Montag, 28. November 2022

Flugschrift zum aktuellen Stand der revolutionären Erhebung im Iran

 

Im Europa der penetranten Selbstinszenierung guter Gesinnung kümmert es augenscheinlich nur wenig, wenn jene, deren Widerstand gegen die Barbarei mehr als narzisstische Selbstbespiegelung ist, massakriert werden. Aus dem Auswärtigen Amt heißt es in diesen Tagen angesichts der neuerlichen türkischen Aggression gegen das vor allem kurdische Nordsyrien ein wenig lustlos: „Es gibt ein Recht auf Selbstverteidigung“. Die Charakterfratzen aus dem Auswärtigen Amt meinen natürlich den Aggressor; nur nicht jene, die von türkischer Artillerie und Bayraktar-Drohnen tagtäglich terrorisiert werden. Während der territoriale Eroberungsdrang nach außen und der nationalchauvinistisch-repressive Kitt der Fraktionierung der blutroten Republik nach innen weiterhin unter das „Recht auf Selbstverteidigung“ gefasst werden, hat die syrische al-Qaida die Rivalität unter den islamistischen Rackets vorerst für sich entschieden und ist unter Aufsicht der türkischen Armee in das okkupierte Afrin einmarschiert. Ach so – das Auswärtige Amt mache sich auch „sehr große Sorgen“ um Kollateralschäden.


Es ist nicht ganz zufällig, dass die permanente türkische Aggression gegen Nordsyrien sich nunmehr wieder rasant steigert, wo auch die islamofaschistische Despotie Irans übergegangen ist, durch Militarisierung und „Allahu Akbar“ brüllende Todesschwadronen in Kurdistan die revolutionäre Erhebung niederzuschmettern. Parallel zur türkischen Aggression terrorisiert das Khamenei-Regime mit Fateh-110-Missiles und den berüchtigten Kamikazedrohnen das irakische Kurdistan, wo sich die „Demokratische Partei Kurdistan-Iran“ (PDKI) und andere regimefeindliche Parteien reorganisiert haben sowie viele Geflüchtete aus dem Iran ausharren.


Dass diese Achse des Todes ihre ganz eigene Krise an den Kurden exorziert, ist ebenso wenig zufällig. Ruhollah Khomeini denunzierte die Kurden als „Verräter“ und „Ungläubige“. Die PDKI wurde von Khomeini als „Partei des Teufels geschmäht; ihre Parteivorsitzenden wurden von Regimeschergen in Wien und Berlin ermordet. In der khomeinistischen wie auch türkischen Propaganda ist das Gerücht über die Kurden als Verräter am Staat und Ungläubige des ideologischen Heilsversprechens unverhüllt antisemitisch: so ist das Bild eines sezessionistischen Kurdistans als Intrige eines projizierten „Großisraels“ virulent.


Am 17. September eskalierten im kurdischen Saqqez, der Heimat der von den Tugendwächtern ermordeten Mahsa Amini, die Proteste gegen das misogyne Regime zur revolutionären Erhebung. Noch während der Beerdigung der jungen Frau, die von ihrer Familie mit ihrem kurdischen Namen Jina gerufen wurde, rissen sich anwesende Frauen den Zwangsschleier vom Haar und riefen die Slogans „Frau, Leben, Freiheit“ und „Ich werde denjenigen töten, wer meine Schwester getötet hat“. In Sanandaj, wo sich die Jugend noch am selben Tag erhoben hatte, wurden unzählige Schleier verbrannt und – ganz nebenbei – auch die Beschilderung der „Palästina Straße“ aus dem Asphalt gerissen. Am 19. September wurde dann zum Generalstreik in Kurdistan gerufen. In Kurdistan-Iran kam es bereits in den Vorjahren zu Protesten unter dem Ruf „Frau, Leben, Freiheit“, wie etwa nach dem Mord an Farinaz Khosravani in Mahabad, doch anders als zuvor kam nun auch die Jugend in allen anderen Teilen Irans auf die Straße.


