Allein die
Namen deutscher Jihadisten, die nach Syrien oder in den Irak
auswandern, sind Höllengeburten der Multitude deutscher Ideologie:
Abu Osama al-Almani etwa, „Vater von Osama, der Deutsche“, rief
sich jener als Philip geborene Suizidbomber, der unweit von Mosul
mindestens 20 Menschen, überwiegend Peshmerga, mit in den Tod riss.
Jüngst ermordete ein weiterer al-Almani mit einer Suizidattacke 26
Menschen in der irakischen Provinz Diyala, wieder waren die
Ermordeten vor allem Peshmerga. Doch nicht nur, dass den
Selbstverteidigungsbrigaden viel zu lange noch das Gröbste
verweigert worden ist, womit sie dieser suizidalen Hölle hätten
entkommen können, findet sich auch nirgends eine antifaschistische
Organisation, die in konkreter Solidarität mit den
Menschen in Şengal, Kobanê und anderswo diese grünen
Faschisten vor ihrer Auswanderung nachspürt und angreift, um
abzuwenden, dass ein weiterer al-Almani im Irak oder in Syrien mehr
Menschen in wenigen Sekunden ermordet als der NSU in mehreren Jahren.
Manch einer
mag sich in diesen Wahn einfühlen als eine Überreaktion auf
„Islamophobie“ oder „rassistische Diskriminierung“. Nicht
nur, dass dabei ignoriert wird, dass die größten Auswandererströme
nach Syrien und Irak von dort erfolgen, wo der organisierte Islam
eine staatstragende Funktion hat und ihm weitgehend die soziale
Kontrolle über Communities und Banlieues übertragen worden ist. Es
wird dabei konsequent abgesehen von der sozialen Totalität der
Ökonomie. Dessen innerster Kern ist die Abstraktion der Individuen
zu Subjekten kapitalistischer Akkumulation. Mit allen anderen gleich,
also lebendes Äquivalent zu den Nächsten zu sein, heißt durch alle
anderen verüberflüssigt zu werden. Im Angesichts des Wertes werden
sie dauernd mit ihrer fundamentalen Minderwertigkeit konfrontiert.
Die Agitatoren Allahs sind so auch nicht gezwungen, unter
Geflüchteten zu rekrutieren, nicht dort, wo die von Markt und
Konkurrenz Ausgeschlossenen ausharren, im Plastikdschungel von Calais
etwa oder entlang des Todesstreifens von Melilla, nicht also dort, wo
reale Diskriminierung sich tödlich äußert. Sie finden ihre
Rekruten, die Inkarnationen des Todes, unter Pizzabäckern und
anderen subjektlosen Subjekten. In der Konversion zum nazifizierten
Islam wird die Überflüssigkeit der Individuen nicht gestundet, sie
wird im Hass auf alles Individuelle glorifiziert. Die jihadistische
Märtyrerproduktion radikalisiert die Konfrontation der islamisierten
Subjekte mit ihrer Funktionslosigkeit vor dem Kapital, indem sie
diese mit dem totalen Nichts konfrontiert: der Tod als Märtyrer wird
ihnen zur edelsten Geste an einen ihnen äußerlichen Zweck. Noch
darin scheint die Totalität des Kapitals auf, in der die autistische
Selbstverwertung des Wertes sich selbst Zweck ist und vor allem darin
sind sich die jihadistische Variante des Islam und die
nationalsozialistische Variante der deutschen Ideologie so nah. Sie
steigern die dem Kapital inhärente Irrationalität bis an die
Schwelle einer diesseitigen Hölle, sie eskalieren das subjektlose
Subjekt zum Märtyrer, das Funktionalität nur noch im suizidalen Tod
für Allah und den Imam realisiert: „Wir lieben den Tod wie ihr das
Leben.“
Natürlich:
ohne die Zwieschlächtigkeit in den Interessen des türkischen
