Ihre fossile Potenz erhält die Islamische Republik Iran aus einer einzigen Provinz: In Khuzestan in der südwestlichsten Peripherie des Irans produzieren die Förderbohrungen jene klebrig-zähe Masse, die der khomeinistischen Despotie die dringend benötigten Deviseneinnahmen sichert. Allein im Dunstkreis der Provinzhauptstadt Ahvaz ragen unzählige Fördereinrichtungen aus der Erde. In Abadan wird Mineralöl raffiniert. Das küstennahe Mahshahr indes ist spezialisiert auf die Verschiffung der Ware.
Vor allem in der unteren Hälfte der Provinz – in Khorramshahr und Abadan, in Shadegan und Mahshahr, in Susangerd und Ahvaz – machen schiitische Araber die Bevölkerungsmehrheit aus, die seit Anbeginn der Islamischen Republik der Untreue zum Staat verdächtigt werden. Dieselbe Staatsbestie, die ständig kläfft, dass „das Schicksal Palästinas das Schicksal des Islams“ sei, verfolgt seit längerem eine schleichende demografische Entarabisierung in Khuzestan. Trotz der gewaltigen Petroleum-Industrie darben die arabischen Ahwazi unter hoher Arbeitslosigkeit.
Doch stärker als die systematische Diskriminierung verunmöglicht die Wüstwerdung der Provinz mehr und mehr das Leben. Die Dürre wurde in der früher noch wasserreichen Provinz längst chronisch: Flüsse versiegen, Seen verschwinden, der durch Wind aufgewirbelte Sand in den ausgetrockneten Flussbetten verdunkelt wie Dunst den Blick. An manchen Tagen kann man in Ahvaz kaum die eigene Hand mehr vor Augen sehen. Die Anhäufung von Atemwegserkrankungen und Hautreizungen ähnelt in Khuzestan längst vor COVID-19 einer Epidemie ohne Virus.
Doch die Dürre ist keine Naturkatastrophe, die über den Iran schicksalhaft hereinbricht. Sie ist vor allem auch die Folge eines systematischen Wasserraubs durch die Rackets der khomeinistischen Despotie. In der oberen Hälfte von Khuzestan stauen mehrere Talsperren den Karun, dessen Zweige und Verästelungen den Süden der Provinz ernähren. Das Fatale ist, dass der Gotvand-Staudamm in ein Sedimentgestein verbaut wurde, dass eine gewaltige Salzmasse enthält. Die Folge der Ignoranz gegenüber jedem geologischen Wissen ist ein dramatischer Anstieg des Salzgehalts im Flusswasser. Das salzige Wasser rinnt nun nach Khorramshahr in den Süden und schlussendlich ins Meer. Was bleibt, ist eine Schneise der Verwüstung: Felder verdorren, Vieh verendet, Höfe verwaisen.
Im Iran spricht man von einer „Wasser-Mafia“, die ihr Business mit dem Durst macht. Wer konkreter wird, spricht von einem Betongiganten mit dem frömmelnden Namen „Siegel des Propheten“: Khatam al-Anbiya. Hervorgegangen aus dem Ingenieurkorps der „Armee der Wächter der Islamischen Revolution“ in den Frontgräben der Menschenschlacht zwischen dem Irak Saddam Husseins und dem khomeinistischen Iran, wucherte Khatam al-Anbiya unter der Protektion von Ali Khamenei und Akbar Hashemi Rafsanjani zu Irans mächtigstem Industriekonglomerat. Der schwerreiche Ayatollah Rafsanjani, zwischen 1989 und 1997 Staatspräsident, begeisterte sich für Chinas monströse Talsperren und die damit zum Ausdruck gebrachte Souveränität. Durch aggressives Wassermanagement sollte, so die Propaganda von nationaler Autarkie, die Getreideproduktion gesteigert und die Industrialisierung im Zentraliran ermöglicht werden.
