Am frühen
Morgen des 8. Septembers wurden die zuvor monatelang hinausgezögerten
Hinrichtungen von Ramin Hossein Panahi sowie der beiden Cousins
Zanyar und Loghman Moradi ausgeführt. Am Vortag der Morde
demonstrierte in Teheran ein Männerbund aus Hassan Rouhani (in
Stellvertretung von Ali Khamenei), Recep Tayyip Erdoğan und Vladimir
Putin, dass einzig sie in Syrien und darüber hinaus zwischen Leben
und Tod zu entscheiden haben. Simultan zu den Hinrichtungen
bombardierte die iranische „Armee der Wächter der Islamischen
Revolution“ das nordirakische Koya, wo viele kurdische Geflüchtete
aus dem Iran leben. In Koya – zwischen Erbil und Sulaymaniyah
liegend – hat die oppositionelle Demokratische Partei
Kurdistans-Iran (PDK-I), deren Parteiführungen im Exil von den
khomeinistischen Schergen bis nach Berlin und Wien verfolgt und
gemeuchelt wurden, ihre Basis.
Das türkische
Militär macht es der Islamischen Republik Iran seit Monaten vor. Am
15. August bombardierte es einen Konvoi, der eine Gedenkzeremonie in
Koço, ein ezidisches Dorf südlich des Sinjar-Gebirges, verließ und
ermordete dabei den ezidischen Politiker Ismail „Mam Zekî“ Özden
und Angehörige einer ezidischen Selbstverteidigungseinheit. An jenem
Tag jährte sich das Massaker von Koço. Etwa sechshundert ezidische
Männer ermordete der Islamische Staat am 15. August 2014; über
tausend Kinder und Frauen wurden aus dem Dorf entführt und in die
Sklaverei gezwungen*. Die am 15. August 2018 Ermordeten haben um sie
getrauert. „Mam Zekî“, einer der Organisatoren des
Fluchtkorridors der vom Islamischen Staat Gehetzten und Parteigänger
Abdullah Öcalans, wurde vom türkischen Boulevard als Trophäe
präsentiert.
Die
Islamische Republik Iran und die neo-osmanische Türkei teilen nicht
einzig den aggressiven Geltungsdrang jenseits der eigenen
Staatsgrenzen und die ökonomische Krise, die beide vollends erfasst
und den Wert ihrer Währungen in den Abgrund gerissen hat. Es scheint
ganz so, dass umso krisenhafter die Verfasstheit und aggressiver die
Krisenexorzierung beider Regime ist, desto inbrünstiger beschwört
die deutsche Politik wie ein irrer Selbstläufer die geteilten
Interessen mit beiden.
Es ist nicht
einzig das Aasgeiern auf ein gesteigertes Auftragsvolumen für die
heimische Industrie, welches die Kumpanei anreizt. Der deutsche Blick
auf die Katastrophen, die jenseits des europäischen Toten Meeres
Trümmer auf Trümmer häufen, ist der des Friedhofsverwalters mit
sozial- oder christdemokratischer Parteierziehung zur
Charakterlosigkeit. Seit die auf Vertragspapier zur Geltung gebrachte
iranische Erpressung – Reduzierung der Urananreicherung gegen
Business als Finanzierungsgarantie für die khomeinistische
Aggression in Syrien, dem Irak und anderswo – von den
US-Amerikanern nicht mehr mitgetragen wird, beschwört man in Europa
einen „historischen Fehler“. Während im Iran bei
Straßenprotesten das Ende der Islamischen Republik eingefordert
wird, erhebt Heiko Maas den „Erhalt der Zahlungskanäle“ zur
„Priorität“ des europäischen Krisenmanagements. Für die
Islamische Republik Iran kreierten Deutsche, Franzosen und Briten nun
ein eigenes Zahlungssystem, das das Business mit den khomeinistischen
Schlächtern über ein Clearinghaus jenseits der internationalen
Finanzmärkte ermöglichen soll. Dieser Vorstoß sei, so die
beteiligten Minister, ein „Akt europäischer Souveränität“.
Freiheit für
Roya Saghiri – im Iran inhaftiert, weil sie gegen den Zwangshijab
protestierte
Während die
europäischen Kumpanen die Eskalation der Krise als drohende Folge
einer „Isolierung des Irans“ (Auswärtige Amt) umlügen und somit
systematisch über den eliminatorischen wie auch
selbstzerstörerischen Charakter der khomeinistischen Despotie
täuschen, machen sich die Streikenden in der Stahlindustrie von
Ahvaz, die Protestierenden gegen die grassierende Korruption in
Kazerun und gegen das Niederbrennen der Wälder in Marivan keine
Illusionen, dass die Islamische Republik selbst die Krise ist**. Die
europäische Politik gegenüber dem Iran ist längst nicht nur
Beschwichtigung. Sie ist die offene Flanke für einen angeschlagenen
Tyrannen und die unmissverständliche Feinderklärung an einen
säkularen Iran.