Regimes der Muslimbrüder, des Assad-Regimes, des khomeinistischen
Irans und der klerikalen Despotien am arabischen Golf sowie des
Lavierens der US-Amerikaner und Europäer wäre es nie zu dem
exorbitanten Landgewinn des „Islamischen Staates“ gekommen. Die
Pseudofront zwischen diesen Mimen wäre wahrlich als Verschwörung zu
charakterisieren, würde dadurch nicht verdunkelt werden, dass der
„Islamische Staat“ weniger das Produkt anderer Interessen ist als
das eines Racketisierungsprozess, dem viel mehr mit den Kategorien
Krise und Ideologie nachzugehen wäre. Die in schwarz gehüllten
Halsabschneider sind die authentischen Liquidatoren einer absolut
ruinösen Modernisierung in den arabischen Staaten, viel mehr: einer
Modernisierungsattrappe, dessen Einknicken auch nur durch die
Repression der politischen Polizei so lange hinausgezögert werden
konnte. Was sich an dem „Islamischen Staat“ exemplifiziert, ist
die Entgrenzung eines konfessionellen Bandenwesens, welches zuvor
noch national integriert war. Die Alawitisierung des syrischen
Regimes oder die Sunnitisierung des irakischen Baʿth-Regimes unter
Saddam Hussein gehorchte dem objektiven Zwang, sich eine absolut
loyale Basis als Staatsmaterial zu halten. Wurde der Staatsapparat
auch konfessionalisiert, war die herrschende Clique doch gezwungen,
darüber den Schleier eines überkonfessionellen syrischen oder
irakischen Nationalismus zu legen.
Die Brut
Saddams
Die
innerislamische Entzweiung von Shiah („Partei Alis“) und ahl
as-sunna („Volk der Tradition“) und die Terrorisierung von allen
realen und halluzinierten „Feinden der arabischen Nation“ im
Irak, die unter dem Schleier des Baʿth-Staates „des ganzen Volkes“
ausgereizt worden sind, haben das Terrain geebnet für Daʿesh (so
das arabische Akronym für den „Islamischen Staat“). Zunächst
als „al-Qaida im Irak“, dessen aktuellste Inkarnation Daʿesh
ist, organisierten die Jihadisten die Rache der sunnitischen Stämme
für die Verdrängung aus den Funktionen des zerschlagenen
Baʿth-Apparates. Über Syrien wanderten tausende Jihadisten ein,
überwiegend aus anderen arabischen Staatsruinen. Die geschlagenen
Loyalisten Saddam Husseins betrieben Mimikry und drangen mit ihrem
militärischen Know-how bis in die Kommandostrukturen der Daʿesh
vor. Unterdessen schnürte sich, toleriert von den US-Amerikanern,
der Zugriff des khomeinistischen Irans auf die irakische Shiah weiter
zu. Schiitische Todesschwadronen infiltrierten Polizei und
Paramilitärs und terrorisieren seither die verbliebenen Sunniten in
den schiitischen Viertels Baghdads und anderswo.
Nicht nur,
dass Daʿesh ranghohe Baʿth-Militärs in ihren Reihen zählt, die
Jihadisten wahren auch die Tradition der baʿthistischen
Terrorisierung der realen und halluzinierten „Abtrünnigen“ der
arabisch-islamischen Nation. Wie Daʿesh den Yeziden die Entscheidung
aufzwang, Konversion zum Islam, Tod oder die Flucht ins schroffe
Gebirge, sprach das Baʿth-Regime in den dunklen Tagen der
Militäroperation „al-Anfal (1986-89), inspiriert von der
Koransure: „Die Beute“ , ein letztes Ultimatum an die
„Abtrünnigen“ aus: Entweder fügen sie sich der irakischen
Nation, mit der Konsequenz einer Zwangskasernierung unter dem
strengen Regiment des baʿthistischen Militärs, oder sie würden aus
der irakischen Nation herausfallen und als Deserteure gelten.
