Der
Antizionist ist keineswegs ein Staatskritiker, der sich in Israel
verrannt hat. Viel mehr bestreitet er unbeirrt, dass Israel überhaupt
ein Staat ist. Israel ist ihm ein „Brückenkopf“
imperialistischer Okkupation, ein „Präsent der Engländer“, eine
„zionistische Entität“, ein „Staat aus der Retorte“, ein
„kolonialer Fremdkörper“, ein „illegitimes Gebilde“,
allenfalls ein „so genannter“ Staat. Eines der virulentesten
Bilder, das seine Feinde von Israel haben, ist das des
„Krebsgeschwüres“, das im arabischen Volkskörper wuchert. Ein
Geschwür, das wild streut – so werden selbst kurdische Ambitionen
auf Eigenstaatlichkeit von Saddam Hussein über Imam Khamenei bis zu
Recep Tayyip Erdoğan als eine Erweiterung eines projizierten
„Großisraels“ denunziert. Das Bild, welches der Antizionist von
Israel hat, sagt in allen Variationen nur das eine: dass Israel eine
einzige Verschwörung ist, ein „teuflischer Plot“, wie es der
Iran der Ayatollahs zu sagen pflegt.
Das Gerücht
über Israel ist das über die Juden. Wie sich an der projektiven
Figur „des Juden“ die kapitalisierte Gattung ihr Gegenprinzip
herausschält und das auf ihr Gebannte von sich selbst abspaltet*, so
verfährt die durch Staat und Nation suspendierte Gattung mit Israel,
dem „Juden unter den Staaten“. Die wahnverzerrte Logik des
Antisemiten liegt darin, die Produktionssphäre als naturhaft und
organisch anzunehmen, die Spekulationssphäre dagegen als wurzellos
und somit „jüdisches Prinzip“ vom Kapitalverhältnis
abzuspalten. Der Antizionist folgt derselben Logik der
Naturalisierung von Staat und Kapital, indem er den Staat als
organisches Gehäuse eines Volkes verabsolutiert und Israel dagegen
als „Unstaat“ und „Fremdkörper“ aus der suspendierten
Gattung exkommuniziert. An Israel verdrängt der Antizionist, dass
kein Staat „aus sich selbst entsteht“, dass er das Produkt einer
sich zentralisierenden Gewalt ist und nicht, wie von den Völkischen
phantasiert, eine organische Einheit aus Blut und Boden.
Im
Bild Israels, das der Antizionist notorisch beschwört, drückt sich
doch sein eigenes Wesen aus. Die innerste Aggression des
Antizionisten ist grenzenlose Besitznahme, sein ureigenes Gelüste
ist die Unterwerfung der Anderen: „Die Türkei ist größer als die
Türkei. Wir können nicht auf 780.000 Quadratkilometer beschränkt
sein“, kündigte Recep Tayyip Erdoğan wiederholt territoriale
Einverleibungen an. Jüngst drohte er
im südtürkischen Karaman die nächste Aggression gegenüber
Nordsyrien an, das sich seinem pseudo-imperialen Zugriff verweigert:
„Wir werden Afrin von Terroristen säubern, wir werden Manbij von
Terroristen säubern. Wir werden Tell Abyad, Ras al-Ayn und Qamishli
von Terroristen säubern“. Und selbst noch auf einige kleinere
griechische Ägäis-Inseln „mit unseren Moscheen in Rufweite“
schielt Erdoğan. Die Islamische Republik Iran hat mit ihrer
Ausrufung 1979 damit begonnen, den Expansionsauftrag der ‚Islamischen
Revolution‘ weit über die eigenen geografischen Grenzen hinaus zu
definieren. Ganz offen steckt sie Syrien als ihre „35ste Provinz“
(Mullah Mehdi Taeb) ab, den Irak hat sie weitflächig infiltriert, im
Libanon fungiert die loyale Hezbollah als Parallelstaat mit eigener
Armee.