Und nicht nur
im Iran ergreift dieses deutsche Europa Partei für die aggressivsten
Feinde des freien Lebens und gegen die allein gelassenen Säkularen.
Als die türkische Armee Seite an Seite mit ihren islamistischen
Frontkämpfern in das syrisch-kurdische Afrin einmarschierte,
täuschte das Auswärtige Amt über die „legitimen
Sicherheitsinteressen (der Türkei) entlang ihrer Grenze zu Syrien“,
kokettierte es schamlos mit dem eigenen Unwissen angesichts der
„fluiden Lage“ und offerierte es den türkischen Aggressoren die
technologische Nachrüstung ihrer Panzergefährte. Anders als in
Idlib verunmöglichten in Afrin Beton, Stacheldraht, Drohnen und
gegossenes Blei, dass weitere Massen an in die Flucht Gezwungenen
nach Europa aufbrachen. Mehrere hunderte Geflüchtete ermordete die
türkische Armee in den vergangenen Jahren entlang der Grenze zu
Syrien. Exakt dies muss Angela Merkel gemeint haben als sie lobte,
die Türkei erbringe „Herausragendes“ als Prellbock weiterer
wilder Migration.
Die Türkei
wälzte das säkulare Afrin zu einem Pseudo-Emirat um, in dem einzig
die Entführungsindustrie und die Produktion von Snuff-Filmen
floriert und islamistische Warlords als Pseudo-Emire um die Beute
rivalisieren. Die ezidischen Gemeinden in Afrin sind verwaist. Auf
der Straße herrscht für Frauen die Zwangsverschleierung, wo zuvor
die Befreiung der Frauen als einer der zentralen Grundpfeiler des
föderalen Gemeinwesens ausgerufen wurde. Während die Türkei den
Nordwesten Syriens unter ihr Diktat zwingt, werden syrische Kurden
aus Afrin vor türkische Gerichte gezerrt und der „Zerstörung der
Einheit des türkischen Staates“ beschuldigt. Doch anders als die
„Causa Özil“, die zur Sinnkrise deutscher Integrationspolitik
wurde, provozierten die Bilder deutscher Panzergefährten mit
türkischer Besatzung, die mit Wolfsgruß und Seite an Seite mit
islamistischen Mordbrennern in Afrin einrollten, keine deutschen
Befindlichkeiten.
Es ist nicht
zufällig, dass Heiko Maas vor und nach seiner jüngsten Amtsreise in
die Türkei seine Besorgtheit um das deutsche Ansehen außerhalb der
eigenen Staatsgrenzen äußerte – ganz so als wenn die „Schande
von Chemnitz“, also die spontane wie organisierte Anrottung der
grölenden Klasse, zuallererst eine Bedrohung für die deutschen
Exportüberschüsse sei und nicht für die dort lebenden
Geflüchteten***. Gerade in der Kumpanei mit den orientalischen
Despoten wähnen sich die Deutschen als moralisch integer, als
„ehrlicher Makler“, der die Grabesruhe achtet, während die
US-amerikanische Konkurrenz immerzu auf Krawall gebürstet ist.
Auch der
Vorgänger von Heiko Maas im Auswärtigen Amt wusste angesichts des
migrantenfeindlichen Straßenkrawalls im sächsischen Heidenau, die
Deutschen als die Geschädigten auszumachen. Die Identifikation der
nationalsozialistischen Rotte als die „eigentlichen Undeutschen“
(S. Gabriel) muss weiterhin auch als Drohung verstanden werden. Der
staatsoffizielle Antiextremismus ist die moralinsaure Fassade der
Kumpanei mit der organisierten Barbarei anderswo, ganz so wie der
Ausspruch von Heiko Maas, „Ich bin wegen Auschwitz in die Politik
gegangen“, dem perfiden Initiationsritual zu einem Auswärtigen Amt
ähnelt, das den Erhalt einer Despotie, deren heiligster Staatszweck
die Annihilation Israels ist, sowie das geteilte „strategische
Interesse“ mit dem islamomafiotischen Regime Erdoğans zum
schicksalshaften Auftrag deutsch-europäischer Friedenspolitik macht.
Die Deutschen
wären aber keine Deutschen mehr, wenn sie nicht ihre Lügen selbst
glauben würden. Der Staatsempfang Recep Tayyip Erdoğans wird als
Sachzwang zelebriert, denn wir bräuchten „offene Worte“ und „den
Dialog mehr denn je“ (A. Özoğuz). In „angespannter Atmosphäre“
und mit „ernster Miene“ wird den Märkten als auch den durch die
ökonomische Krise verunsicherten türkischen Parteigängern Erdoğans
versichert: Unter keinen Umständen werden wir unseren partner in
crime fallen lassen; das einzige, was von uns droht, ist das Sudeln
der Kollaborateure in Selbstmitleid. Und so wird in den nächsten
Tagen ein wenig über „vertane Chancen“ (der langjährige Kölner
Stadtvater F. Schramma) bei der Einweihung der Zentralmoschee
gejammert, als wäre diese von der DİTİB ursprünglich für „einen
Dialog mit Andersgläubigen“ konzipiert und nicht für die
Vereinnahmung der Gläubigen ganz im Sinne von Tugendhaftigkeit und
ewigem Türkentum.