Die militärische Reaktion des Regimes gründet vor allem auch darin, dass in Kurdistan-Iran seit nunmehr über 70 Tage die Grundzüge der Revolution vorgeführt werden: 1. ein ausdauernder Generalstreik, 2. die Beteiligung der ruralen Peripherie, um die Beweglichkeit der Repressionsmaschinerie zwischen den urbanen Zentren zu erlahmen, 3. die militante Organisierung der Jugend sowie die Identifizierung der Kollaborateure des Regimes. Schwere Konfrontationen erschüttern ganz Kurdistan-Iran, nahezu Tag für Tag, in Oshnavieh, Piranshahr, Sardasht, Saqqez, Divandarreh, Marivan, Sanandaj, Dehgolan, Oorveh, Kamyaran, Ravansar und so weiter. Dass das Regime zunächst am relativ kleinen Javanrud sein konterrevolutionäres Potenzial veranschaulicht hat, spricht dafür, dass es angesichts der revolutionären Entschlossenheit in Kurdistan durchaus geschwächt ist. Die Peripherie von Javanrud ist hügelig, mit Sperrung der wenigen Straßen, die aus dem Provinzstädtchen herausführen, hat das Regime Javanrud in eine totale Isolation gezwungen. Inzwischen ist die Wächterarmee mit ihren Toyota-Pickups, auf deren Pritschen schwere MGs aufgebracht sind, in nahezu ganz Iranisch-Kurdistan präsent. In Sanandaj und Saqqez dagegen herrscht trotz dieser bleiernen Repression nach wie vor keine Grabesruhe.


Das islamofaschistische Regime spekuliert, dass mit dem militärischen Szenario der Konterrevolution auch das europäische Interesse rapide schwinden wird. Angesichts der sich ausweitenden Militarisierung werden sich jene selbsternannten „Iran-Analysten“ bestätigt fühlen, die der Meinung sind, dass eine Revolution sowieso nur mit noch trümmerreicheren Katastrophen drohe. Und auch das zunächst überraschend große Interesse der Kulturindustrie wird dahinschwinden, sobald die Sequenzen aus dem Iran mehr und mehr der Straßenschlachtung etwa im syrischen Homs ähneln werden.


Unlängst hatte etwa Charlotte Wiedemann in der Taz ein Szenario von Anarchie und Regierungslosigkeit beschworen, wenn das „jetzige System implodiert“. In ihr steige die Beklemmung auf, dass der Iran angesichts der Unruhen „entweder einer Militärdiktatur oder einem Staatszerfall entgegen“ schreitet. Das Geraune von einer drohenden Militärdiktatur täuscht darüber, dass die „Armee der Wächter der Islamischen Revolution“, kurzum die Sepah, längst das zentrale Racket in dieser islamofaschistischen Attrappe einer Republik ist. In den durstigen Provinzen des Irans, in Khuzestan und Lorestan etwa, ist sie als „Wassermafia“ bekannt, anderswo ruft man sie verächtlich, wie in einem populären Revolutionsslogan, als „unseren Islamischen Staat (Daesh)“. Die pseudo-republikanische Institution der „Islamischen beratenden Versammlung“ indessen ist nicht viel mehr als die Brüllkulisse des Regimes. Unlängst haben 227 von 290 Mitgliedern der Versammlung gefordert, dass gegen die inhaftierten Revolutionäre als „Feinde Allahs“ ein „göttlicher Schuldspruch“ gesprochen werden müsse. Auf den Schuldspruch „Feindseligkeit gegen Allah“, Moharebeh, folgt in der Islamischen Republik zuallermeist die Hinrichtung.