Desertion aber wurde im Irak Saddams, wie auch woanders, mit dem Tod
geahndet. Der Tod durchs Gas war integriert in die
„al-Anfal-Kampagne“, in der das Baʿth-Regime Arabisierung und
Pazifizierung des abtrünnigen Hinterlandes im nördlichen Irak, das
abwechselnd als „israelische Enklave“ oder „5. Kolonne der
Perser“ denunziert wurde, kombinierte. Seit den 1970ern waren die
Yeziden einer gnadenlosen Arabisierung unterworfen, ihre Dörfer
wurden verbrannt und ihr Boden an loyale muslimische Araber
übereignet. Auch nach den jüngsten jihadistischen Attacken auf die
irakischen Yeziden in Şengal wurde die Kollaboration sunnitischer
Stämme, die die Attacken der Daʿesh flankierten, mit einem Anteil
an der „Beute“ entgolten. “Wir
versklaven, verkaufen und teilen yezidische Frauen und Kinder unter
uns auf“, heißt es in “Dabiq”, einem
Fanzine des „Islamischen Staates“. Anders als Christen und Juden,
die Tod und Versklavung durch die erpresste Zahlung der
Jizya entfliehen können, seien Yeziden
“absolute Ungläubige” und fielen somit als ”Beute” an die
Jihadisten. Weit über 3000 Yeziden wurden seit den Attacken auf
Şengal, wo ein Großteil der irakischen Yeziden leben, verschleppt.
Diese Sklavenökonomie ist eine weitere perfide Form der genozidal
verfolgten Ausrottung der als “Teufelsanbeter” denunzierten
Yeziden. Aktuell forciert Daʿesh seine Attacken auf
Şengal, bis zu zehntausend Menschen sind im Gebirge von jeder
Fluchtroute abgeschnitten. Wenn die Geflüchteten nicht durch die
Hände der Jihadisten sterben, droht ihnen Dehydration und Hunger mit
dem Tod.
Die
syrische Katastrophe
Das syrische
Assad-Regime präsentierte den Jihadisten alsbald eine weitere
Expansionsfläche. Noch ganz zu Beginn der Revolte amnestierte Assad
hunderte von ihnen mit dem Kalkül, diese würden die Opposition mehr
schädigen als es selbst bedrohen und natürlich um das Alibi
geliefert zu bekommen für das gnadenloses Vorgehen gegen jede
Opposition. Die berüchtigten Fassbomben, mit denen das Assad-Regime
anderswo kaum mehr hinterließ als Ruinen und Leichengestank, sparten
die Frontverläufe der Daʿesh zunächst systematisch aus. Wo es zu
Konfrontationen kommt, nehmen diese Alibicharakter an – so blutig
sie auch sein mögen, etwa die Hinrichtungsorgien an Soldaten Assads.
Daʿesh konzentriert sich zunächst darauf, die militantesten Gegner
des Regimes in Grabenkämpfe zu zwingen und das letzte säkulare
Refugium Syriens einzunehmen, wo der Irrsinn noch nicht über alles
triumphiert hat: Syrisch-Kurdistan alias Rojava. Wie es scheint ist
das Kalkül des Assad-Regimes weitgehend aufgegangen: In stiller
Verständigung mit den Jihadisten der Daʿesh wurde die Opposition in
allen ihren Varianten aufgerieben, während heute, wo die
US-Amerikaner gegen Daʿesh vorgehen, das Regime sich unwidersprochen
als Stabilitätsgarant präsentieren kann. Indessen ist es in
Halab/Aleppo dieselbe Prozedur: Assad sät, d.h. bombardiert und
hungert aus, und Daʿesh erntet. „Aleppo existiert nicht mehr“,
so ein Geflüchteter aus der Millionenruine.
Der
Protektor des syrischen Assad-Regimes ist zugleich die schiitische
Variante der Daʿesh und herrscht seit 1979 im Iran über mehr als 75
Millionen Menschen. Dieser Islamische Staat rekrutiert tausende
Jihadisten für Assad & Shiah, verfolgt einen schleichenden aber
systematischen Genozid an der religiösen Minorität der Bahá'í,
propagiert wie Daʿesh den Mord an den Juden und verdächtigt
Kurdistan, ein Hort von Unglauben und Verrat zu sein. Wie Daʿesh
richtet er gnadenlos über reale und imaginierte Abtrünnige.