Im Jahr 1992 gründete Khatam al-Anbiya eine Unternehmung, die sich auf die Realisierung gigantischer Staudämme spezialisiert hat. Ihr Name, Sepasad, verweist auf die Sepah, die „Korps der Islamischen Revolutionsgarde“, und Sad, „Damm“. Während mit Mahab Ghodss ein Beratungs- und Ingenieurbüro die Entscheidungsträger mit reformistischer oder erzkonservativer Charaktermaske umwerbt und zugleich den Planungsprozess übernimmt, fungiert Sepasad als Auftragnehmer mit nahezu alleinigem Vorrecht. Größter Anteilseigner an Mahab Ghodss ist das Bonyad Astana Quds Razavi, ein Großkonzern des Klerus, dem bis vor kurzem Ebrahim Raisi, der heutige Staatspräsident, vorstand.
Somit wurde der Ingenieursflügel der Revolutionsgarde zu dem, was heute als Irans Wassermafia berüchtigt ist. Kritik, wie etwa, dass in einer Region mit einer solchen Hitze monströse Staudämme verheerende Konsequenzen haben, weil Unmengen an Wasser aus den Stauseen verdunsten, wird repressiv verfolgt. Genauso Nachfragen über explodierende Kosten oder tödliche Verkennungen, wie die Versalzung des Karuns durch die Gotvand-Talsperre. Profiteur des geraubten Wassers ist etwa das Stahlwerk Mobarakeh in der Provinz Isfahan, auf dem die Basij-Miliz ihre Hände hat.
Am 15. Juli 2021 brachen in Khuzestan nach stundenlangen Trinkwassersperren militante Straßenproteste gegen den systematischen Wasserraub aus. In Ahvaz begannen Protestierende die zentralen Straßen mit Barrikaden zu versperren. Khorramshahr und Abadan, Shadegan und Mahshahr, Susangerd und Ramhormoz folgten, aber auch das kleine Hamidiyeh, wo die Menschen sangen „Wir sind durstig“. Am Folgetag töteten die Regimeschergen mit Mostafa Naimawi den ersten Protestierenden. Was zunächst als eine alleinige Revolte der arabischen Bevölkerung in der Provinz auszusehen vermochte, äußerte sich in den folgenden Tagen als Protest aller unter den Wassermangel Leidenden. So traten auch Shush und Dezful, Shushtar und Izeh, wo vor allem Bachtiaren und Luren leben, den Protesten bei. Zugleich nahmen Slogans zu, die ein Ende der Islamischen Republik einforderten.
Wieder und wieder gelang es den Protestierenden, logistisch sensible Hauptstraßen zwischen den Städten zu sperren. Während nationalchauvinistische Ressentiments gegen vermeintliche „Separatisten“ viel zu lange auch unter iranischen Oppositionellen vorherrschten, solidarisieren sich nach wenigen Tagen mehr und mehr Iraner mit den Protesten in Khuzestan. Das Regime kontert indessen mit einem Shutdown der Kommunikationswege und gegossenem Blei. Am 22. Juli wird in Aligudarz, Provinz Lorestan, mit Omid Azarkhush der erste Protestierende außerhalb von Khuzestan ermordet.
Das Regime kann auf die Getrenntheit der Iraner nicht mehr vertrauen. Am 24. Juli rufen Protestierende in Tabriz, wo vor allem Azeris leben: „Aserbaidschan ist erwacht, Khuzestan führt uns“ und „Weder Shah noch Mullah“. Auch im kurdischen Saqqez solidarisiert man sich mit den Wasserprotesten. Am 26. Juli folgt Teheran: „Von Teheran nach Khuzestan – Einheit, Einheit“. Einen Tag später heißt es in Karaj und Isfahan: „Diese Heimat wird keine Heimat sein, solange die Mullahs nicht gegangen sind“. Was auffällt, dass in den Slogans Ruhani oder Raisi nicht vorkommen, die offensichtlich als fungible Charakterfratzen ein und derselben Despotie erkannt werden. Wenn jemand namentlich genannt wird, dann der Große Greis der Islamischen Revolution: „Nieder mit Ali Khamenei“.