Die
Türkei der Muslimbrüder und der Iran der Ayatollahs sind die
aggressivsten Einpeitscher der in den vergangenen Tagen zum zornig
sein Gerufenen. Und beide lassen keinen Zweifel daran, dass es nicht
allein die Realität ist, in der Jerusalem Hauptstadt Israels ist,
die sie nicht akzeptieren können. Sie akzeptieren überhaupt keinen
Staat Israel, der als Emanzipationsgewalt der Juden fungiert. So
orchestrierte Hassan Nasrallah, Führer der Hezbollah, in Beirut die
größten Aufmärsche des antizionistischen Brüllviehs unter dem
unmissverständlichen Heilsversprechen: „Tod Israels“. Es ist der
selbst erklärte Staatszweck der Islamischen Republik Iran, Israel in
Gänze zu vernichten. Der General der iranischen Revolutionswächter,
Mohammad Ali Jafari, beschwört„Allahs
Willen“, dass Jerusalem das Grab sein wird, wo das „zionistische
Regime“ begraben wird.
Auf
die Türkei und den Iran reduzierten sich lange jene Staaten in der
Region, in denen der Hass auf Israel keine zentrale staatstragende
Funktion besaß. Das änderte sich im Iran abrupt ab 1979 mit der
„Islamischen Revolution“; in der Türkei dagegen schleichend.
Durchziehen auch antijüdische Stereotypen neben den gewichtigeren
antiarmenischen Schuldprojektionen und Verschwörungslegenden von
jeher die türkische Ideologie, sind es vor allem die Muslimbrüder
um Necmettin Erbakan, ideologischer Ziehvater Erdoğans, die aus dem
Gerücht über die Juden jene Negativität speisten, an der sich die
eigene Identität zu realisieren vermochte. Der völkische Mythos,
den Erbakan erzählt,
ist so wahnhaft wie variabel: Nachdem „unsere Vorväter“ – die
türkische Fürstendynastie der Selçuklular, mit der im Jahr 1071
die Türkifizierung Anatoliens begann – die „zionistische
Intrige“ der Kreuzzüge aufgehalten habe, so Erbakan, dürfe der
Kabbala zufolge „kein souveräner Staat“ in Anatolien existieren.
Israel ist also nicht nur ein Unstaat, er ist auch ein Staatenfeind.
Das Anti-Volk – „Zionisten“, „Freimaurer“ und „Kommunisten“
sind für Erbakan Synonyme ein und derselben fleischgewordenen
Verschwörung – hätte alle Völker zu Sklaven gemacht. „Einzig
der Islam bleibt gegen sie. (…) Islam sagt, La ilâhe illallah. Wir
werden vor niemanden außer vor Allah unser Haupt beugen.“
Erbakans
erfolgreicherer Erbe, Staatspräsident Erdoğan, variiert die
Synonyme für das Anti-Volk - „Zins-Lobby“, diejenigen, denen er
in Davos gesagt habe: „one minute“, und so weiter -, um dann doch
nicht eine mehr als explizite Vernichtungsdrohung auszulassen. In
Ankara bezog sich
Erdoğan jüngst auf einen antijüdischen Hadith: „Jene, die denken
Jerusalem gehöre ihnen, sollten wissen, dass sie morgen sich nicht
mehr hinter Bäumen verbergen können.“ In dem Hadith von Muslim
ibn al-Hajjaj, der in Gänze in der Charta der Hamas zitiert wird,
heißt es: „Die Stunde (am Tag des letzten Gerichts) wird nicht
kommen, bis die Muslime gegen die Juden kämpfen. Die Muslime werden
sie töten, bis sich der Jude hinter Stein und Baum verbirgt, und
Stein und Baum sagen: 'Muslim, oh Diener Allahs! Da ist ein Jude
hinter mir. Komme und töte ihn.“
Alles, was
Erdoğan zu „Jerusalem“ zu sagen hat, sagt mehr über ihn aus als
über Israel: Palästina als „unschuldiges Opfer“, der Judenstaat
dagegen als „terroristisches Regime“ und „Kindermörder“. Der
Aggressor spricht über sich selbst, wenn er das blutverschmierte
Bild vom ganz Anderen aufrichtet. Die antisemitische Projektion hat
ihren Ursprung nicht in einem Hadith oder in irgendeiner Sure –
wenngleich sie auch von der Feindseligkeit der ersten Muslime zeugen.
