Wie der
„Islamische Staat“ den Eziden die Entscheidung aufzwang:
Konversion zum Islam oder Tod und Versklavung, sprach das
Baʿth-Regime in den dunklen Tagen der Militäroperation
„al-Anfal“ (1986-89), benannt nach der Koransure: „Die
Beute“, ein letztes Ultimatum an die „Abtrünnigen“ in
Irakisch-Kurdistan aus. Entweder fügen sie sich der irakischen
Nation, mit der Konsequenz einer Zwangskasernierung unter der
totalitären Kontrolle des baʿthistischen Militärs, oder sie würden
aus der irakischen Nation herausfallen und als Deserteure gelten.
Der 16. März
1988 steht wie kein anderes Datum für die genozidale Aggression
des Baʿth-Regimes. 3.200 Tote konnten namentlich identifiziert
werden; weitere unzählige Menschen starben in den Folgejahren an den
Nachwirkungen der Gasattacke auf Helepçe. Die baʿthistische
Todesschwadrone hatte Sarin, Tabun – Produkte aus den Laboratorien
der deutschen I.G. Farben in den 1930ern – und andere Gase über
die Frontstadt der irakisch-iranischen Menschenschlacht abgeworfen.
Über einen süßlichen Apfelgeruch, der über der ganzen Stadt lag,
berichteten die Überlebenden.
Etwa 50.000
„Abtrünnige“ wurden infolge von „al-Anfal“ hingerichtet,
unzählige Weitere verschleppt. „Al-Anfal“ war keine
Aufstandsbekämpfung, die an der eigenen Brutalität erblindete, sie
wurde vom Baʿth-Regime als Überlebensschlacht der „arabischen
Nation“ gegen die realen und halluzinierten „Abtrünnigen“
inszeniert. In der genozidalen Ermächtigung trieb das Baʿth-Regime,
das sich andauernd als Objekt einer Verschwörung wähnte, die
„nationale Erniedrigung“ aus. Während der achtjährigen
Menschenschlacht mit dem Iran der Ayatollahs beschwor das
Baʿth-Regime die irakisch-iranische Front als die „heilige
arabische Ostflanke gegen die Zionisten“ (während Ayatollah
Khomeini, der zumindest die geografischen Gegebenheiten hinter sich
wusste, propagierte, der Pfad nach al-Quds führe über Baghdad).
Das Regime
der Baʿthisten fundierte auf einer systematischen Produktion der
Angst, die erzeugt wurde, um jede Illoyalität und Dissidenz
niederzudrücken. So praktizierte es Amputationen und Brandmarkungen
von „Kriminellen“ als Drohung an alle anderen. Im Jahr 1994
veröffentliche das Regime eine mit der 109 nummerierte Anordnung,
welcher zufolge Diebe und Deserteure ein X auf die Stirn eingebrannt
werden sollte. In der mit der 117 nummerierten Anordnung wurden
Ärzten, die an einer kosmetischen Korrektur eines vom Regime
Verstümmelten teilhaben, mit Abtrennung der Hände gedroht.