„Mitleid mit den Feinden des Islam ist Naivität“, so Ayatollah
Khomeini, der Übervater dieser Despotie, in seinem Todesdekret des
Jahres 1988, mit dem er die Hinrichtungen tausender Dissidenten
anbefahl. „Zögern“ hieße, „das reine, unbefleckte Blut der
Märtyrer zu ignorieren.“ Es ist diese schiitische Variante der
Daʿesh, die sich nun als Garant von Stabilität empfiehlt - eine
Stabilität, die sich nur als Grabessruhe äußern kann. Sipan Hemo,
Kommandeur der Selbstverteidigungsbrigaden in Syrisch-Kurdistan:
Yekîneyên Parastina Gel (YPG), charakterisiert die
Interessen der khomeinistischen Despotie als Strategie einer weiteren
Eskalation des konfessionellen Konflikts. Sie verfolge mit ihr, sich
als Souverän des schiitischen Halbmondes, der sich vom Iran über
den Irak bis zum Südlibanon erstreckt, zu installieren. Daʿesh
fungiert der khomeinistischen Despotie als Komplementär. Es scheint
in ihrem Interesse zu sein, dass es die Irrsten unter den Irren sind,
die nun den Hass der irakischen Sunniten auf das schiitische
Maliki-Regime in Baghdad orchestrieren. Exemplifiziert die syrische
Katastrophe doch wie Daʿesh noch die ideologisch engsten Verwandten,
etwa Ahrar al-Sham oder Jabhat al-Nusra, in Fehden aufreibt und jede
Opposition sprengt.
Daʿesh
als türkische Kontrabande
Daʿesh ist
kein Produkt anderer als die, die im irakischen Mosul die Bleiben
christlicher Assyrer in Androhung eines Pogroms oder zur Erhebung der
Jizya markieren, dieser Jihad ist kein Produkt anderer als die, die
in Şengal Yeziden massakrieren und versklaven. Dass Daʿesh ein
authentisches Eigenprodukt grüner Faschisten ist, heißt aber nicht,
dass diese keine Gönner hätten und ihr Vormarsch nicht von diesen
abhängig ist. Noch in den 1980ern hat der türkische „derin
devlet“, die verborgenen Strukturen des tiefen Staates, Islamisten
als Kontraguerilla organisiert. Diese Hizbullahî Kurdî war zunächst
eine Bewegung von Bewunderern Ayatollahs Khomeini und der
„Islamischen Revolution“ im Iran, vor allem auch kurdischstämmige
Graue Wölfe aus Elazığ und Diyarbakır etwa, die in den Knästen
der Militärjunta vom 12. September 1980 frömmlerisch wurden,
schlossen sich ihr an. In den 1990ern zählte ihr militantester
Flügel 20.000 Killer in seinen Reihen, tausende zählen die von ihm
Ermordeten: etwa Angehörige der Juristenvereinigung İnsan Hakları
Derneği (İHD), die politisch Inhaftierte, Gefolterte und
Hinterbliebene von Verschwundenen verteidigt, und kritische Autoren
von Özgür Gündem und Gerçek. Ganz ähnlich wie heute das
Erdoğan-Regime sagte im Jahr 1993 der Gouverneur für die
südöstlichen Provinzen im Ausnahmezustand, Ünal Erkan, dass sie,
so lange die PKK existiere, solche Organisationen wie die Hizbullahî
Kurdî nicht zerschlagen werden (im Gespräch mit Milliyet,
7.02.1993). Heute sagt Erdoğan: "Wir dulden keine Terroristen
an unser Grenze“ und meint damit nicht Daʿesh, viel mehr die
säkularen Selbstverteidigungsbrigaden Rojavas. Nachdem im Jahr 2000
der türkische Staatsapparat die Hizbullahî Kurdî dann doch
zerschlug – sie hatte ihren Dienst getan und entwickelte ein
bedrohliches Eigenleben – und nicht wenige Angehörige dieser
Todesschwadrone sich im deutschen Exil reorganisierten, amnestierte
Erdoğan im Jahr 2011 die letzten inhaftierten Hizbullahis. Mit
anderen gründeten sie die legale Partei Hür Dava Partisi. Aussagen
des oppositionellen Parlamentariers Demir Çelik zufolge hätten sich
zudem 2000 Angehörige der Hizbullahî Kurdî in Syrien und dem Irak
der Daʿesh angeschlossen.