Sie hat einen logisch-historischen Ursprung, der eben nicht in eins
fällt mit dem Ausritt Mohammeds nach Khaibar, jene von ihm
unterworfene jüdische Oase unweit von Medina, die die antijüdische
Rotte zum Gesang inspiriert: „Khaybar khaybar ya yahud jaish
muhammad sa yahud" („Khaibar, Khaibar, oh ihr Juden, die Arme
Mohammed kehrt wieder").
Zu einem ganz
realen Geschwür metastasierte das Gerücht über die Juden noch in
den Jahren vor der Gründung Israels 1948. Die Erben der osmanischen
Konkursmasse waren mit einer Realität konfrontiert, in der der
wiedererwachte Glaube an die Erhabenheit der arabischen Nation
angesichts ihrer militärischen und ökonomischen Unterlegenheit
gegenüber den imperialen Briten und Franzosen tagtäglich
erschüttert wurde. Noch selbst verschuldetes Scheitern erlebten die
Araber vom ersten Tag an als von außen Erzwungenes. Unfähig, das
eigene Spiegelbild zu ertragen, verlor man sich in Opfermythen und
Verschwörungslegenden. Die Existenz Israels wurde zur
Projektionsfläche, an der jedes reflexives Moment exorziert wird.
Sie wird schamlos funktionalisiert, das falsche Alibi dafür zu sein,
die Modernisierung von Ökonomie und Staat nicht bewältigt zu haben.
Unter allen Regimes installierte sich ein Erziehungsapparat, der den
Reflex reizt, jede empirische Uneinigkeit als eine perfide Intrige
von anderswoher wahrzunehmen. Noch in der Türkei, wo die
Modernisierung teils gelang, ist die Krise von Staat und Ökonomie
evident. Wo die eigene Staatlichkeit in genozidalen Morden und einer
gnadenlosen Türkifizierung gründet, hat die pathische Projektion,
die dem Gerücht über die Juden zugrunde liegt, staatstragenden
Charakter.
Von der
zionistischen Immigration nach Palästina, dieser zuvor wenig
beachteten osmanischen Provinz, versprachen sich zunächst nicht
wenige Araber ökonomische Prosperität. Vor allem in Ägypten
liebäugelten die jungen Souveränisten der Hizb al-Wafd mit der
zionistischen Idee. Das änderte sich im Schatten der Faschisierung
Europas. Im Jahr 1928 gründete der charismatische Prediger Hassan
al-Banna mit Weggefährten die al-Ikhwan al-Muslimin. Dieser schnell
wachsende Männerbund agitierte vor allem Beamte des ägyptischen
Staatsapparates sowie auffallend viele Ingenieure. Nicht nur in
diesem Phänomen der Faschisierung der Kopfarbeiter ähnelten die
Muslimbrüder ihren deutschen Verwandten, die sich in jenen Jahren
dem Staat ermächtigten. Die Krise, so die Muslimbrüder, sei der
Ökonomie nur äußerlich übergestülpt, sie sei viel mehr eine
kulturelle Sinnkrise. Es seien Zins und Unmoral, die sie in die
Produktion hineintrügen und als Nadelöhr kommunistischer
Infiltration fungieren. Ägyptische Frauen, die ihren Schleier in
jenen Tagen in den Nil warfen, erschütterten das islamische
Patriarchat. Als militante Tugendwächter überfielen die
Muslimbrüder die Sinnbilder moralischer Degeneration wie Kabaretts,
terrorisierten unkeusche Frauen und vor allem jene, die sie für die
rassische Ausgeburt kommunistischer Subversion, moralischer
Korrumpierung und feministischem Aufbegehrens hielten: die
ägyptischen Juden. Ihre Mobilisierung gegen die jüdische
Immigration nach Palästina folgte aus ihrem Hass auf die Juden als
falsche Personalisierung der auch in Ägypten hereinbrechenden
krisenhaften Moderne. Das Gerücht, das die Muslimbrüder über die
zionistischen Immigranten streuten, war dasselbe wie auch noch heute:
die Zionisten hätten sich zur Zerstörung der al-Aksa-Moschee
verschworen.
