Dienstag, 15. Dezember 2020

Der göttliche Duft des Schlächters – Flugschrift zum Hamburger Propagandazentrum der khomeinistischen Despotie

 

In der selbstverliebten „Hauptstadt des interreligiösen Dialogs“, wie es im Hamburger Koalitionsvertrag heißt, residiert an der repräsentativen Adresse „Schöne Aussicht“ die nach Eigenaussage kontinentaleuropäische Vertretung der höchsten theologischen Autoritäten des imamitischen Islams. Das entspricht natürlich nicht der ganzen Wahrheit: So repräsentiert das Islamische Zentrum Hamburg nicht etwa das theologische Seminar im irakischen Najaf, neben Qom die ehrwürdigste Hawza der Zwölfer-Schia. Nein, die Residenz an der Schönen Aussicht ist vielmehr die Exklusiv-Vertretung des Staatsislams der khomeinistischen Despotie Irans. Von deren machiavellistischer Personifizierung des Staatsprinzips, dem Wächteramt der islamischen Rechtsgelehrten, im „Obersten Führer der Islamischen Revolution“ distanziert sich die ranghöchste Autorität in der Hierarchie des Najaf-Seminars Ali al-Sistani.


Anders als die konservative Hawza von Najaf, die als „quietistisch“ gilt, forderte der Staatsgründer Ruhollah Khomeini eine totale Geltung des Wächteramts in allen Sphären des Staates. In seiner Hauptschrift, der „Islamische Staat“, sprach Khomeini davon, die theologischen Seminare von den Quietisten zu reinigen und die Moscheen zu Kasernen, die wöchentliche Khutbah-Predigt zum Schlachtruf und die Betenden zu Bataillonen zu machen. Er bekräftigte, dass die Etablierung eines solchen „Islamischen Staates“ Massen an Toten erfordern würde. „Der Islam hat viele Stämme ausgerottet“, so Khomeini, da sie Verderben über die Muslime gebracht und „die Interessen des Islamischen Staates“ beschädigt hätten. Als ewigen Konspirator gegen die islamische Souveränität identifizierte Khomeini die Juden, die „den Koran verfälscht“ hätten und die perfide Intrige eines „jüdischen Weltstaates“ verfolgen würden. Die Schwäche der Muslime gegenüber einer „Handvoll armseliger Juden“ gründe darin, dass Allahs Gesetz nicht in Gänze verwirklicht wurde.


Khomeini polemisierte gegen die zivilisierte Abscheu vieler Iraner gegenüber Körperstrafen wie der Steinigung. Dabei sei es Sinn und Zweck des islamischen Strafrechts, „zu verhindern, dass in einer großen Nation verderbte Sitten um sich greifen“. Es ist alles andere als zufällig, dass die Hauptschrift von Khomeini den Namen einer späteren terroristischen Organisation, wenn auch rivalisierender Konfession, vorgibt.


Die Militarisierung des Klerus und der zentralen Institutionen, für die sich Khomeini ausgesprochen hat, wurde mit der revolutionären Umwälzung des Irans im Jahr 1979 verwirklicht. Seither herrscht im Iran die Despotie einer militaristisch-okkulten Synthese aus revolutionärem Klerus und der „Armee der Wächter der Islamischen Revolution“. Die Gräber der Menschenopfer, die Khomeini beschworen hatte, wurden zum Fundament des „Islamischen Staates“ im Iran. Am 17. August 1979 unterzog sich Khomeini einer eigenartigen Selbstkritik: Weder die Armee der Wächter noch er persönlich hätten die Revolution konsequent zu ihrem Ende geführt. Wenn sie dies getan hätten, so Khomeini, wäre noch jedes widersprechende Wort zum Verstummen gebracht, über jeden Widerspenstigen gerichtet und jede andere Partei als die ihrige, die „Partei Allahs“ (Hezbollah), zerschlagen worden. Von jetzt an, so Khomeini weiter, folgen sie konsequent dem ersten Imam: „Imam Ali zog sein Schwert gegen die Verschwörer. (...) Die Verschwörer sind Ungläubige. Auch die Verschwörer in Kurdistan sind Ungläubige.“ Wenige Tagen später begannen die Khomeinisten mit ihrem Vernichtungsfeldzug gegen die „heidnischen“ Kurden.