Es
sind vorrangig islamistische NGOs, die sich der direkten logistischen
und propagandistischen Flankierung des syrischen Jihads annehmen,
dieselben NGOs, die vom Erdoğan-Regime noch jeden Auftrag zum
antiisraelischen Krawall zugeteilt bekommen: Yardım Vakfım alias
İHH etwa, die in Europa und der Türkei hunderte Jihadisten
rekrutiert. Mindestens ein Veteran der antiisraelischen
Märtyrer-Flottille der İHH ist in Syrien im Kampf für die mit
al-Qaida assoziierte Jabhat al-Nusra gestorben. In Gaziantep, unweit
der türkisch-syrischen Grenze, verfügt İmkan-Der, eine weitere
islamistische NGO, über eine eigene Charité für verwundete
Jihadisten von Ahrar al-Sham, einem weiteren al-Qaida-Sidekick in
Syrien. Das Erdoğan-Regime dagegen unterlässt alles, was die
Jihadisten in die Enge treiben könnte. Während diese sich im
türkisch-syrischen Grenzgebiet ungezwungen von einer Seite zur
anderen bewegen als wäre ihr postnationales Kalifat noch dieser Tage
Realität, werden weiterhin Hirten und andere Grenzgänger von
türkischem Militär bedroht, ermordet und verstümmelt; während
türkische Panzergrenadierbataillone auf den an Kobanê angrenzenden
Hügeln selbst auf den Beschuss türkischen Bodens durch Daʿesh
nicht reagieren, werden Solidaritätsaktionen für die Geflüchteten
aus Kobanê massiv von Militärpolizei attackiert. Im Süden und
Osten der Türkei morden unterdessen dieselben Bluthunde, die seit
den 1970ern noch jede Opposition mit Pogrom und Meuchelmord überzog.
In Gaziantep ist es ein militanter Rudel von Grauen Wölfen, der sich
in stiller Verständigung mit der Polizei auf mörderische
Kurdenhatz begibt.
Und in Diyarbakır sind es eben jene Hizbollahis, die erneut eng in
die Repressionsstrukturen des türkischen Staates eingebunden werden,
d.h. Oppositionelle hetzen und ermorden, verschleppen und foltern
ohne eigene Konsequenzen.
Monatelang
forderten die Selbstverteidigungsbrigaden Rojavas das
Mindeste ein,
womit sie den massiven Attacken von Ahrar al-Sham, Jabhat al-Nusra
und Daʿesh entgegnen können: „We need Europe and the United
States to support us with technology. Detectors and explosive
deactivators are needed to fight IS“. Es wurde ihnen viel zu
lange konsequent verweigert. Monatelang forderten sie Europäer und
US-Amerikaner als ihre „natürlichen Verbündeten“ auf,
Luftbombardements gegen Daʿesh zu intensivieren und vor allem auf
die Frontverschiebungen Richtung Kobanê zu reagieren. Es kam lange
nur zu kosmetischen Eingriffen - bis zu dem Moment als die Enklave
Kobanê zu 30 oder 40 Prozent von Daʿesh eingenommen war und
zumindest die US-Amerikaner mit forcierten Luftbombardements und
einer Luftbrücke den Aufgeriebenen beikamen. Erdoğan beschuldigt
nun die US-Amerikaner, mit den Munitionstransporten für die in
Kobanê ausharrenden Brigadisten der YPG „Terroristen“ zu
unterstützen. Wenn irgendetwas ein System hat, dann dass jede
konkrete Solidarität bis aufs Äußerste hinausgezögert wird. So
empfand auch der drittgrößte Exporteur von Mordswaren, Deutschland,
eine Aufrüstung der Peshmerga als Reaktion auf die Attacken der
Daʿesh auf Şengal zunächst als „falsche Antwort“ und drängte
die Bedrohten, sich wieder den Intrigen und Winkelzügen des
schiitischen und Iran-hörigen Maliki-Regimes in Baghdad zu
unterwerfen, bevor damit begonnen wurde, den Peshmerga Militärschrott
zu liefern.