Zentrale
Figur bei der antijüdischen Mobilisierung in Palästina war der
Großmufti von Jerusalem: Mohammed Amin al-Husseini, der in großer
Vorfreude den deutschen Nationalsozialisten 1933 zur Ermächtigung
des ganzen Staates gratulierte und auf eine weitere Faschisierung
Europas spekulierte. Im Jahr 1936 rief der Großmufti zur
organisierten Intifada in Palästina auf. Unzählige judenfreundliche
Araber wurden als Kollaborateure ermordet. Im Herbst 1941 floh der
Großmufti aus dem Irak, wo ein prodeutscher Coup d'État scheiterte,
in das Reich der mordbrennenden Deutschen. Zunächst residierte er in
Berlin, später als persönlicher Gast Adolf Hitlers in der
sächsischen Provinz. Von hier aus fabrizierte er im Auftrag des
Auswärtigen Amtes arabischsprachiges Propagandamaterial für die
deutsch-arabische Einigkeit bei der „heiligen Pflicht“, die Juden
zu vernichten. Darüber hinaus war er mit der Organisierung vor allem
bosnisch-muslimischer Legionäre für das Reich vertraut.
Amin
al-Husseini überstand den 8. Mai 1945 bis auf einige turbulente
Wochen der Flucht unbeschadet. Von nun an koordinierte er von Ägypten
aus die Kampagne gegen die Immigration der Überlebenden der Shoah
nach Palästina. Die Muslimbrüder ernannten ihn zu ihrem
Ehrenvorsitzenden, ihr Führer Hassan al-Banna rühmte ihn als
Übervater: „Der Mufti ist soviel wert wie eine ganze Nation. Der
Mufti ist Palästina, und Palästina ist der Mufti. Oh Amin!“ Im
Jahr 1946 gründeten die ägyptischen Muslimbrüder ihren
palästinischen Zweig in Ostjerusalem, aus dem später die Hamas,
arabisches Akronym für „Islamische Widerstandsbewegung“,
hervorging. In der Gründungs-Charta der
Hamas werden „die Juden“ - vom Staat Israel wird nicht gesprochen
– als notorische Verschwörer charakterisiert, die mit der
französischen sowie der kommunistischen Revolution die angestammte
Ordnung in ihrem ganz eigenen Interesse umgewälzt hätten. Sie
hätten das Kalifat beendet und die Muslime in eine dunkle Ära der
Verirrung gestürzt. Nicht, dass irgendein Hadith das hergibt und so
führt die Hamas die russischen „Protokolle“ an, jene vom
zaristischen Polizeistaat verbrochene Hetzschrift, mit der im frühen
zwanzigsten Jahrhundert die sozialrevolutionäre Bewegung als
„jüdisch“ denunziert und zum Pogrom gerufen wurde. In der Türkei
inspirierten die ägyptischen Muslimbrüder Necmettin Erbakan zur
antilaizistischen Erweckungsbewegung Millî Görüş, die auch den
jungen Agitator Erdoğan hervorbrachte. Erbakans Programm der
Konterrevolution – die Zinsverteuflung, die Verherrlichung der
Produktionssphäre und das Lob der Industrialisierung, die
antijüdische Konkretisierung des Abstrakten – ist das der
ägyptischen Muslimbrüder und ähnelt dem der deutschen
Nationalsozialisten.
Das imperiale
Erbe der Europäer war zweifelsohne kein Geschenk der Zivilisierung.
