Kritik im
Sinne des Marxschen Kategorischen Imperativs - „alle Verhältnisse
umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes,
ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“ - hat vor allem auch
dort ihren Ausdruck als praktische Solidarität zu finden, wo
Kritiker eine tödliche Bedrohung auf sich zu nehmen gezwungen sind.
Im Iran richtet seit 1979 die schiitische Variante des Islamischen
Staates gnadenlos über reale und halluzinierte Abtrünnige. „Mitleid
mit den Feinden des Islam ist Naivität“, so Ayatollah Khomeini,
der Übervater dieser Despotie, in seinem Todesdekret des Jahres
1988, mit dem er die Hinrichtungen tausender Dissidenten anbefahl.
„Zögern“ hieße, „das reine, unbefleckte Blut der Märtyrer zu
ignorieren.“ Und wie Daʿesh, so das arabische Akronym für den
„Islamischen Staat“, verdächtigt die khomeinistische Despotie
Kurdistan, ein Hort von Unglauben und Verrat zu sein.
Anders
als bei Daʿesh werden die Geiseln der khomeinistischen Despotie
nicht in Käfigen vorgeführt und ihr Tod spektakulär inszeniert.
Liegt das Versprechen des „Islamischen Staates“ aka Daʿesh an
die islamistisch Verhetzten und somit sein Wert auf dem Markt
apokalyptisch-faschistischer Ideologien darin, sich als genozidale
Aggressoren zu ermächtigen, so wie der Gegenwert der Kollaboration
unter irakischen und syrischen Muslimen mit dieser Inkarnation des
Todes als erstes darin besteht, als einzige zu überleben, ist jedes
islamistische Snuff Video, jede noch so bestialische Sequenz daraus,
Propaganda des allein im Genozid gründenden „Islamischen Staates“.
Die Lebensader der khomeinistischen Despotie Iran als Konsequenz aus
der kontrarevolutionären Wendung der Erhebung gegen das Shah-Regime
ist die Kollaboration und die Beschwichtigung der Anderen. So ist sie
gezwungen, anders abzuwiegen zwischen „interreligiösem Dialog“
und aggressiver Verfolgung etwa der Bahá'í*, zwischen
Hafez-Gedenktagen und der brutalst erzwungenen Monokultur der
Ayatollahs. Die khomeinistische Despotie kann wie jüngst via
„Kayhan“, dem wesentlichen Organ von Khomeinis Nachfolger
Ayatollah Ali Khamenei, exilierten Regimekritikern mit dem
Tod drohen und
dazu aufrufen, die Apostaten - unabhängig davon, wo sie sich
aufhalten – den Henkern zuzuführen, um im nächsten Moment als
grobe islamophobe Beleidigung anzuprangern, dass sie als Initiatorin
solcher Morde an Exil-Oppossionellen, wie etwa in Wien 1989 oder
Berlin 1992, benannt wird.
Die
khomeinistische Despotie ist so etwas wie die staatsgewordene
verfolgende Unschuld. Exakt darin, die Erniedrigung und
Verächtlichmachung der Menschen zu perfektionieren und im selben
Moment jede Bestialität auf das Andere zu projizieren, liegt ihre
Genese. Am 19. August 1978, dem Jahrestag des Coups gegen Mossadegh,
brannte ein Cinéma in Abadan (Provinz Khuzistan) aus. Über 400
Menschen verbrannten. Wenige Tage später verdächtigte Khomeini den
Shah persönlich für den Brandmord verantwortlich zu sein. In enger
Absprache mit der nationalreligiösen Opposition um Mehdi Bazargan
wurden die Verbrannten nun als Märtyrermaterial verwertet – eine
Strategie, die die Khomeinisten im Iran wie im Libanon noch zu
perfektionieren wussten. Die Genossen der Tudeh und Fadai schlossen
sich der Mobilisierung an. Der Shah sah sich angesichts der
Massenaufmärsche gezwungen, dem Klerus entgegenzukommen und ernannte
Jafar Sharif-Emami, ein Politkarrierist mit engen familiären
Bindungen zu den Religiösen, zu seinem Premierminister. Auf die
Politik der nationalen Versöhnung folgte die Amnestie für
Inhaftierte mit Nähe zum Klerus und weitere Gesten zur
Beschwichtigung der Islamisten. Es half alles nicht. Am 14. September
1978 sprach Khomeini über die systematische Demoralisierung der
muslimischen Jugend durch das Shah-Regime: Die Cineastik sei ein
kolonialistisches „Zentrum der Prostitution“, das der Jugend jede
Moral austriebe. Der Klerus müsse nicht dazu aufrufen, es wisse
jeder, dass „diese Zentren der Unmoral“ brennen müssen. Der
Brandmord in Abadan dagegen wäre ein Manöver des Shah-Regimes: es
wolle damit den Islam diffamieren. Zum Brandmord aufrufen und im
selben Moment jede Bestialität auf das Andere projizieren – die
antiimperialistischen Claqueure Khomeinis mochten es glauben, bei den
Hinterbliebenen der Verbrannten äußerte sich mehr und mehr Skepsis.