Mit einer ähnlichen militärischen Wucht wie in diesen Tagen in Kurdistan und Belutschistan schlug das Regime auch während des blutigen Novembers im Jahr 2019 in der Provinz Khuzestan ein. Die Massenproteste in der südwestlichen Provinz Irans, aus der das Regime seine fossile Potenz erhält, konterte die Wächterarmee innerhalb wenige Tage mit einem Massaker in der Hafenstadt Mahshahr. Zwischen dem 15. und 17. November hat sich der Bloody Aban von 2019 gejährt. Über klandestine, aber weit verzweigte Strukturen wurde in den Vortagen zu einem revolutionären Gedenken an die Morde aufgerufen. Schülerinnen etwa beschrieben unzählige Papierzettelchen mit der Hand, um sie an ihre Mitschülerinnen zu verteilen. An den Universitäten und in nahezu ganz Kurdistan-Iran wurde erneut erfolgreich zum Ausstand aufgerufen, aber auch der Große Bazar in Teheran und das Gewerbe in Mashhad, Isfahan, Tabriz und anderswo wurden bestreikt. Wer hier keine organisierte Front gegen das Regime erkennen vermag, will sie nicht erkennen.


Die Wucht, mit der die Aufrufe selbst Kleinstädte erfasst hat, blamiert jene deutsche Pseudo-Expertise, die weiterhin keine „kritische Masse“ zu erkennen vermag. Vor allem in den südiranischen Provinzen Hormozgan und Fars, der zentraliranischen Provinz Isfahan und den nordiranischen Provinzen Gilan und Mazandaran konfrontierte auch die Bevölkerung vieler Provinzstädtchen massenhaft die islamofaschistische Staatsbestie. In Dashti (Hormozgan) etwa, wo weniger als 5.000 Menschen leben, beteiligte sich nahezu das ganze Städtchen an der Beerdigung des am Vortag ermordeten Revolutionäres Hamed Melai. Im zentraliranischen Khomein in der Provinz Markazi schlugen Flammen aus dem musealen Geburtshaus von Ruhollah Khomeini, während antiklerikale Slogans durch die Dunkelheit hallten. In Qom wurden Molotowcocktails gegen das Islamische Seminar geschleudert, jene ranghöchste Institution frömmelnder Gelehrigkeit im Iran. In Izeh (Provinz Khuzestan) und anderswo wurden die Islamischen Seminare niedergebrannt. Bei der Beerdigung von Kian Pirfalak, der am 16. November in Izeh ermordet wurde, riefen die Anwesenden dem Imam entgegen: „Die Bakhtiari haben kein Gebetsritual“.


Nachdem am 19. November das Regime aus weiten Teilen von Mahabad hinausgedrängt wurde, unterbrach dieses die Elektrizitätsversorgung und begann mit seiner militärischen Kampagne in Kurdistan. Es folgten die Massaker in Javanrud und Piranshahr an jenen, die sich zuvor in Massen an den Trauerversammlungen für die am Vortag Ermordeten beteiligt hatten. Es ist eine bösartige Tradition der islamofaschistischen Despotie, die toten Körper der Ermordeten zu rauben und sie hastig zu verscharren. Oder die Familien mit mafiotischen Taktiken wie der Geiselhaft von Angehörigen dazu zu drängen, ihre Toten im Stillen zu beerdigen.



Das revolutionäre Mahabad, 19. November


In diesen Tagen bemüht sich das Regime angesichts des World Cup in Katar den nationalchauvinistischen Furor herauszukitzeln – bislang mit wenig Erfolg. Das Regime kann nicht mehr auf die Getrenntheit der Iranerinnen und Iraner vertrauen. So werden seit Tagen bei Solidaritätsprotesten in Teheran, Mashhad oder Karaj Slogans gerufen wie „Kurdistan, Zahedan (Belutschistan) – Auge und Licht des Irans“. Und während der schweren Konfrontationen in Belutschistan mit ähnlich vielen Ermordeten wie in Kurdistan heißt es: „Kurdistan, Kurdistan, wir unterstützen dich“.


In diesem Sinne:

Solidarität mit den Revolutionären in Kurdistan und anderswo im Iran,

Tod der islamofaschistischen Despotie!

Azadi!