Keinen
Zweifel dagegen lässt man an dem geteilten „strategischen
Interessen“ (A. Merkel) mit der Türkei und den deutschen
Investitionen. Anders als im Iran wird in der Türkei nach wie vor
gebaut und gebaut. Und gestorben. Mitfinanziert von europäischen
Finanzinstituten. Um die 400 Tote forderte allein die Realisierung
des dritten Flughafens Istanbuls. Die Organisierung der Proletarier
ist gebrochen. Jüngst zerschlugen Polizei und der milizähnliche
Sicherheitsdienst des Flughafenkonsortiums Proteste gegen die
elendigen Zustände gnadenlos nieder. In der ehrwürdigen FAZ
forderte Erdoğan indessen in einem „Gastbeitrag“ einen
„Schulterschluss“ der „verantwortungsbewussten Staaten“ für
ökonomische Rationalität und gegen die egozentrische
Schutzzollpolitik der US-Amerikaner, während er sein eigenes
Brüllvieh antisemitisch agitiert und die türkische Ökonomie in
Territorien mit ihm assoziierter Gangster aufteilt.
* Eine der
größten Massenfluchten der vergangenen Jahre war die der Eziden aus
dem Irak im Angesicht des genozidalen Vorstoßes des Islamischen
Staats im Sinjar-Gebirge. Nicht wenige von ihnen wird von bayrischen
Gerichten selbst kein subsidiärer Schutz gemäß § 4 AsylG
zugestanden, da die „Verfolgungsdichte“ im kurdischen Nordirak zu
gering sei. In griechischen Slums harren indessen überproportional
viele Eziden aus. Auch die Verfolgungsintensität von kurdischen
Geflüchteten aus dem Iran wird systematisch niedrig bewertet.
Jahrelang werden sie gegängelt von der Residenzpflicht und anderen
behördlichen Schikanen. Die überwältigende Mehrheit von ihnen sind
junge Menschen, denen die islamische Tugenddiktatur verhasst ist.
** Selbst die
jüngste Brot- und Wasserrevolte im südirakischen Basra war vor
allem auch eine gegen die grassierende Korruption und die
katastrophale Infiltrierung des Iraks durch den khomeinistischen Iran
mit seinem Unwesen der Milizen. Dass im schiitischen Basra die
Repräsentanzen der Islamischen Republik Iran sowie loyaler Milizen
und Parteien niedergebrannt wurden, bestärkt den Eindruck, dass
einzig noch in Berlin, Paris und London sowie im syrischen
Präsidentenpalast von Bashar al-Assad der khomeinistische Iran als
Stabilitätsanker gilt.
*** Auch
unter Freunden der Ideologiekritik geistert der Mythos herum, dass es
das Appeasement mit dem Islam ist, das so manche Deutsche aus Protest
gegen die angestammten Parteien zur völkischen Alternative –
Alexander Gauland: „Wir haben kein Interesse daran, Menschheit zu
werden. Wir wollen Deutsche bleiben.“ – treibt. Bei aller
Einfühlung in die grölende Klasse überhört man doch, was diese in
Chemnitz und anderswo selbst äußert: Es ist nicht das islamische
Patriarchat oder etwas anderes ihnen Fremdartiges, das den Hass der
„Absauf“-Deutschen provoziert. Sie denunzieren die Geflüchteten
als die unerwünschten Rivalen um die Zuneigung des Souveräns. Ihre
Enttäuschung über den Staat – ganz so wie bei der abtrünnigen
Geliebten („Merkel, du Fotze“) – besteht darin, dass sie ihn
mit den Geflüchteten teilen müssen. Sie fordern, als Kurtisanen des
'verborgenen Staates', dass die Liebe der Mutter allein ihnen gilt –
und mag die einzige amouröse Geste des Souveräns darin bestehen,
dass dieser ihnen vorführt, dass es anderen noch elendiger ergeht.
Es war hemmungslose Neidbeißerei, die sich in Chemnitz Bahn brach,
und nicht eine irgendwie „verkürzte“ Islamkritik und die Trauer
um das Leben eines jungen Menschen. Die „Islamkritik“ der
völkischen Alternative endet – in der geopolitischen Reproduktion
– bei dem Mufti von Damaskus, dem theologischen Schergen Bashar
al-Assads, oder mit Vladimir Putin bei Ramzan Kadyrov.