Es ist Khomeini, dieser unerbittliche Propagandist des Todes, den das Islamische Zentrum Hamburg zum absoluten Idol macht. Nicht nur, dass das Porträts des Staatsgründers die Innenfassade schmückt, wird an jedem seiner Todestage in den rührseligsten Worte an ihn gedacht: jener Khomeini, der am 14. Februar 1989 eine nach wie vor geltende Todesfatwa gegen Salman Rushdie (und jeden, der an der Publikation der „Satanischen Verse“ beteiligt ist) ausgesprochen hat, sei eine „großartige Quelle der Nachahmung“. „Sein Denken und Wirken“, so das IZH, hätten „einen göttlichen Duft, und die Kraft und Beständigkeit seines Weges und seiner Gedanken entsprangen den gnostischen und spirituellen Dimensionen seines Charakters“. Dieser „göttliche Duft“ liegt vor allem über den Folterhöllen der khomeinistischen Staatsbestie, er liegt über den Gräbern der in Massen verscharrten Hingerichteten. Im Jahr 1988 erließ Khomeini eine Fatwa, in der er befahl, Massen an Inhaftierten, die „auf ihrer zwieträchtigen Meinung beharren“, hinzurichten. „Mitleid mit den Feinden des Islam ist Naivität“, so Khomeini. „Zögern“ hieße, „das reine, unbefleckte Blut der Märtyrer zu ignorieren.“


Der Schlächter Khomeini, so das IZH, sei ein „göttlicher Denker“, ein „großer Exeget des edlen Koran und Wiederbeleber des reinen Islams“. In einer aus Irans Folterhölle Gohardasht durchgedrungenen Solidaritätsadresse an die Ermordeten und Hinterbliebenen des Charlie Hebdo-Massakers im Januar 2015 sprachen Inhaftierte davon, dass der Befehl von Khomeini zur „Ermordung von Salman Rushdie im Herzen von Europa“ das entscheidende Fanal für die totale Entgrenzung der islamistischen Konterrevolution war.


Nach 1979 gingen die Khomeinisten auch in Europa gegen „konterrevolutionäre“ Kritiker rabiat vor. Am 24. April 1982 prügelten in Mainz mehr als hundert Khomeinisten mit Kabelsträngen, Holzlatten und Metallrohren auf iranische Studierende ein, die sich zuvor verdächtig gemacht hätten, Feinde der Revolution zu sein. Augenzeugen sichteten Hadi Ghaffari als Organisator der Prügelrotte. Im Iran gefürchtet als „Machinegun Mullah“ soll Ghaffari den früheren Ministerpräsidenten Amir Abbas Hoveyda persönlich hingerichtet haben. Ganz anders als bei vielen Geflüchteten aus dem Iran erhielt der Kommandeur der iranischen Hezbollah schwerelos ein Einreisevisum. Ghaffari habe, so der DER SPIEGEL, mit deutschen Industriellen die Wiederaufnahme des Iran-Geschäfts besprochen.


Unten den Prügelnden des 24. April 1982 war auch ein Hezbollahi namens Kazem Darabi. Durch Vorsprachen des iranischen Generalkonsuls bei den deutschen Behörden erhielt Darabi auch in der Folge eine Duldung seines Aufenthalts. Selbst das Auswärtige Amt habe sich, auf konsularische Bitte, für ihn verwandt. Nach der Ermordung kurdischer Exil-Oppositioneller der Demokratischen Partei Kurdistans-Iran, die Khomeini als „Partei des Teufels“ denunzierte, im Berliner Restaurant Mykonos am 17. September 1992, wurde Darabi als Organisator der extralegalen Hinrichtung enttarnt. Jahrelang hatte er zuvor als Berliner Repräsentant der Hezbollah fungiert.