Hossein Takbalizadeh, ein islamisierter Kleinkrimineller, der aus den
Heroinhöhlen Abadans in die Moschee flüchtete, konnte es nicht für
sich behalten und es dauerte nicht lange und ein jeder wusste in
Abadan, dass er und seine Kumpanen den Brand gelegt hatten. Wie
selbstverständlich sprach er von seiner Radikalisierung in der
Moschee und dass es ihn zu mehr drang als Khomeini-Propaganda aus dem
Irak in den Iran zu schmuggeln. Doch das Shah-Regime, das ihn in Haft
nahm, zögerte bis zum Ende, den Kontakten des redseligen
Takbalizadeh zum Klerus nachzugehen. Unter Sharif-Emanis
Beschwichtigungspolitik verbot man sich über die “große Angst”,
die mit dem islamistischen Roll-back zu drohen schien, zu sprechen.
Nach der „Islamischen Revolution“ dauerte es nicht lange und die
auf Aufklärung beharrenden Hinterbliebenen der Verbrannten wurden
als Feinde der Revolution denunziert. Als sie in Sitzstreik gingen,
prügelte die Hizbollah wieder und wieder auf sie ein. Am 18. August
1980, am 2ten Jahrestag des Brandes, kam es zu größeren Protesten
in Abadan. Das Regime mobilisierte, als Konter, zu einem
Großaufmarsch am darauf folgenden Tag unter dem Banner: „Amerika
ist unser Feind“.
Die
khomeinistische Despotie wirbt nicht in Fanzines mit Köpfungen, die
Ayatollahs posieren nicht mit abgeschnittenen Köpfen als Trophäen,
sie beeindrucken Außenstehende mit interkulturellem Dialog,
theologischer Expertise und Städteaustausch (und den etwas
grobschlächtigeren Verbündeten mit Shoah-Karikaturen). „Apostaten“
und „Ungläubige“ mordet die khomeinistische Despotie mit mehr
Diskretion – das vor allem ist der Unterschied zu Daʿesh.
Inhaftierte Regimekritiker im Iran skizzieren ihre Arrestzellen als
Särge und exakt das sind sie nicht allein aufgrund ihrer Größe (im
Trakt 209 des in der nördlichsten Peripherie Teherans gelegenen
Zendān Evin haben diese Särge die Größe 1 x 2 Meter). In ihnen
soll jede Dissidenz, jede Kritik verstummen. Selbst von dem
Dahinsterben soll nicht erzählt werden. Zahra Kazemi wurde zu Tode
gefoltert, allein weil sie von außen Evin, diese Fabrik sadistischer
Qualen, fotografiert hat. Doch keiner kann sagen, er wüsste nicht,
was dort passiert, die Biografien der Überlebenden, etwa von Monireh
Baradaran und Reza Ghaffari, oder die herausgeschmuggelten Briefe der
Toten schildern dieses System der Vernichtung bis ins Detail.