Samstag, 1. Oktober 2022

Flugschrift zum Aufstand gegen den Islamischen Staat im Iran

 

Man erinnere sich an die Novembertage 2019 als der Zorn über das tagtägliche Verelendungsregime zur revolutionären Erhebung im Iran eskalierte, die das Regime allein noch mit gegossenem Blei und hunderten Toten kontern konnte. In jenen Tagen empfahl in der Tagesschau eine Karin Senz, die Regimegegner mit ihren Mördern allein zu lassen; an sie zu denken und Anteil zu nehmen, aber schweigend auszuharren. Europa, so die ARD-Korrespondentin, müsse sich vorrangig darauf konzentrieren, die als Vertragswerk niedergeschriebene Erpressung der Khomeinisten, also die Reduzierung der Urananreicherung gegen Business, zur Geltung zu bringen. Dafür bedürfe es „große (europäische) Diplomaten“.


Nachdem im November 2019 das Regime den blutigen „Sieg“ über die „Verschwörung der Feinde“ ausgerufen und die Unruhen im Iran für beendet erklärt hat, indem es „die Rädelsführer“ identifiziert und verhaftet habe, brach das deutsche Auswärtige Amt sein tagelanges Schweigen und mahnte an – ohne den Schlächtern nahezutreten: „Das Recht auf friedlichen Protest muss gewahrt sein.“ Auch die Europäische Union schwieg sich bis dahin eisern aus.


Es scheint nach wie vor eine Herzenssache mancher Deutscher zu sein, die Iranerinnen und Iraner mit dem „Islamischen Staat“ (so der Titel einer Vorlesungssammlung des Staatsgründers Ruhollah Khomeini) zu versöhnen. So raunt in diesen Tagen Jörg Brase, ZDF-Korrespondent, dass es im Iran „Potenzial geben“ könnte, „Reformen im Parlament zu diskutieren“. Wo in allen Provinzen des Irans über Tage Slogans wie „Tod der Islamischen Republik“ gerufen werden, meint Brase eines zu wissen: „Viele wollen Reformen“.


Im Unterschied zu den Vorjahren demonstrativer Kaltblütigkeit trumpfen in diesen Tagen das Auswärtige Amt und die deutschen Parteien mit einem Wortschwall moralischer Parteinahme für die Frauen im Iran auf. Doch anders als behauptet, fordern die Frauen im Iran nicht die Anerkennung ihrer „unumstößlichen Menschenrechte“ durch das misogyne Regime ein, auch wird nicht, wie in der deutschen Berichterstattung unbeirrt behauptet, gefordert, dass der Staat, also der Mörder selbst, den Tod von Mahsa Amini aufzuklären habe. In keinem einzigen der Slogans, die gerufen werden, dient der Islamische Staat, seine Institutionen und Repräsentanten, weder Reformer noch Erzkonservative, als Appellationsinstanz. Es wird der Tod dieser Staatsbestie herbei geschrien.


Das Wesentliche der neuen deutschen „Regimekritik“ hat Annalena Baerbock in der „Aktuellen Stunde“ des Bundestags ganz nebenbei gesagt: dass „wir weiter über das JCPoA verhandeln“, was offensichtlich nichts anderes heißt, dass sie personenbezogene Sanktionen, die den Interessen des Regimes als Ganzes und der deutschen Industrie kaum schaden, gegen die jetzigen Sanktionen, welche dem Regime wie der Industrie viel mehr schädigen, einzutauschen gedenkt.