Der
„Islamische Staat“ ist kein Alien im Irak, Daʿesh ist die
konsequente Kontinuation der baʿthistischen Despotie, die sich dem
panarabistischen Schleier entledigt hat. Der “Islamische Staat”
sprießt weniger aus der Generosität saudischer Islamisten oder dem
Kalkül Erdoğans – auch wenn vor allem letzteres Daʿesh
voranbrachte - als aus der Saat, die die baʿthistische Despotie im
Irak säte. Saddam Hussein nahm 1991 die „al-Anfal-Kampagne“
wieder auf. Nun gegen die als „Abkommen afrikanischer Sklaven“
aus der „arabischen Nation“ exkommunizierten Angehörigen der
Shiah. Funktionäre und Profiteure des Baʿth-Apparates rekrutierten
sich mit wenigen Ausnahmen aus den sunnitisch-arabischen Clans. Die
Angehörigen der Shiah darbten in Elend, in welchem die illegale
Kaderpartei Daʿwa eine „Islamische Revolution“ als Erlösung
verhieß. Auf die Zugehörigkeit zur Daʿwa stand ab Ende der 1970er
der Tod. Während die Söhne schiitischer Familien zu Tausenden als
Frontvieh abkommandiert wurden und im wahrsten Sinne sich dem
baʿthistischen Regime gegenüber als loyal bis in den Tod
verhielten, kam es im schiitischen Hinterland des Iraks wieder und
wieder zu Hinrichtungswellen an vermeintlichen „Abtrünnigen“ und
„Kollaborateuren“. Die Menschen wurden aufgerieben zwischen der
gnadenlosen Gewalt der Baʿth-Despotie und der Instrumentalisierung
der Schiiten durch den khomeinistischen Iran. Nach dem
US-amerikanischen „regime change“ im Jahr 2003 und der
erzwungenen Entbaʿthisierung der Apparate änderten sich die
Konstellationen: Nahezu ungehindert von den US-Amerikanern schnürte
sich der Zugriff des Irans auf die irakische Shiah, die größte
Konfession im Irak, vollends zu. Iranhörige Todesschwadronen
infiltrierten den Polizeiapparat und terrorisierten die verbliebenen
Sunniten in Baghdad und anderswo. Im „Irakischen Widerstand“
gegen diesen Machtverlust verschmolzen Baʿthisten mit al-Qaida zum
„Islamischen Staat im Irak“.
Wer
vom genozidalen “Islamischen Staat” spricht, sollte also von der
Despotie der Baʿthisten und Khomeinisten nicht schweigen. Der Irak
sowie Syrien - mit Ausnahme Kurdistan - ist weitflächig aufgeteilt
zwischen Da'ish und der khomeinistischen Despotie und dem von ihr
gehaltenen Assad-Regime. Wo heute die Todesschwadronen der Shiah
einmarschieren, fürchten Sunniten um ihr Leben wie anderswo Christen
und Eziden. Der pseudokritische Blick auf den “Islamischen Staat”
sieht hiervon ab. Wo keine Kritik weder der islamistischen noch
panarabischen Kontrarevolution erbracht werden kann, wird höchstens
noch gegen die geldheckenden Kataris und die Familie al-Saud
gestänkert, denen weniger ihre bösartige Ideologie - inklusive die
von Europa geduldeten Hinrichtungen und Auspeitschungen von Apostaten
- nachgetragen wird als ihren Zugriff auf Kapital. An den
baʿthistischen Despotien Iraks (bis 2003) und Syriens sowie dem Iran
der Ayatollahs fasziniert so einigen die antiwestliche Rhetorik der
Schlächter. Dies gilt für antiimperialistische Ideologen als auch
für deutsche Krämerseelen. Anton Eyerle, ein bayrischer
Industrieller, etwa hatte in den 1980ern für seine irakischen
Abnehmer einen sehr eigenartigen Service: Aus Volksempfängern, die
den mobilen toxikologischen Labors mitgeliefert worden sind, dröhnte
die Agitation Adolf Hitlers. Der inzwischen verstorbene Eyerle, der
in Saddam Hussein einen würdigen Verbündeten gegen Juden und andere
Kosmopoliten ersah, war einer jener deutschen Industriellen, die dem
Baʿth-Regime die praktikabelste Variante des Mordens garantierte.
Südlich von Samarra begann der Irak zu Beginn der 1980er in einer
160 Quadratkilometergroßen Sperrzone Pestizide zum „Schutz der
Dattelernte“ zu produzieren. Deutsche Ingenieure tüftelten auch
daran, tödliche Nervengase seriell auf Raketenköpfe zu
konfektionieren. Wer als Antifaschist sich in einem solchen
Ameisenvolk aus Produkivbestien wiederfindet, sollte von dem
Finanzkapital zunächst schweigen (mehr sei zum Blockupy-Spetakel
nicht gesagt). Nicht nur die apfelsüße Geruchsspur von Helepçe
führt in deutsche Ingenieurbüros, auch an der libyschen und
syrischen C-Kampagne waren deutsche Firmen beteiligt. Womöglich
mordete Saddam Hussein 1988 in Helepçe, Assad 2013 in Ghouta und der
“Islamische Staat” in diesem Moment in Kurdistan mit Gasen, die
mit deutschem
Know-how produziert
worden sind.