Die
Eziden, die seit Jahrhunderten der Hass der Herrschenden trifft, sind
nun mit einem noch gnadenloseren Feind konfrontiert. Nachdem der
“Islamische Staat” am 3. August Şengal im Nordirak attackierte
und weitflächig einnahm, ergriffen die dort Lebenden zu Tausenden
die Flucht. “Wir versklaven, verkaufen und teilen ezidische Frauen
und Kinder unter uns auf“, heißt es in “Dabiq”, einem Fanzine
des „Islamischen Staates“. Anders als Christen, die Tod und
Versklavung durch eine Zwangszahlung entfliehen können, seien Eziden
“absolute Ungläubige” und fielen somit als ”Beute” an den
“Islamischen Staat”. Weit über 3.000 junge Mädchen und Frauen
wurden seit den Attacken auf Şengal, wo ein Großteil der Eziden
Iraks leben, verschleppt. Diese Sklavenökonomie ist eine weitere
perfide Form der genozidal verfolgten Ausrottung der als “absolut
Ungläubige” verunglimpften Eziden. Jene, die den Mördern des
“Islamischen Staates” und somit dem Tod durchs
Halsabschneiderkommando entkommen sind, sind zu Hunderttausenden nach
Irakisch-Kurdistan geflüchtet. Nach aktuellen
Zahlen der
Regionalregierung Irakisch-Kurdistans sind es mehr als 300.000
ezidische Geflüchtete, allein 263.000 von ihnen befinden sich in
Duhok, 40.000 in Hewlêr (Erbil) und Silêmanî. Sie sind
untergekommen in feuchten Rohbauten, in Straßengräben oder den
Hinterhöfen der Altansässigen. Lang anhaltende Regenfälle
unterspülen die Planen, zu denen es vielen Geflüchteten einzig
langt. Der genozidalen Aggression des “Islamischen Staates” nur
knapp entkommen, droht ihnen nun mit dem angebrochenen Winter die
Kälte mit
dem Tod.
Bis
zu 10.000 Eziden harren weiter im Şengal-Gebirge aus, eingeschlossen
vom “Islamischen Staat”. In Şerfedîn, wo ein den Eziden
heiliger Schrein liegt, verhindern selbstorganisierte
Selbstverteidigungsbrigaden das Eindringen des “Islamischen
Staates” in das Gebirge mit dem Gröbsten. Auch ihnen fehlt es
allem.* Etwa 1.4 Millionen Geflüchtete harren im Moment in
Irakisch-Kurdistan aus, zehntausende Christen aus Mosul und Nineveh
sowie mehr als 200.000 Geflüchtete vor der syrischen Katastrophe.
Währenddessen rationalisieren die “Vereinten Nationen” ihren
Betrieb. Allein ihr Ernährungsprogramm für Geflüchtete und
Eingeschlossene innerhalb Syriens wurde um 40 Prozent minimiert. Da
zugesagte Zahlungen ausbleiben, ist das UN World Food Programme (WFP)
gezwungen, seinen Beistand für 1,7 Millionen syrische
Binnengeflüchtete einzufrieren.
Unter
Deutschen wird indessen die existierende Humanität mit
derKontroverse ausgereizt,
wer und wohin im Winter abgeschoben werden darf. Joachim Hermann,
eine christsoziale Charaktermaske in Ministerwürden, sieht in
den aus Serbien flüchtenden Roma das Gegenteil zu den Geflüchteten
aus der syrischen Hölle. Der Unterschied, auf den Hermann beharrt,
gründet nicht in dem Wissen, dass die Menschen in Haleb oder Raqqa
genozidal bedroht sind. Der Unterschied, auf den es Hermann ankommt,
liegt allein darin, dass weder die Militarisierung der europäischen
Außengrenzen noch die Gewalt der ersten Natur, die in der Geografie
lauernden Risiken, bei den Roma, deren Slums und provisorischen
Behausungen in Serbien und Mazedonien denen der Geflüchteten in
Duhok und Zaxo nicht
unähnlich sind,
zu zuschlagen vermögen. Zwischen Haleb und Bayern liegen zunächst
Tonnen von Fassbomben Assads und die islamistischen Ganglands von
Jabhat al-Nusra, Ahrar al-Sham und Da'ish und - für jene, die diesen
Aggressoren entkommen sind - die riskantesten Routen, zu denen die
Europäer die Geflüchteten zwingen. Über 3420
tote Flüchtlinge forderten
im Jahr 2014 allein die Tücken des Meeres. Und selbst dort, wo die
Gewalt der ersten Natur am gnadenlosesten zuschlägt, droht den
Geflüchteten noch die Repression der zweiten Natur: „Pro
Asyl“ dokumentiert systematische
"Push Backs" an der griechisch-türkischen Front des
europäischen Migrationsregimes. Maskierte Spezialkommandos
inhaftieren Geflüchtete ohne jegliche Registrierung auf griechischem
Territorium, um sie anschließend in die Türkei abzuschieben.
Geflüchtete, die sich zur riskanten Überquerung des Meeres
entschlossen haben, werden, sobald sie aufgegriffen werden,
systematisch in türkische Territorialgewässer bugsiert, die Motoren
ihrer schwimmenden Nussschalen sabotiert. Nahezu alle von „Pro
Asyl“ dokumentierten "Push Backs" geschahen im
Operationsgebiet der europäischen Frontex-Mission "Poseidon
Land and Sea".
Der
Irak - mit Ausnahme Südkurdistans, wo sich inzwischen 1,4 Millionen
Flüchtlinge aufstauen - droht mit den Attacken des "Islamischen
Staates" auf Mosul und die Nineveh Ebene seine letzten Christen
und Yeziden zu verlieren.** In Hamburg wurde unter Beteiligung
des Autors dieses Blogs eine Kampagne der Solidaritätsinitiative
für Şengal (Însîyatîva
pishtgirîya bo Shingalê) und Roja Sor e.V. initiiert, mit der zu
konkreter Solidarität mit den geflüchteten Eziden aufgerufen wird.
Die Kampagne konzentriert sich darauf, das Gröbste zu organisieren,
damit die Geflüchteten in Duhok und anderswo den Winter überstehen.
Alles weitere (wie Kontodaten) ist dem Flyer
der Initiative zu
entnehmen (Seite 1, 2).
Ich bitte eindringlich um Interesse und Großzügigkeit
(eMail: hh.soli.shengal@gmail.com).
*Am
18. Dezember brachen die ersten Peshmerga zu den ezidischen
Selbstverteidigungsbrigaden durch. Durch den hierdurch eröffneten
Korridor naht die Evakuierung der ins Gebirge Geflüchteten. **“The
Last Plight" von
Suzan Younan & Sargon Rouel ist eine eindringliche Dokumentation
dieser Katastrophe.
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