Die redselige Demonstration moralischer Parteinahme täuscht darüber, dass absolut nichts Konkretes gemacht wird, was den eigenen Möglichkeiten gerecht werden könnte. Als da wären etwa Wege aufzufinden, wie die bleierne Kommunikationssperre durchbrochen werden kann. Doch selbst das längst fällige Ende der Kollaboration mit den Agenturen des Regimes in Europa, wie die „Imam-Khomeini-Moschee“ in Hamburg, von denen aus Exiliraner bedroht und mit Gerichtsklagen zermürbt werden, bleibt weiterhin aus. Wie folgenlos die „Regimekritik“ durch das Auswärtige Amt ist, verrät sich etwa in der von allen zu verantwortenden Straflosigkeit angesichts des Vorgehens des Khamenei-Regimes im Irak. Europa blieb ebenso desinteressiert wie teilnahmslos als die revolutionäre Erhebung der irakischen Jugend gegen die grassierende Korruption und das Unwesen der Milizen von den Todesschwadronen des Pasdarangenerals Qasem Soleimani gnadenlos niederkartätscht wurde. Die ranghöchste Funktionärin der Vereinten Nationen im Irak, Jeanine Antoinette Hennis-Plasschaer, gab in jenen Tagen den europäischen Weg vor. So äußerte sie ihre Sorge, die irakische Ökonomie könnte bei den andauernden Protesten Schaden nehmen.


Wie das türkische Regime terrorisiert auch das Khamenei-Regime weiterhin ungestraft Kurdistan-Irak, wo etwa die Demokratische Partei Kurdistans-Iran (DPK-I) ihre Parteienstrukturen hat. Im Jahr 1989 wurde mit Abdul Rahman Ghassemlou der Vorsitzende der DPK-I, von Khomeini als „Partei des Teufels“ denunziert, in Wien ermordet; 1992 in Berlin sein Nachfolger Sadegh Sharafkandi sowie die Repräsentanten der Partei im französischen und deutschen Exil, Fattah Abdoli und Homayoun Ardalan. Dem Organisator der Ausführung des Mordbefehls aus Teheran, Kazem Darabi, war jahrelang zuvor eine einschlägige Moschee in Berlin anvertraut; unter den Augen der deutschen Behörden konnte er ungestraft exilierte Feinde des khomeinistischen Regimes bedrohen. Es wäre zumindest das Gröbste an Büße, dass man es nicht duldet, dass in Kurdistan-Irak die Genossinnen und Genossen der DPK-I von Kamikazedrohnen massakriert werden.


In 43 Jahren, in denen Tugendwächter Frauen mit Glasscherben und Säure terrorisierten und inhaftierte Frauen gezwungen wurden, sich selbst als „Huren“ zu denunzieren, warteten die Deutschen von Hans-Dietrich Genscher bis Frank-Walter Steinmeier mit einem „kritischen Dialog“ mit den khomeinistischen Schlächtern nach dem anderen auf. Eine konkrete Solidarität indessen müsste als Erstes die Forderung nach einem Ende des Islamischen Staates im Iran anerkennen und zur eigenen machen. Die notorische Lüge der Deutschen – „Wir wissen ja nicht, was kommen würde“, wenn die islamofaschistische Attrappe einer „Islamischen Republik“ fällt – ist eine Verhöhnung jener Mutigen, die unmissverständlich darin sind, was sie nicht wollen: Sie wollen kein Regime aggressiv antiisraelischer und projektiver Krisenexorzierung. Sie wollen kein militaristisch-okkultes Regime aus Klerus und einer militant-mafiotischen „Armee der Wächter der Islamischen Revolution“, das sich die nationale Ökonomie zur Beute gemacht hat. Und sie wollen kein Regime, in dem die Unterwerfung der Frauen eine heilige Säule des Gemeinwesens ist.


Das ist alles nichts Neues. In den vergangenen Jahren, als das Auswärtige Amt der khomeinistischen Despotie zutrug, „Stabilisierungsfaktor in der Region“ (S. Gabriel) zu werden, der „Erhalt der Zahlungskanäle“ zur europäischen „Priorität“ (H. Maas) und der Widerstand gegen US-amerikanische Iran-Sanktionen als ein „Akt europäischer Souveränität“ (die französischen, britischen und deutschen Amtskollegen) erklärt wurden, wurde der Iran wieder und wieder von Aufständen erschüttert. Unzählige Einrichtungen der Mullahs wurden in den vergangenen Jahren niedergebrannt, ganz genauso wie die überdimensionale Straßendekoration aus frommen Versen, Märtyrerverehrung, antiisraelischen Vernichtungsdrohungen und den Fratzen von Ali Khamenei, Ruhollah Khomeini und Qasem Soleimani. Die Slogans sind bis heute dieselben: „Das Regime sagt, Amerika ist unser Feind, aber es lügt, das Regime selbst ist unser Feind“, „Reformer, Prinzipalisten – eure Rochade ist vorbei“ oder „Tod dem Velayat-e Faqih“.*


