Donnerstag, 18. Dezember 2014

Free Saman


Der Islamische Staat Iran droht mit der Hinrichtung von zehn Gefangenen als Vergeltung für den Hungerstreik von 27 politisch Inhaftierten in Urmiye (Rojhelat/Iranisch-Kurdistan). Saman Naseem ist einer von ihnen. Er wurde am 17. Juli 2011 als 17jähriger inhaftiert. Die Folterschergen des Regimes rissen ihm Finger und Fußnägel heraus. Unter Folter gestand er eine Beteiligung an einer militanten Aktion gegen die Pasdaran mit Todesfolge. Im Januar 2012 wurde er von einem Revolutionsgericht in Mahabad für schuldig befunden, "feindselig gegenüber Gott" (moharebeh) zu sein. 



Solidarität mit den verfolgten Eziden


Die Eziden, die seit Jahrhunderten der Hass der Herrschenden trifft, sind nun mit einem noch gnadenloseren Feind konfrontiert. Nachdem der “Islamische Staat” am 3. August Şengal im Nordirak attackierte und weitflächig einnahm, ergriffen die dort Lebenden zu Tausenden die Flucht. “Wir versklaven, verkaufen und teilen ezidische Frauen und Kinder unter uns auf“, heißt es in “Dabiq”, einem Fanzine des „Islamischen Staates“. Anders als Christen, die Tod und Versklavung durch eine Zwangszahlung entfliehen können, seien Eziden “absolute Ungläubige” und fielen somit als ”Beute” an den “Islamischen Staat”. Weit über 3.000 junge Mädchen und Frauen wurden seit den Attacken auf Şengal, wo ein Großteil der Eziden Iraks leben, verschleppt. Diese Sklavenökonomie ist eine weitere perfide Form der genozidal verfolgten Ausrottung der als “absolut Ungläubige” verunglimpften Eziden. Jene, die den Mördern des “Islamischen Staates” und somit dem Tod durchs Halsabschneiderkommando entkommen sind, sind zu Hunderttausenden nach Irakisch-Kurdistan geflüchtet. Nach aktuellen Zahlen der Regionalregierung Irakisch-Kurdistans sind es mehr als 300.000 ezidische Geflüchtete, allein 263.000 von ihnen befinden sich in Duhok, 40.000 in Hewlêr (Erbil) und Silêmanî. Sie sind untergekommen in feuchten Rohbauten, in Straßengräben oder den Hinterhöfen der Altansässigen. Lang anhaltende Regenfälle unterspülen die Planen, zu denen es vielen Geflüchteten einzig langt. Der genozidalen Aggression des “Islamischen Staates” nur knapp entkommen, droht ihnen nun mit dem angebrochenen Winter die Kälte mit dem Tod.

Bis zu 10.000 Eziden harren weiter im Şengal-Gebirge aus, eingeschlossen vom “Islamischen Staat”. In Şerfedîn, wo ein den Eziden heiliger Schrein liegt, verhindern selbstorganisierte Selbstverteidigungsbrigaden das Eindringen des “Islamischen Staates” in das Gebirge mit dem Gröbsten. Auch ihnen fehlt es allem.* Etwa 1.4 Millionen Geflüchtete harren im Moment in Irakisch-Kurdistan aus, zehntausende Christen aus Mosul und Nineveh sowie mehr als 200.000 Geflüchtete vor der syrischen Katastrophe. Währenddessen rationalisieren die “Vereinten Nationen” ihren Betrieb. Allein ihr Ernährungsprogramm für Geflüchtete und Eingeschlossene innerhalb Syriens wurde um 40 Prozent minimiert. Da zugesagte Zahlungen ausbleiben, ist das UN World Food Programme (WFP) gezwungen, seinen Beistand für 1,7 Millionen syrische Binnengeflüchtete einzufrieren.

Unter Deutschen wird indessen die existierende Humanität mit derKontroverse ausgereizt, wer und wohin im Winter abgeschoben werden darf. Joachim Hermann, eine christsoziale Charaktermaske in Ministerwürden, sieht in den aus Serbien flüchtenden Roma das Gegenteil zu den Geflüchteten aus der syrischen Hölle. Der Unterschied, auf den Hermann beharrt, gründet nicht in dem Wissen, dass die Menschen in Haleb oder Raqqa genozidal bedroht sind. Der Unterschied, auf den es Hermann ankommt, liegt allein darin, dass weder die Militarisierung der europäischen Außengrenzen noch die Gewalt der ersten Natur, die in der Geografie lauernden Risiken, bei den Roma, deren Slums und provisorischen Behausungen in Serbien und Mazedonien denen der Geflüchteten in Duhok und Zaxo nicht unähnlich sind, zu zuschlagen vermögen. Zwischen Haleb und Bayern liegen zunächst Tonnen von Fassbomben Assads und die islamistischen Ganglands von Jabhat al-Nusra, Ahrar al-Sham und Da'ish und - für jene, die diesen Aggressoren entkommen sind - die riskantesten Routen, zu denen die Europäer die Geflüchteten zwingen. Über 3420 tote Flüchtlinge forderten im Jahr 2014 allein die Tücken des Meeres. Und selbst dort, wo die Gewalt der ersten Natur am gnadenlosesten zuschlägt, droht den Geflüchteten noch die Repression der zweiten Natur: „Pro Asyl“ dokumentiert systematische "Push Backs" an der griechisch-türkischen Front des europäischen Migrationsregimes. Maskierte Spezialkommandos inhaftieren Geflüchtete ohne jegliche Registrierung auf griechischem Territorium, um sie anschließend in die Türkei abzuschieben. Geflüchtete, die sich zur riskanten Überquerung des Meeres entschlossen haben, werden, sobald sie aufgegriffen werden, systematisch in türkische Territorialgewässer bugsiert, die Motoren ihrer schwimmenden Nussschalen sabotiert. Nahezu alle von „Pro Asyl“ dokumentierten "Push Backs" geschahen im Operationsgebiet der europäischen Frontex-Mission "Poseidon Land and Sea".

Der Irak - mit Ausnahme Südkurdistans, wo sich inzwischen 1,4 Millionen Flüchtlinge aufstauen - droht mit den Attacken des "Islamischen Staates" auf Mosul und die Nineveh Ebene seine letzten Christen und Yeziden zu verlieren.** In Hamburg wurde unter Beteiligung des Autors dieses Blogs eine Kampagne der Solidaritätsinitiative für Şengal (Însîyatîva pishtgirîya bo Shingalê) und Roja Sor e.V. initiiert, mit der zu konkreter Solidarität mit den geflüchteten Eziden aufgerufen wird. Die Kampagne konzentriert sich darauf, das Gröbste zu organisieren, damit die Geflüchteten in Duhok und anderswo den Winter überstehen. Alles weitere (wie Kontodaten) ist dem Flyer der Initiative zu entnehmen (Seite 12). Ich bitte eindringlich um Interesse und Großzügigkeit (eMail: hh.soli.shengal@gmail.com).

*Am 18. Dezember brachen die ersten Peshmerga zu den ezidischen Selbstverteidigungsbrigaden durch. Durch den hierdurch eröffneten Korridor naht die Evakuierung der ins Gebirge Geflüchteten.  **“The Last Plight" von Suzan Younan & Sargon Rouel ist eine eindringliche Dokumentation dieser Katastrophe.