In
Iranisch-Kurdistan verfolgt das Regime die Ausrottung eines jeden,
der sich entschlossen hat, sich militant gegen diese klerikale
Despotie zu organisieren. Auf die Zugehörigkeit zur Partiya Jiyana
Azad a Kurdistanê ("Partei für ein freies Leben in Kurdistan"
– PJAK) sowie zur Komele (es
existieren zwei Parteien unter diesem Namen: die eine ist unabhängig,
die andere die Kurdistan-Organisation der Kommunistischen Partei
Iran) kontert die Despotie der Ayatollahs mit dem Vorwurf,
„feindselig gegenüber Gott“ („Mohareb“) zu sein. Geahndet
wird dieses Kapitalverbrechen im Iran mit dem Tod. Für einige der
von Hinrichtung Bedrohten werden internationale Kampagnen initiiert,
so bekommen aber auch nur manche von ihnen Namen und Gesichter: Ehsan
Fatahian (Organisation: PJAK, hingerichtet am 11. November 2009),
Fasih Yasamani (PJAK, 6. Januar 2010), Farzad Kamangar, Ali
Heydarian, Farhad Vakili, Mehdi Eslamian, Shirin Alam Hooli (PJAK, 9.
Mai 2010), Hossein Khezri (PJAK, 15. Januar 2011), Habibollah
Golparipour (PJAK, 26. Oktober 2013), Sherko Moarefi (Komele, 4.
November 2013), Sabir Mavane (Komele, 6. Januar 2015). Bei manchen
von ihnen weigern sich die Henker, den Hinterbliebenen die toten
Körper zu übergeben; in Unwissenheit der betroffenen Familien
werden so manche hastig verscharrt. Bei anderen wird den Familien
angedroht, die Toten im Stillen zu beerdigen. Sie zwingen zur
Einhaltung der Grabesruhe, die in ganz Iran herrscht. Bei Verstoß
gegen diese werden auch Hinterbliebene inhaftiert.
Vor
einigen Tagen wurden die beiden Brüder Ali Afshari and Habibollah
"Habib" Afshari hingerichtet,
beide waren assoziiert mit der Komele. Ein weiterer Bruder, Jafar
Afshari, ist weiterhin inhaftiert. Es ist zu befürchten, dass mit
Ali und Habib Afshari auch Saman Nasim, Sirvan Nejavi, Ebrahim
Shapouri und Younes Aghayan hingerichtet worden sind. Younes Aghayan
ist ein Angehöriger der verfolgten religiösen Minorität der
Yarsan. Saman Nasim wurde im Juli 2011 als Jugendlicher inhaftiert.
Die Folterschergen der Islamischen Republik Iran rissen ihm Finger-
und Fußnägel heraus. Unter Folter gestand er eine Beteiligung an
einer militanten Aktion der PJAK gegen die Schergen der Ayatollahs.
Gegenüber der Familie schweigt sich das Regime weiterhin aus oder es
äußert sich widersprüchlich. Auch dies ist eine perfide Taktik der
khomeinistischen Henker, die Hinterbliebenen in Angststarre zu
halten. Zainab Jalalian ist eine der wenigen „Mohareb“, die
wieder und wieder dem Henker zugeführt werden sollte und dann doch
noch die Gnade der Ayatollahs erfuhr. Nach schwerster Folter mit der
Folge eines Schädelbruchs und drohender Erblindung wurde die
Todesstrafe umgewandelt in lebenslängliche Dunkelheit. Sie ist im
Moment in Khoy inhaftiert.
Zainab
Jalalian, inhaftiert seit 2007
Die
khomeinistische Despotie bedroht auch außerhalb des Irans ein
säkulares Kurdistan. Wenige Tage bevor die YPG (Yekîneyên
Parastina Gel) die Aggressoren der Daʿesh aus Kobanê herausdrang,
provozierte das Regime des Bashar al-Assad in Hesekê eine tödliche
Konfrontationmit
den Selbstverteidigungsbrigaden Rojavas. Mit Mörsern und Fassbomben
terrorisierte das Regime dort, wo überwiegend Kurden und christliche
Assyrer leben. Die Partiya Yekitîya Demokrat („Partei der
Demokratischen Union“ – PYD) sprach jüngst
aus, dass die wesentlichen Entscheidungen in Syrien vom Iran
getroffen werden und diese auch darin liegen, ein säkulares Rojava
zu untergraben. Die Monate zuvor sickerten mehr und mehr Angehörige
der von den Khomeinisten initiierten Hizbullah nach Hesekê ein.