Doch das Wesen antiimperialistischer Ideologie besteht nicht darin,
die Entbarbarisierung gegen alle widrigen Umstände wahrmachen zu
wollen. In letzter Konsequenz bestand der arabische Nationalismus vor
allem in einer dezidierten Parteinahme für die deutsche Ideologie
und gegen die – wenn auch beschränkten – Freiheitsmomente der
Moderne. „Wir waren vom Nationalsozialismus fasziniert, lasen seine
Schriften und die Urväter seines Denkens“, so ein syrischer
Veteran der bis heute herrschenden Hizb al-Ba'ath, der „Partei der
arabischen Wiedererstehung“.
Die
Muslimbrüder, deren Zweige von Großbritannien bis nach Pakistan
verästelt sind, eroberten nirgends die arabischen Staatswesen im
Sturm oder scheiterten, wie in Ägypten unter Muhammad Mursi, nach
nur einem Jahr. In Ägypten, Syrien und anderswo blieben sie ein mit
den Regimes rivalisierendes Großracket, an den ihnen schwärzten
Tagen wurden sie ins Exil gezwungen. Doch die arabischen
Modernisierungsregime – von dem ägyptischen der „Freien
Offiziere“ um Gamal Abdel Nasser, der die „Protokolle“
verteilen ließ, bis zu den syrischen und irakischen Diktaturen der
Hizb al-Ba'ath, letztere richtete autochthone Juden als „Spione“
hin – waren geradezu verdammt dazu, in der antizionistischen
Volksfront über die Krisen der Modernisierung zu täuschen. Unter
ihnen installierten sich die repressivsten Erziehungsdiktaturen, die
das Gerücht über die Juden ganzen Generationen einprügelten. Heute
benennt die palästinensische Autonomiebehörde in Ramallah und
anderswo Straßen und zentrale Plätze nach dem „Märtyrer“
Saddam Hussein, der als wenig frommer Nationalist die irakischen
Juden als inneren Feind verfolgte, später seine Rhetorik
islamisierte und den Vernichtungsfeldzug gegen die kurdischen
Abtrünnigen mit der Sure al-Anfal, „die Beute“, dekorierte. Es
wird kaum zufällig sein, dass sein Gefolge später mit der
irakischen al-Qaida zum „Islamischen Staat“ verschmolz.
Die religiös
gemäßigteren bis säkularen palästinensischen Organisationen wie
die Fatah oder die „Volksbefreiungsfront“ eint mit der Hamas die
quasi-religiöse Anpreisung einer Nation, die den Märtyrertod zu
begrüßen hat. Circa 300 Millionen Euro zahlte die Autonomiebehörde
im Jahr 2016 an die Familien von „Märtyrern“ und solche, die
daran gehindert wurden und in Israel inhaftiert sind, darunter
Kindermörder. Für „Märtyrer“ aus Jerusalem gibt es einen
Bonitätszuschlag. Es sind Imame der Autonomiebehörde, die
tagtäglich den Märtyrertod glorifizieren und den Judenmord als Pfad
ins Paradies beschwören. Der palästinensische Kritiker Bassam Tawil
spricht zurecht von einer „dunklen Kultur von Mord und Tod“,
gefördert auch von Imamen, die von Qatar und anderswo aus agitieren,
sowie den „Kinderopfern“ einer zynisch kalkulierenden
Autonomiebehörde. Generationen an Kindern lehren die Hamas und
Fatah, dass es edel ist, für den Judenmord den eigenen Tod als
Märtyrer auf sich zu nehmen. Der antizionistische Slogan „Freiheit
für Palästina“ meint ganz offensichtlich keine Freiheit für die
Palästinenser. Er meint selbstverständlich kein Plädoyer für eine
Intifada gegen die Hamas, die Fatah und alle anderen Rackets, die den
Palästinensern den Märtyrertod und somit die Verewigung ihres
Elendes aufbürden. Nicht von ungefähr spricht „Freiheit für
Palästina“ vom Namen einer früheren osmanischen Provinz und nicht
von konkreten Menschen. Der Slogan heißt Empathie mit einem Apparat,
der sich, so die Hamas in Berufung auf die Schrift von Hassan
al-Banna, als „Todesindustrie“ rühmt. In der gleichnamigen
Schrift aus dem Jahr 1938 verherrlicht der geistige Führer der
Muslimbrüder die „Liebe zum Tod“ und das „edle“ Sterben für
Allah.