Die deutsche Exekutive war peinlichst bemüht, den Khomeini-Staat ganz aus dem Gerichtsprozess gegen Darabi und seine libanesischen Mordkomplizen herauszuhalten. Die immensen Verpflichtungen Irans gegenüber der deutschen Industrie waren großteils mit einer Hermes-Exportkreditversicherung gedeckt. Mit dem Gerichtsprozess wurde eine weitere Demoralisierung des Schuldners befürchtet. Zugleich war der Khomeini-Staat mit über 20 Prozent an der Friedrich Krupp AG beteiligt und spekulierte auf Beteiligungen an maroden ostdeutschen Fabriken.


Nach den Hinrichtungen in Berlin, so sickerte es aus deutschen Polizeibehörden durch, habe das khomeinistische Regime zugesichert, nicht mehr innerhalb deutscher Grenzen zu morden. Generalkonsulate und Moscheen, von denen aus jahrelang die Verfolgung von Regimekritikern bis ins europäische Exil ermöglicht wurde, blieben indes bestehen. Die Residenz an der Schönen Aussicht in Hamburg ist dabei die kulturalistische Fassade einer Despotie, die für ihre Kritiker auch weit außerhalb des Irans lebensbedrohlich ist.


Der Vorsitzende des Islamischen Zentrums in Hamburg, Mohammad Hadi Mofatteh, wurde vom Teheraner „Haus der Führung“ als offizieller Stellvertreter des „Führers der Islamischen Revolution“, Ali Khamenei, nach Hamburg entsandt. Es ist Khamenei höchstpersönlich, der über das Studium an der Hawza an der Schönen Aussicht als „kollektive Pflicht“ spricht. Ayatollah Naser Makarem Shirazi spricht von „einer individuellen Pflicht“. Mit beiden Fatwas wirbt die Hamburger Hawza für sich. Shirazi hat im Jahr 2012 eine Todesfatwa gegen einen „ketzerischen“ iranischen Musiker ausgesprochen.


Das Theologiestudium an der Hamburger Hawza, so wirbt diese für sich, ist durch die al-Mustafa-Universität im iranischen Qom akkreditiert. Die al-Mustafa-Universität expandiert vor allem in Afrika und Südasien, um die Absolventen – in Konkurrenz zu ähnlichen türkischen und saudischen Instituten – zu Kadern und Parteigängern des Khomeini-Staates zu machen. Unter den pakistanischen und afghanischen Absolventen der al-Mustafa-Universität wurde in jüngerer Vergangenheit auch Frontvieh für die syrischen Schlachtgräben geworben. Ali Reza Tavassoli, der in Syrien getötete Kommandant der afghanischen Fatemiyoun Brigade, war Absolvent der Universität, genauso wie viele der Angehörigen der pakistanischen Zainabiyoun Brigade.


Kaum ein Fürsprecher des Hamburger Staatsvertrags mit den Khomeinisten von der Schönen Aussicht, mit dem diese seit 2012 etwa an der Bildungspolitik beteiligt werden, leugnet deren Satellitenfunktion für das Regime im Iran. Das zentrale Argument der Fürsprecher ist, wie etwa jüngst Reiner Scholz von der Heinrich-Böll-Stiftung, dass der Dialog den Gegenüber darin bestärkt, seine Rhetorik abzuschwächen. Sie folgen zwanglos einer Erpressung und verstehen es selbst als interkulturelle Pädagogik: Schenkungen, wie etwa der Staatsvertrag, gegen Kostümpflicht für Khomeinisten.