Selbst zu Absprachen zwischen
arabischen Stämmen, die entweder hinter dem Assad-Regime oder dem
„Islamischen Staat“ stehen, soll es gekommen sein. Hossein
Amir-Abdollahian, in Funktion des iranischen
Außenministers, drohte konkret
gegen eine kurdische Staatlichkeit im Nordirak: "Wir haben nicht
vergessen, dass (Israels Premierminister) Netanyahu, der einzige ist,
welcher mit großer Freude die Unabhängigkeit Kurdistans begrüßt,
aber wie werden nie zulassen, dass sich seine Träume für den Irak
und diese Region erfüllen."
Die
Inhaftierten und von Hinrichtung Bedrohten im Iran gehören mit allem
Erdenklichen verteidigt, nicht nur weil sie unschuldig sein könnten und die Geständnisse unter höllischer Folter
erzwungen worden sind; sie gehören mit allem Erdenklichen verteidigt
auch gerade dann, wenn es auf sie zutrifft, wofür in der Islamischen
Republik Iran der Tod steht: sich militant gegen diese Despotie zu
organisieren. Die Hoffnung liegt auch darin, dass die Säkularen in
Kurdistan ihre Verbündeten etwa in jenen finden, die im Jahr 2009 zu
hunderttausenden gegen die schiitische Variante des „Islamischen
Staates“ revoltiert haben – und doch beinahe von allen allein
gelassen worden sind. Im vergangenen Jahr protestieren in Isfahan und
Teheran wieder hunderte Menschen gegen sich häufende Säuereattacken
auf junge Frauen. Sie schrien: „Tod den religiösen Fanatikern“.
Die
Selbstverteidigungseinheit der Frauen Iranisch-Kurdistans (Hêzên
Parastina Jinê – HPJ, die Frauenbrigade der PJAK) äußerte jüngst
unmissverständlich:
Für uns
Frauen gibt es keinen Unterschied zwischen der Islamischen Republik
Iran und dem Islamischen Staat. Beide werden genährt von
Feindseligkeit gegenüber Frauen und einer Kultur der Gewalt. Als
Selbstverteidigungskraft der Frauen Iranisch-Kurdistans werden wir
unseren Kampf gegen diese verstärken. Wir könnten eine
Verteidigungskraft mit den iranischen Frauen gründen, weil die
iranischen Frauen eine solche Kraft wie die HPJ benötigen ... Als
(in Isfahan) Frauen mit Säure angegriffen wurden, sagten sie: „Mögen
die Frauen von Kobanê kommen und uns verteidigen.“
Nichts
anderem schließen wir uns an. Das nahezu Banalste und Menschlichste
fordern auch wir: „Tod der Islamischen Republik Iran! Marg bar
jomhuriye eslami!“
* Die
Aggression gegen die Bahá'í ist ein zentrales Moment der
islamistischen Bewegung im Iran und auch darin traf sie auf
Kollaborateure außerhalb ihrer eigenen Parteigänger. Die heute
berüchtigte Hojjatieh-Sozietät, ein messianischer Männerbund in
Ersehung des verborgenen Imams, verschwor sich noch in den 1950ern zu
Zwecken der Liquidierung der als Apostaten denunzierten Bahá'í. Der
Teheraner Kleriker Mahmud Halabi, der im Jahr 1953 die Hojjatieh mit
Einwilligung des quietistischen Ayatollahs Hossein Borujerdi
gründete, diente sich dem Shah-Regime in der Verfolgung von
“Kommunisten” und anderen “heidnischen Elemente” an. Der
SAVAK soll sich mit Informationen über die Bahá'i,wie
Adressregister, revanchiert haben. Die Pogrome gegen die Bahá'í
während des Monats Ramazan im Jahr 1955 wurden folglich von einem
Joint Venture aus Klerikern wie Mahmud Halabi und Mohammad Taqi
Falsafi, ein heutiges Idol der Islamischen Republik, sowie dem SAVAK
koordiniert. Die Pogrome waren dem Shah ein Ventil – oder aber auch
nur die Dankesschuld an den Klerus, der zwei Jahre zuvor den
monarchistischen Coup gegen Mohammad Mosaddegh lanciert hatte. Im
Jahr 1955 überließ der Shah den Hojjatieh neben den Moscheen auch
die offiziellen Propagandaapparate des Regimes zur Mordhetze gegen
die Bahá'í.