Es ist
schlichtweg eine Lüge, Palästina als Idylle zu zeichnen, in der
nichts als Unschuld herrschte, bevor die Zionisten in sie einbrachen.
Die arabische Nationalbewegung war von Anbeginn eine gegen Juden und
das, was diese für die Judenhasser personifizierten: Aufklärung,
Moderne, kommunistische Subversion und sexuelle Lust. „Die
jüdischen Mädchen“, so Amin al-Husseini empörend,
„demoralisieren unsere Jugend durch ihre bloße Anwesenheit“.
Dass die arabischen Regime des al-Mukhabarat, der omnipräsenten
politischen Polizei, aus sich heraus Paranoia provozierten, ist nur
zu verständlich. Im Gerücht über die Juden kehrt sich diese in
ihrer wahnwitzigsten Form nach außen. Selbst noch bei den
Massenaufständen gegen Muammar al-Qaddhafi in Libyen oder Muhammad
Husni Mubarak in Ägypten kursierten allerhand Karikaturen, auf denen
die arabischen Despoten einen Davidstern trugen.
So
virulent das Gerücht über die Juden auch ist, sagt die schwarze
Prophetie eines „Flächenbrandes“, den europäische Politiker
andauernd beschwören, doch mehr über die falschen Propheten aus als
über die antizionistische Aufwallung der „arabischen Straße“.
Bis auf in den iranischen Satelliten, in Beirut und im jemenitischen
Sanaa, gerieten die „Tage des Zorns“ vor allem zu einem dumpfen
Orchester neo-osmanischer Ambitionen der Türkei. Die türkischen
Muslimbrüder der berüchtigten İHH, die „Anatolische Jugend“ in
Tradition Erbakans sowie die kurdische Konterguerilla der Hezbollah
riefen tagelang zum Empörungsspektakel mit Bühnenprogramm, bei dem
auch ranghohe Funktionäre der Hamas und der kleineren
palästinensischen Harakat al-Jihad al-Islami, originäre
Muslimbrüder mit Begeisterung für Ayatollah Khomeini, auftraten. An
anderen Tagen lädt die „Anatolische Jugend“ zu
Gedächtnisabenden, an denen an die „Märtyrer-Imame“ und
Vordenker der Muslimbrüder, Hassan al-Banna und Sayyid Qutb, sowie
den Mitbegründer der Hamas, Ahmed Yassin, erinnert wird. Über den
Rassenfeind schrieb Sayyid Qutb in einer seiner Schriften: „Allah
hat Hitler gebracht, um über sie zu herrschen; (...) und Allah möge
wieder solche bringen, die die Juden mit der grausigsten Art
bestrafen; damit wird Allah sein eindeutiges Versprechen wahrmachen.“
Die Idole der neuen Türkei sind Judenmörder und die Vordenker der
islamistischen Internationalen. Indessen wird in der nicht weniger
sakralen Süper Lig auf den Rängen „Jerusalem
ist unsere Ehre“ choreografiert –
nachdem zuvor abwechselnd Aleppo, Rakka, Mosul und Kirkuk als die
„Ehre der Türken“ galten.
Dass das
deutsche (als auch das französische und britische) Europa eine
Resolution befürwortet, die von dieser Türkei der Muslimbrüder bei
den „Vereinten Nationen“ eingebracht wurde, ist der eigentliche
Präventivschlag gegen jeden Frieden, der nicht mit Grabesruhe droht.
Während seit Wochen eine deutsch-türkische Versöhnung
herbeigesehnt wird – die Kollaboration hat nie geruht –, gilt in
der türkischen Demokratie der Märtyrer nunmehr ein Dekret im
Gesetzesrang, womit der Lynchmord an „Staatsfeinden“ legitimiert
wird, und rüsten sich die paramilitärischen Rackets Grüner und
Grauer Wölfe zum Kampf gegen die Abtrünnigen.