Dass das Business des „kritischen Dialogs“ für exilierte Regimekritiker keinen Gewinn vorsieht, ist sowieso nicht von Interesse. Als im Januar das IZH den gefallenen „Märtyrer“ Qasem Soleimani, Irans Schattenkommandeur an der syrischen und irakischen Front, gedachte, widersprachen bis zu hundert Exiliraner der Glorifizierung des Warlords. Viele der Protestierenden sind erst vor wenigen Jahren aus dem Iran geflüchtet. Manche von ihnen sind mit ihrem Asylantrag gescheitert und harren jahrelang in Ungewissheit aus, bis ihnen das Verwaltungsgericht doch Recht zuspricht.


In den Folgetagen des Protestes an der Schönen Aussicht brach eine Drohkampagne, vor allem über Telegram, über die Regimekritiker herein. Ihre Namen und Adressen wären bekannt, so die Drohgebärde der Khomeinisten. Man werde die „Huren“ und „Glücksspielsüchtigen“ solange vor deutsche Gerichte bringen, bis der deutsche Staat sie zur Ausreise in den Iran zwingt. In den Drohungen wurde den Regimekritikern auch ein Verbot ausgesprochen, sich in die Nähe der Imam-Ali-Moschee zu begeben. Bei Verstoß gegen den Bann würde man sie mit einem langen Holz vergewaltigen – eine Bestialität, die in Irans Folterhöllen nicht unbekannt ist.


Die 2015 aus dem Iran geflüchtete Jasmin war an dem Protest vor der Moschee an der Schönen Aussicht beteiligt. Im Iran traf sie sich an der Universität mit Kommilitonen zu Lesezirkel verbannter Literatur. Die Schergen des Herasat, Auge und Ohr des Ministeriums für Nachrichtenwesen an den Universitäten, wollten sie zu Anschuldigungen über „konterrevolutionäre“ Familienangehörige im Exil nötigen. Auf ihre Weigerung und einer späteren Zwangsexmatrikulation folgte ein Gerichtsprozess. Vor der drohenden Haftstrafe flüchtete Jasmin mit ihrem Sohn aus dem Iran. Nach dem Protest gegen die Ehrung des Bluthundes Soleimani stieß sie auf einem Instagramkanal namens „Sarbaz“ (Soldat) auf eine Fotografie von sich mit der Beschriftung „Verräterin an der Heimat“. Wenige Tage später erhielt sie die ersten persönlichen Nachrichten, in denen ihr mit einem Abschiebebescheid gedroht wurde.


Während des diesjährigen Ashura, dem rituellen Märtyrergedenken an den Imam Hossein, trafen sich die Regimekritiker erneut zum Protest an der Schönen Aussicht. Auf einem Instagramkanal namens „Shahriar Shariat“ kursierten in der Folge Fotografien der „Feinde der Islamischen Revolution“ mit der Drohung, dass der deutsche Blasphemieparagraf nicht genüge und dass die Protestierenden nach ihrer Abschiebung in den Iran die Todesstrafe erwarten würde. Bei Jasmin häuften sich Benachrichtigungen, in denen auch ihrem Sohn der Tod und ihr gröbste sexuelle Gewalt geschworen wurden. In einer der Drohungen wurde ihr die eigene Adresse mitgeteilt. Ihr wurde seither gehäuft auf der Straße nachgestellt. Imam Mofatteh, der kostümierte Khomeinist für den „interreligiösen Dialog“, spricht indessen von der „Entweihung des Heiligsten, nämlich der Persönlichkeit des Propheten Mohammad und seiner geheiligten Nachkommen“ durch die Regimekritiker. Er habe der Polizei und den Behörden mitgeteilt, dass bei den nächsten Provokationen eine Deeskalation ihrerseits nicht garantiert werden kann.