Einzig von Protesten zu sprechen, verfehlt längst die Wirklichkeit im Iran. Wir sind vielmehr Zeuge einer revolutionären Erhebung. In allen 31 Provinzen Irans kam es seit dem Tod von Mahsa Amini am 16. September zu schweren Konfrontationen mit der Repressionsmaschinerie. Sie dauern unter Todesdrohung bis heute von Kurdistan bis Khuzestan, von Teheran nach Mashhad, an. Das Regime sprach in jüngerer Vergangenheit offen aus, dass ihre im Irak und anderswo etablierten Milizen die Verteidigung der „Islamischen Revolution“ übernehmen, sobald die „inneren Kräfte“ darin zu scheitern drohen. Auch werden weder die russische Despotie, die in diesen Tagen mit Kamikazedrohnen aus dem Iran die Ukraine terrorisiert, noch China passiv zu sehen, wie ihr Partner in Crime fällt. Gholam-Hossein Mohseni-Ejei, höchster Richter im Islamischen Staat, sagte jüngst und wahrlich nicht als einziger, dass die Revolutionäre „Agenten unserer Feinde“ sind – damit ist der Todesspruch über sie gesprochen.


Und doch ist der Aufstand gegen den Islamischen Staat im Iran, der seit 1979 eine dunkle Inspiration für die islamischen Konterrevolutionäre von Afghanistan bis nach Ägypten ist, ein Freiheitsversprechen weit über die Grenzen des Irans hinaus. Die Revolutionäre im Iran, Frauen wie Männer, haben unter den Slogans „Frau, Leben, Freiheit“** und „Ich werde denjenigen töten, der meine Schwester getötet hat“ dem regressiven Wesen der „Islamischen Republik“ als ebenso antijüdischen wie frauenfeindlichen Männerbund entschieden widersprochen. Es ist zugleich die erste revolutionäre Erhebung überhaupt, die ihren Beginn als feministischen Protest nahm. Sollte der Aufstand niedergerungen werden, was von Jörg Brase bis zum Regime-Lobbyisten im Auswärtigen Amt Adnan Tabatabai als ausgemacht gilt, besteht die weitere Aussicht nicht aus Reformen, sondern Grabesruhe.



In diesem Sinne: Frau, Leben, Freiheit – Tod dem Islamischen Staat!




* Mit „Velayat-e Faqih“ beschrieb Khomeini die totale Geltung des Wächteramts in allen Sphären des Staates. In seiner Hauptschrift, der „Islamische Staat“, sprach Khomeini davon, die theologischen Seminare von den Quietisten zu reinigen und die Moscheen zu Kasernen, die wöchentliche Khutbah-Predigt zum Schlachtruf und die Betenden zu Bataillonen zu machen. Er bekräftigte, dass die Etablierung eines solchen „Islamischen Staates“ Massen an Toten erfordern würde. „Der Islam hat viele Stämme ausgerottet“, so Khomeini, da sie Verderben über die Muslime gebracht und „die Interessen des Islamischen Staates“ beschädigt hätten.

** Der Slogan wurde geprägt durch kurdische Feministinnen, populär gemacht durch jene Militanten aus Kurdistan-Syrien, die auch in diesen Tagen von der türkischen Artillerie mit dem Tod bedroht werden. Bereits 2015, während der Proteste in Kurdistan-Iran als Reaktion auf den Tod einer jungen Frau namens Farinaz Khosravani in Mahabad, riefen Protestierende „Jin, Jiyan, Azadi“ („Frau, Leben, Freiheit).