Die
Lebenssituation für die Mehrheit der Palästinenser ist zweifelsohne
bedrückend. Ihnen ist auferlegt, die Ehre nicht nur „aller
Araber“, nunmehr auch „aller Muslime“ (allen voran „der
Türken“) zu verkörpern – wobei sie in Syrien und dem Libanon
einem Regime unterworfen sind, das sie zwingt, ewig Geflüchtete zu
bleiben; ganz zu schweigen von Kuweit und dem Irak, wo sie als
Kollektivstrafe für die Kollaboration Yasir Arafats mit Saddam
Hussein herausgeprügelt wurden. Ganz offensichtlich misst sich ihr
Wert einzig daran, das Menschenmaterial jener zu sein, deren
antiisraelischer Wahn selbst nur projizierter Geltungsdrang ist. Es
ist folglich systematische Verhöhnung, keine Solidarität, die
Palästinenser darin zu bestärken, dass in dieser
Instrumentalisierung ihre Erlösung aus dem Elend liegen könnte.
Einzig in dem Abschütteln der Protagonisten jener dunklen Kultur aus
Märtyrerglorifizierung und Judenmord könnten die Palästinenser zu
jenen Israelis finden, denen das Verbrüderungsangebot aus der
israelischen Unabhängigkeitserklärung nach wie vor gültig ist.
Dass die jüngsten Aufrufe zur Intifada nicht ganz so viele
Palästinenser überzeugt haben, dass nur zu viele sich vor ihren
fatalen Konsequenzen fürchten, macht ein wenig Hoffnung, dass die
Todesindustrie der Muslimbrüder kriselt. Solidarität mit einem
freien Leben in Israel und Palästina hieße als erstes jene, die das
Räderwerk der Märtyrerproduktion ölen, zu bekämpfen.
Und
noch etwas macht Hoffnung: Im Nordosten und Osten des Irans, vor
allem in Mashhad, erheben sich Tausende von Menschen gegen das
islamistische Verelendungsregime. Ihre Slogans:
„Ihr erwecktet den Islam zum Leben, aber uns machtet ihr bedürftig“
und „Weder Gaza noch der Libanon, unser Leben ist dem Iran
gewidmet“.
* Die
Spaltung der universalen Totalität des Kapitals in eine
naturwüchsige Produktionssphäre und eine verschwörerische
Spekulationssphäre ist zentrales Element antisemitischer Denkform.
Der kapitalisierten Sozietät, die sich ihrer selbst nicht bewusst
ist und innerhalb des selbstzweckhaften Autismus der Verwertung des
Wertes rotiert, ist die Idee einer „Magie des Geldes“ (K. Marx)
und ihrer Personifizierung inhärent. Sie produziert aus sich heraus
jenes Anti-Subjekt, wonach sie verlangt, um ihre eigene Negativität
auf ein Objekt zu bannen und folglich, wie der Priester den Teufel
aus dem Besessenen, auszutreiben. Die „Verdinglichung der
Tauschabstraktion im gemünzten Geld“ (A. Sohn-Rethel) tätigt
jeder Einzelne in der Realabstraktion, er wird sich damit aber nicht
der Sache bewusst, sondern sitzt dem Trug, der in der Form lauert,
nur auf, verfällt dem Geldfetisch und ist geradezu von der „Magie
des Geldes“ eingenommen. Die antisemitische Figur des Juden muss
als Personifikation des Geldes, die die materielle Repräsentanz der
Abstraktion ist, auch den fetischisierten Charakter des Geldes
inkarnieren: universaler Geltungsdrang und dämonische Magie.
** Zur
rassenlehrerischen Idiotie, Araber könnten als „Semiten“
unmöglich Antisemiten sein, sagt eine deutsche Anordnung aus dem
Jahr 1943 bereits alles: Man möge der Bitte des Großmuftis
nachkommen und fortan auf die positive Verwendung des Wortes
Antisemit verzichten, um die Araber nicht auch nur in die Nähe der
Juden zu rücken.
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