Während Imam Mofatteh sich und seinesgleichen als verfolgte Unschuld geriert, mordet sich anderswo die khomeinistische Bestie durch die Reihen der Regimekritiker. Am 10. Dezember wurde Arsalan Rezaei, ein junger Atheist, in der Türkei ermordet. Sein Tod wurde zuvor auf dem offiziellen Telegramkanal der Armee der Wächter angedroht: „Abtrünnige werden erhalten, was ihnen würdig ist“. Am 12. Dezember hat die khomeinistische Despotie Ruhollah Zam hingerichtet. Der Mitbegründer des Telegramkanals Amad News, Ende 2017 Massenmedium der tagelangen Straßenproteste im Iran, wurde von seinem Vater, ein staatsloyaler Mullah, nach Ruhollah Khomeini benannt. Ruhollah Zam nannte sich später selbst Nima und lebte nach seiner ersten Inhaftierung im französischen Exil – wie die anderen exilierten Begründer von Amad News unter ständigem Polizeischutz. Er wurde bei einer Reise in den Irak von Regimeschergen überrumpelt und in den Iran zwangsverbracht. Von der Kommandohöhe der Revolutionswächter hieß es, dass sie Ruhollah Zam im französischen Exil überwacht hätten.

Samstag, 5. Dezember 2020

Flugschrift zum Tod von Mohsen Fakhrizadeh

 

Wir sind sehr beunruhigt“, äußerte sich vor wenigen Tagen das Auswärtige Amt mit Blick auf den Iran. Nicht doch etwa „beunruhigt“ angesichts der drohenden Hinrichtung von Ahmad Reza Djalali?


Der schwedisch-iranische Katastrophenmediziner war im Jahr 2016 als Gast iranischer Universitäten in den Iran gereist, wo er kurzerhand unter der Ausflucht der Spionage verhaftet wurde. Ein Teheraner Revolutionsgericht sprach ihn 2017 schuldig, „Korruption auf Erden“ begangen zu haben, was im Iran die Todesstrafe zur Folge hat. Mit Mofsed-e-filarz, „Korruption auf Erden“, wird im Iran die Verschwörung gegen „Allahs Ordnung für die Menschheit“, also gegen die „Islamische Republik“, denunziert. Der Mediziner habe sich schuldig gemacht, Informationen über die nukleare Ermächtigung der khomeinistischen Despotie an Israel geteilt zu haben. Die letzten Benachrichtigungen, die seine Ehefrau erhielt, bekräftigten die Befürchtung, dass die Ausführung der Todesstrafe einzig noch eine Frage von Tagen ist.


Nein, „beunruhigt“ ist das Auswärtige Amt vielmehr angesichts der Tötung von Mohsen Fakhrizadeh am 27. November östlich von Teheran. Der Brigadegeneral der „Armee der Wächter der Islamischen Revolution“ und Professor für Physik galt bis zu seinem Tode als Genius der nuklearen Potenzierung der khomeinistischen Staatsbestie. Während der Europäische Auswärtige Dienst von der Tötung als „kriminellen Akt“ spricht, kondoliert mit Josep Borrell der ranghöchste Amtsträger der Europäischen Union für Auswärtiges der Familie des Revolutionsgardisten.


Es ist derselbe Josep Borrell, dem bei seiner Reminiszenz an 40 Jahre „Islamischer Revolution“ als erstes ein Anstieg der Alphabetisierungsrate und der relativ hohe Anteil an Frauen unter Irans Universitätsabsolventen einfiel – ganz so als wäre dies ein honoriger Verdienst jenes misogynen Regimes, das den Frauen die Verschleierung aufgezwungen hat, dessen Tugendwächter mit Glasscherben und Säure „widerständige“ Frauen abstrafen und in dessen Folterhöllen „konterrevolutionären“ Frauen systematisch gröbste sexuelle Gewalt angetan wird. Und es ist derselbe Josep Borrell, der angesichts des zum Staatszweck erklärten Willens der Khomeinisten, den jüdischen Staat zu vernichten, äußerte: „Damit muss man leben“.