Die
Selbstverteidigungsbrigaden Rojavas bedanken sich
noch für jeden Flug der United States Air Force auf Positionen der
Islamisten in der nüchternen Gewissheit, dass einerseits das
US-amerikanische Militär seine Schlagkraft gegen Daʿesh gedrosselt
hält, anderseits der anti-US-amerikanische Verschwörungswahn die
ideologische Flanke eines jeden regionalen Regimes – von Khomeini
über Assad bis Erdoğan - ist, das Daʿesh direkt
instrumentalisiert. In unzähligen Kommentaren analysieren
Kommandeure der YPG die regionalen Konstellationen: Sie sprechen von
der Verlogenheit Assads und des khomeinistischen Irans und der
türkischen Flanke der Daʿesh. Vieles von dem wird im europäischen
Solidaritätsmilieu konsequent ignoriert. Auch in diesem herrscht die
Borniertheit vor, in der die regionalen Regime höchstens als Agenten
Dritter fungieren. Von der nationalen Spezifik, der Verrohung durch
islamische und nationale Ideologien und der konkreten Gewalt des
Souveräns wird abgesehen, wo einzig das Interesse als perfide
Verschwörung denunziert wird. In der Konsequenz ist die
antiimperialistische Ideologie die aktuellste Form eurozentristischen
und rassistischen Denkens: der Figur „des Orientalen“ wird ihr
Opferstatus eingebrannt, dieser sei affektiv und leicht zu
instrumentalisieren, Ratio und Interesse wird allein – und im
denunziatorischen Sinne - „dem Westen“ zugesprochen. Es sind die
Brigadisten der YPG, die die Hoffnung an die eine Gattung Mensch und
die Universalität von Emanzipation und Säkularität verteidigen und
allein aus diesem Grund den US-Amerikanern – auch wenn diese sie
viel zu lange allein ließen – weniger
Verachtungentgegenbringen als
den Despoten des Mittleren Ostens selbst.
Es irrt, wer
sich der US-amerikanischen und europäischen Geopolitik einzig mit
den Kategorien „Interesse“ und „Zweckrationalität“ nähert.
Geopolitik im Mittleren Osten heißt vor allem Einfühlung in die
Grabesruhe. Nicht nur, dass mit ihrer engen Einbindung in die
„Internationale Allianz“ jene Despotie rehabilitiert wurde, die
seit Anbeginn ihrer Existenz eine Variante des Islam nach innen
konserviert und nach außen voranbringt, die dem „Islamischen
Staat“ am ähnlichsten ist: Saudi-Arabien. Nicht nur, dass noch
jene Shariah Firma, welche von Libyen über Ägypten bis nach Syrien
Jihadisten, wie die Jabhat al-Nusra, finanziert, in die Koalition
einbezogen ist: Katar. Wird nun darüber hinaus auch noch von Kerry
bis Ischinger die schiitische Variante von Daʿesh, die
khomeinistische Despotie im Iran, als wesentlicher Stabilitätsgarant
des Mittleren Ostens gehandelt.
Die
pathische Indolenz gegenüber den Opfern jener Despotien schlägt
entlang der europäischen Grenzen in unverschämte Aggression um.
