheit“ und Hauptinitiator des
antialevitischen Pogroms von Maraş im Jahr 1978. Der türkische
Nachrichtendienst MİT fungiert hierbei – Can Dündar schrieb
darüber und war folglich gezwungen, die Türkei zu verlassen – als
logistische Guerilla. Und wer sich noch an die ungestört grinsenden
Genozideure des „Islamischen Staat“ erinnert, die vor türkischer
Beflaggung am Grenzübergang Cerablus – Karkamış feixten, wird
wissen, dass die türkische Generosität selbst noch den
blutrünstigsten unter den islamistischen Banden galt.
Alle
vorangegangenen Aggressionen ignorierend spricht das
Auswärtige Amt, diese deutsche Institution der Grabverwaltung,
davon, dass „die Türkei legitime Sicherheitsinteressen entlang
ihrer Grenze zu Syrien“ habe, wo diese doch darin bestehen, die
Grenze für vor allem kurdische Flüchtende zur Todeszone zu machen
und zur Schleuse islamistischer Bluthunde. Wenn der Noske dieser Tage
von „militärischen Konfrontationen“ spricht und
nicht von einem Vernichtungsfeldzug, wie ihn die türkische
Staatsfront ganz offen ausruft,
dann quält sich die Charakterfratze aus dem Auswärtigen Amt nicht
bloß in Äquidistanz. Wie zuvor dem khomeinistischen Iran wird der
türkischen Staatsfront aus Grünen und Grauen Wölfe zu erkennen
gegeben, dass sie mit nichts Weiterem belästigt werden als mit
pseudohumanistischer Affektiertheit. Den vor Versöhnungskitsch
triefenden Empfang von Mevlüt Çavuşoğlu im niedersächsischen
Goslar zu Beginn des Jahres – als in der Türkei bereits tagtäglich
ein vernichtender Schlag gegen die Abtrünnigen in Nordsyrien
angedroht wurde – und das ganz ungenierte Ausplaudern der deutschen
Unternehmung, die türkischen Panzergefährten technologisch
nachzurüsten, kann die türkische Staatsfront nicht anders
verstanden haben denn als Billigung ihrer Aggression. Auch in diesen
Stunden rollen die deutschen Kolosse auf Efrîn zu.
Das Jahr ist
noch jung – und das deutsche Auswärtige Amt ergreift wenige Tage
nach der Niederschlagung der dezidiert antiklerikalen Erhebung im
Iran nun auch gegenüber den säkularen und feministischen Freunden
der Föderation in Nordsyrien Partei für die aggressivsten Feinde
des freien Lebens. Die Protestrufe im Iran waren noch nicht
verstummt, da empfingen Sigmar Gabriel und seine britischen und
französischen Amtskollegen den Gesandten der Islamischen Republik
Iran, Mohammad Javad Zarif, demonstrativ in Brüssel, um sich
kollektiv als Opfer drohender US-amerikanischer Sanktionen zu
gerieren.
Während
die Deutschen „Flexibilität“ als Tugend mit Blick auf die
deutsch-türkische Versöhnung – die Kollaboration hat nie geruht,
einzig an ihrer Fassade wurde grob gekratzt – beschwören, nimmt
die türkische Staatsfront eine totalitäre Gestalt an. „Die Türkei
– ein Herz“, freut sich die laizistische Hürriyet über
abgebildete türkische F-16 und schwarze Rauchschwaden. Die
Islamisierung der Türkei erfolgt über die aggressive Verschmelzung
von Religion mit der nationalchauvinistischen Kontinuität in der
Republik und der Rachsucht an den Abtrünnigen der nationalen
Einheit: Tek millet, tek bayrak, tek vatan, tek devlet („Eine im
Glauben geeinte Nation, eine Flagge, ein Vaterland, ein Staat“). In
dieser Atmosphäre nationalistischer Verrohung gilt als Freiwild, wer
aus dem Millet gläubiger Patrioten exkommuniziert wird. Folglich
wird in Istanbul, Diyarbakır und anderswo jeder antimilitaristische
Protest im Keim erstickt.
Vor seinem Brüllvieh in der Provinz Bursa drohte Recep Tayyip
Erdoğan mit schweren Konsequenzen für jeden, der den kursierenden
Protestaufrufen folgt. In diesen Stunden häufen sich jene, die
verhaftet werden, weil sie auf Twitter und anderswo sich gegen die
Aggression gegenüber Efrîn ausgesprochen haben.
„Jeder,
der gegen die Afrin Operation ist, steht den Terroristen
bei“, so Mevlüt
Çavuşoğlu. In der Türkei gilt seit
einigen Wochen ein Dekret mit Gesetzesrang, mit dem Lynchmord an
„Staatsfeinden“ amnestiert wird. Graue wie Grüne Wölfe rüsten ihr
Rudel seit längerem zum Kampf gegen die Abtrünnigen. Das Diyanet,
das Islam-Amt mit seiner deutschen Filiale DİTİB, instruiert
indessen ihre Imame darin, zum Einmarsch nach Efrîn die
Eroberungssure „Sure-i Feth“ zu verlesen. Der Präsident des
Amtes, Ali Erbaş, bat in der repräsentativen Hacı-Bayram-Moschee
in Ankara um göttlichen Beistand für die türkischen Soldaten.
Dass Vladimir
Putin seine schützenden Hände einzig über Efrîn entfaltet hat, um
dieses dann später den Wölfen zum Fraß vorwerfen zu können, hätte
jeder wissen müssen, der sich nicht über diesen Großmeister der
Rackets täuscht. Dass die Deutschen der türkischen Staatsfront die
Treue halten, dürfte auch nicht überraschen. Wer aber sollte dann
die Verteidigung von Efrîn als ureigenes Interesse verstehen?
Fraglos als erstes die direkt Betroffenen: die religiöse Minorität
der Eziden, die in Efrîn Zuflucht vor ihren islamistischen Häschern
gefunden hat; die säkularen Kurden, die als Abtrünnige gebrandmarkt
werden, wenn sie sich nicht dem neo-osmanischen Geltungsdrang
unterwerfen. Es sollte aber auch im ureigensten Interesse aller sein,
die mit ihrer Kritik an dem herrschenden Führerkult nicht auch noch
das Gröbste an Emanzipation erledigt wissen wollen, wofür die
Föderation Nordsyrien zweifelsohne einsteht: die Befreiung der
Frauen vom traditionellen Joch, die Verteidigung der Menschen in
Absehung ihrer Konfession, der entschlossene Widerstand gegen den
islamistischen Vernichtungsfeldzug.
Während
an der türkischen Grenze zu Efrîn der Mehterhâne, eine
säbelrasselnde osmanische
Militärkapelle, dröhnt, sprechen Angehörige
der türkischen Armee sowie turkmenischer Milizen ganz offen aus,
worin die Stoßrichtung liegt: in der panturanitischen Einverleibung
Nordsyriens.
Lassen wir
Efrîn und seine Verteidiger nicht allein!
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