Die europäische Reaktion in diesen Tagen ähnelt der auf die Tötung von Qasem Soleimani. Als Kommandeur der Qods-Brigade der Revolutionsgarden war dieser die charismatische Fratze der Gewaltarchitektur der khomeinistischen Infiltration des Iraks sowie Syriens. Das Gros deutscher Expertise bestand darin, dass die Tötung dieses projizierten „Volkshelden“ zu einer massenhaften anti-US-amerikanischen Fraternisierung unter den Iranern führen wird. Tage später brachen in Teheran und anderswo im Iran Massenproteste gegen die „versehentliche“ Tötung von 176 Flugpassagieren durch eine russische FlaRak der Revolutionsgarden aus. Durch die Straßen schallten vor allem Slogans, in denen die Revolutionsgarde, die Sepah, als zentrales Staatsracket ausgemacht wird. Entgegen der Lüge, Soleimani und die Shia-Milizen hätten den Iran vor dem „Islamischen Staat“ bewahrt, wurde die „Islamische Republik“ selbst als Komplementär zum (Pseudo-)Kalifat erkannt: „Basij, Sepah, ihr seid unsere Variante vom Daʿish“. Die Basij sind die Lumpenmiliz der Revolutionsgarde, Daʿish das arabische Akronym vom nunmehr staatenlosen Islamischen Staat. Explizit wurde ein Ende der Shia-Variante des „Islamischen Staates“ – so eine berüchtigte Schrift von Ruhollah Khomeini, die in seinen Vorlesungen im irakischen Exil gründet – gefordert: „Islamische Republik – wir wollen keine, wir wollen keine“.


Es überrascht kaum, dass in einem Großteil des deutschen Zeitungswesens die Tötung von Mohsen Fakhrizadeh, diesem Bluthund der nuklearen Ermächtigung eines terroristischen Regimes, ein Mord genannt wird, also ganz so als wäre die Tat aus Mordlust oder einem anderen niederen Beweggrund begangen worden (denn das ist die strafrechtliche Definition von Mord). Im antimilitaristischen Sinne kann die Tötung von Fakhrizadeh indes nur zu begrüßen sein. Israel hat sich nie darüber ausgeschwiegen, dass es ein nuklear potenziertes Regimes, das die Ausrottung des jüdischen Staates tagtäglich beschwört, nicht demütig erdulden kann. Genauso wenig kann Israel in ein Übereinkommen zwischen dem khomeinistischen Iran und den P5+1-Staaten vertrauen, das tatsächlich einer Erpressung entspricht: die Reintegration des Regimes auf den internationalen Waren- und Kapitalmärkten gegen eine Teilkontrolle der eigenen Nuklearisierung. Präzise Tötungen der Schlüsselfiguren im Staatsapparat und Sabotage etwa der Zentrifugenproduktion sind Instrumente, die khomeinistische Despotie zu schwächen, ohne den Iran selbst zum Schlachtfeld zu machen.


Während Josep Borrell und andere Europäer noch um die Bluthunde der khomeinistischen Despotie trauern, macht diese im Irak eine aggressive Militarisierung des Gemeinwesens zu ihrem täglichen Business. Iranische Offiziere aus der Revolutionsgarde berufen irakische Männer ihres Vertrauens, eine eigene Miliz aufzumachen. Das Frontvieh, angeworben aus der Masse jugendlicher Arbeitsloser in den Slums Baghdads und vor allem des Südiraks, bekommt keinen der iranischen Offiziere zu sehen. Nach außen dienen die Milizen allein dem nationalen Interesse und der überparteilichen Partei des Imams Ali.


Auch die Finanzierung der Milizen erfolgt über Emissäre des khomeinistischen Irans, wenn auch nicht mit eigenem Kapital. Das irakische Ministerium für Inneres mit einem generösen Budget wurde noch unter den Augen der US-Amerikaner vom Badr Korps, einem khomeinistischen Satellitenstaat im Staat, infiltriert. Auch andere Milizen wie die Hezbollah al-Nujaba, „Allahs Partei der Edelgesinnten“, und Asa'ib Ahl al-Haq, die „Liga der Gerechten“, haben sich tief in den Staatsapparat hineingegraben. Die Parteien der politischen Shia haben zudem das irakische Energieministerium unter sich aufgeteilt. Immense Summen aus ministeriellen Budgets versickern so in der Korruptionsgrube, aus der das Unwesen der Milizen finanziert wird. Dies ist die politische Ökonomie der Rackets.