Hunderttausende sind aus anderen Teilen Syriens und Iraks nach
Kurdistan geflüchtet. Sie sind untergekommen in feuchten Rohbauten
oder unter Planen, die bei den starken Regenfällen der vergangenen
Tage davongespült werden. Unterdessen wird in Europa
die Jagdsaisonausgerufen
und strömen in einer koordinierten Aktion 20.000 Polizisten aus, um
„Illegale“ aufzugreifen. Die größte Betroffenengruppe sind
Geflüchtete aus der syrischen Hölle. An den Hochtechnologiezäunen
von Melilla werden Menschen gesteinigt und in den sterilen, von der
EU-Kommission finanzierten griechischen Internierungszentren noch die
letzten Nerven aufgezehrt. Jene, die „durchgekommen“ und nun in
einer deutschen Flüchtlingskaserne auszuharren gezwungen sind,
müssen erfahren, dass die ideologischen Brüder von al-Almani sie
auch hier bedrohen. Yezidische und christliche Geflüchtete wurden in
den vergangenen Monaten wieder und wieder Opfer islamistischer
Aggressionen. Doch als wäre der genozidale Terror der Jihadisten
sowie der traditionelle muslimische Hass auf die „Teufelsanbeter“
eine Frage subjektiven Empfindens und nicht einer objektiven
Katastrophe, bezweifeltdas
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine Generalbedrohung von
Yeziden im Irak und anderswo. Noch sie werden in der Angst gelassen,
dass ein Abschiebekommando sie irgendwann aus den Schlaf reißen
könnte.
Solidarität
mit den Säkularen des Mittleren Ostens
Die Hoffnung
harrt im Moment in Kurdistan aus. Nicht dass dort die Zentralisation
von Souveränität völlig unblutige Formen angenommen hat, so wurde
hier doch eine Entwicklung eingeschlagen, die konträr liegt zum
islamischen Rollback in der Türkei und der Grabesruhe im Mittleren
Osten. In den von den Selbstverteidigungsbrigaden Syrisch-Kurdistans
beherrschten Territorien werden Menschen in Absehung ihrer Blutsenge
vor der jihadistischen Aggression des IS verteidigt. Tausende
Christen flohen aus Halab, Raqqa und anderswoher nach Rojava. Der
Syriac Military Council (MFS) christlicher Assyrer ist mit der YPG
assoziiert und verteidigt, Seite an Seite, den östlich von Kobanê
gelegenen Kanton Jazira, in dem auch viele yezidische Geflüchtete
ausharren. Neben assyrischen Christen organisieren sich tausende
junge Frauen in den Selbstverteidigungseinheiten, Yekîneyên
Parastina Jin (YPJ). Mag es unter dem Antlitz Abdullah Öcaclans auch
etwas zwieschlächtiges und ideologisches anhaften, das Versprechen,
das sich die Rekrutinnen der YPJ geben, „Jin Jiyan Azadî” (Frau
– Leben - Freiheit), ist angesichts der Frauenverachtung und
Todesbeschwörung der Jihadisten, “Wir lieben den Tod wie ihr das
Leben” , jener militante Konter auf die islamistische Aggression,
der keinen Zweifel daran lässt, was es vorrangig zu verteidigen
gilt: nicht die Scholle, nicht die inzestiöse Blutsenge, allem
anderen voran die Hoffnung auf ein besseres Leben.
Unsere
Hoffnung ist es, dass sie ihre Verbündeten etwa in jenen finden, die
im Jahr 2009 zu hunderttausenden gegen die schiitische Variante der
Daʿesh revoltiert haben – und doch allein geblieben sind. In den
vergangenen Tagen protestierten zumindest in Iranisch-Kurdistan, etwa
in Sardasht, Marivan und Kermanshah, tausende Menschen gegen die
Terrorisierung der Yeziden und die Bedrohung von Kobanê durch den
IS. Peshmerga der Demokratischen Partei Kurdistan-Iran (PDK-I)
rückten nach Şengal vor, um den Yeziden beizustehen. Nur zu viele
Jahre zwang die Repression die Menschen im Iran zu schweigen –
heute protestieren in Isfahan und Teheran wieder hunderte Menschen
gegen sich häufende Säuereattacken auf junge Frauen. Sie schreien:
„Tod den religiösen Fanatikern“.
Politisch
Inhaftierte im Iran in Solidarität mit Kobanê (v.r.n.l.): Afshin
Hirtian (inhaftiert für seinen Kampf gegen Kinderausbeutung), Vahid
Asghari (Blogger, bedroht mit der Todesstrafe), Behnam Ebrahimzadeh
(kämpfte an der proletarischen Front) and Khaled Khardani
(Oppositioneller aus Ahwaz/Khuzestan, dem arabischen Iran).
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