In den vergangenen Tagen terrorisierte eine dieser Milizen, die Rab' Allah, „Gottes Volk“, Frauen, die „unmoralische“ Arbeit wie Massagedienste tätigen, und die zumeist christlichen Inhaber von Alkoholausschänken. In den Vorwochen rief dieselbe Miliz zu Protesten gegen den französischen Staatspräsidenten und vor der saudischen Repräsentanz in Baghdad auf, nachdem der mit dem Iran rivalisierende Saud-Staat eine Investitionskampagne für den Irak versprochen hatte. Die Miliz brandschatzte auch den Hauptstadtsitz der Demokratischen Partei Kurdistans, nachdem einer ihrer Politiker eine Verbannung der Milizen aus der Grünen Zone gefordert hatte.


In den Fokus dieser Milizen sind aber vor allem die jungen Sozialrevolutionäre in Baghdad, Nasiriyah und anderswo im Irak geraten. Manche von ihnen sind gezwungen, für Tage oder Wochen in den Nordirak zu flüchten, wenn Name und Adresse zu den Todesschwadronen durchgedrungen sind. Es vergeht kaum ein Tag, wo nicht einer von ihnen irgendwo tot aufgefunden wird. An Hochtagen der Proteste gegen den Staat der Rackets hat das Vorgehen der Milizen vielmehr Massakern geähnelt.



Baghdad, zwischen Januar-März 2020, alle Fotografien: Ziyad Matti

Seit nunmehr über einem Jahr fordern junge Iraker ein Ende der Despotie rivalisierender Milizen. Sie sprechen sich explizit gegen die vom khomeinistischen Regime verfolgte Infiltration des Iraks und die Militarisierung des Gemeinwesens aus sowie gegen die Beuteökonomie sektiererischer Klüngel. Junge unverschleierte Frauen, die ein herausragender Teil der Proteste sind, erzählen, dass sie sich im Irak nie zuvor so lebendig und frei von sexualisierter und tugendterroristischer Verfolgung fühlten wie auf dem revolutionären Midan at-Tahrir in Baghdad. Auf dem Weg nach Hause dagegen droht ihnen ein Auflauern durch ihre militanten Feinde.





Es war im vergangenen Jahr der hochrangigen Funktionärin der „Vereinten Nationen“, Jeanine Antoinette Hennis-Plasschaer, übertragen, den europäischen Weg vorzugeben. Sie äußerte über Twitter ihre Sorge, dass die irakische Ökonomie unter den andauernden Protesten Schaden nehmen könnte.




In der deutschen Journaille finden sich, anders als über den General Soleimani, kaum ausführliche Erzählungen von den irakischen Sozialrevolutionären, geschweige denn Analysen von Wert. Der Name des jungen Poeten Safaa etwa, dem während der ersten Protesttage in Baghdad durch eine Reizgasgranate das Leben genommen wurde, findet sich in keiner einzigen deutschsprachigen Reportage aus dem Irak. Sein Antlitz prägt die Fassaden des revolutionären Midan at-Tahrir, sein Porträt ist auf den Protestmärschen omnipräsent.





Es ist einer der verheerendsten Fehler, dass die „Oktoberrevolution“, wie die Proteste von den Irakern selbst genannt werden, nahezu gänzlich ignoriert wird. Doch der Emanzipationsprozess vor allem auch jener jungen Arbeitslosen aus den schiitischen Slums zwischen Baghdad und Basra, auf die auch das Rekrutierungswesen der Milizen schielt, interessiert in Tagen nicht, an denen die Destabilisierung der khomeinistischen Despotie zugleich als eine Bedrohung für die höchst eigenen Interessen gesehen wird.