Abdurrahim
Boynukalın ist der Prototyp des frommen Karrieristen. Der nunmehr
28jährige Vorsitzende der AK Parti Jugend absolvierte die
ehrwürdige City Universität in London, verfügt über einen Master
in Medienkommunikation sowie über ein gepflegtes Äußeres auf
Instagram, Facebook und Twitter, wo er bei Allah um Beistand für die
syrische al-Qaida, die Jabhat al-Nusra, bittet.
Abdurrahim Boynukalın war es, der das Brüllvieh orchestrierte,
das jüngst die Redaktion der kemalistisch-laizistischen „Hürriyet“
demolierte. Sie seien nicht gekommen als „Individuen aus der AK
Parti“, so Abdurrahim Boynukalın bevor das Glas zersprang, sie
seien gekommen als „Brüder all unserer Märtyrer, unserer Brüder
aus der Ummah, in Syrien, dem Irak und Myanmar“. Sie drohen all
ihren Kritikern nicht allein damit, dass ihnen der türkische
Repressionsapparat eigen ist, sie drohen allen als 'Ungläubige'
markierten Kritikern, an ihnen Rache zu nehmen für die 'Märtyrer
der Ummah' .
Einige
andere fromme Karrieristen, die ihren Erfolg an das Regime der AK
Parti knüpfen, sind die „Anatolischen Löwen“ (Anadolu Aslanları
İşadamları Derneği - ASKON), eine Interessenvertretung
muslimischer Industrieller. In absoluter Loyalität äußern sie sich
auch über Politik. Und sich dem Wahn hingebend vereinigen sie nahezu
alle kursierenden Verschwörungsgerüchte. Während der Erhebung im
Jahr 2013 gegen die Despotie der AK Parti inserierten sie eine
Solidaritätsadresse an ihren Atatürk Tayyip Erdoğan. Der Protest
könne nur eine Verschwörung sein, da er doch in jenem Moment
aufkomme, wo der “Tyrann Israel” sich die Nase reibe, wo die
Türkei unter der AK Parti bald den letzten Zins abzahle und sie den
“unterdrückten Völkern” den Pfad vorgetrampelt habe. Nicht
anders in diesen Tagen: Die PKK ist ihnen ein
terroristisches Instrument der Imperialisten, eine perfide Strategie,
um Chaos zu säen und Unterwürfigkeit zu ernten.
Im Wahn von
der Spaltung konkurrieren islamisierte Nationalisten wie die Grauen
Wölfe und nationalisierte Islamisten wie die Muslimbrüder der AK
Parti. Dieser Wahn gründet wie die türkische Nation selbst im
Genozid an den anatolischen Christen und in einer Tradition an
Pogromen und Verfolgungen von allen weiteren nicht-muslimischen und
nicht-türkischen Minoritäten. Die Paranoia, die Ermordeten und
Verleugneten könnten aus ihren Gräbern aufstehen und als
pseudokonvertierte Christen und Juden, als 'zionistische
Konspiration' oder 'armenische Diaspora' Rache nehmen und den Keil
ins imaginierte Vaterland treiben, ist das Bindeglied zwischen diesen
faschistischen Ideologen. Die verdrängte und projizierte Schuld
schlägt um in präventive Aggression.
Der
Verschwörungswahn ist die geistige Abrichtung auf das Pogrom.
Systematisch suchten in den vergangenen Tagen Grüne und Graue Wölfe
die Parteibüros der säkularen und antinationalistischen Halkların
Demokratik Partisi (HDP) auf, nachdem das absurde Gerücht
kolportiert worden ist, der Co-Vorsitzende der Oppositionspartei,
Selahattin Demirtaş, sei der Dunkelmann hinter den Soldatenmorden.
Unter dem Gebrüll „Allahu Akbar“ und „Märtyrer sterben nicht,
das Vaterland ist nicht zu teilen“ („Şehitler Ölmez Vatan
Bölünmez“) gingen Provinzbüros in Brand auf,
selbst in der Ankaraer Parteizentrale brannte es, den Bedrängten
gelang mit Fortuna die Flucht. Anderswo wurden Restaurants, die dem
Verdacht nach „kurdisch“ sind, demoliert,
Passagiere auf der Fahrt in den Südosten im Steinhagel eingegraben,
Kurden verprügelt und gezwungen, die türkische Flagge oder Statuen
Atatürks zu küssen. Die Szenerie glich sich in Istanbul, Ankara,
Bursa, Izmir, Antalya, Konya, Malatya, Kayseri und nahezu allen
weiteren türkischen Provinzen. Während die Militärpolizei durch
das zerschossene Cizre patrouilliert und durch das Chassis dröhnt:
"Ihr seid alle Armenier, ihr seid armenische Bastarde"
(Hepiniz
Ermenisiniz, Ermeni Piçisiniz),
ist der Schlachtruf der islamisierten Nationalisten im einstigen
Istanbuler Christenviertel Şişli, wo am 19. Januar 2007 Hrant Dink
ermordet worden ist, „Wir verwandeln Şişli in ein armenisches
Gräberfeld“. Ergänzt wird diese Mordphantasie durch den
Unterschied, den Graue Wölfe selbst zwischen sich und dem Regime der
AK Parti machen: "Wir wollen keine Militäroperation, wir wollen
ein Massaker" (Operasyon
değil, katliam istiyoruz).
„Chaos
oder Stabilität“, droht das Regime der AK Parti und beschwört,
falls sich doch gegen sie entschieden wird, den Tod. Taner Yildiz,
Muslimbrüder in Ministerwürden, sinnt es danach, „als Märtyrer
für Vaterland, Religion und Nation zu sterben“ - überlässt diese
Ehre aber natürlich anderen. Der nationalistische Furor eskaliert
indessen auch in der türkischen Diaspora. Ein kurdischer Flüchtling,
der syrischen Hölle aus Assads barrel bombs und jihadistischem
Halsabschneiderkommando entkommen, wurde in Hannover an der
Halsschlagader getroffen, nachdem ein Rudel an Grauen Wölfen über
ihn herfiel. Er überlebte nur knapp. Auch anderswo kommt es zu
Übergriffen.
Wie auch bei
den nur durch groben Zufall nicht tödlich endenden Aggressionen von
Freunden des genozidalen Jihads gegenüber Eziden und anderen im
vergangenen Jahr in Herford, Solingen und anderswo, droht wieder,
dass auch in diesen Tagen die Bluttaten geschehen ohne dass
Ideologiekritiker islamistischer und nationalistischer Barbarei
konsequent Partei ergreifen. Es droht erneut, dass sie den
Schlächtern die Entscheidung über Leben und Tod all jener
überlassen, die dem Gebrüll nach Unterwerfung, nach absoluter
Einheit unter der blutgetränkten Flagge mit Halbmond, also der
nationalistischen und islamistischen Hetze nicht folgen. Nach Syrien
droht auch die Türkei in den Höllenschlund aus Repression und
Racketisierung abzurutschen. Und wieder schweigen wir als
kosmopolitische Kommunisten.
Lassen wir
die Verfolgten nicht allein. Tod der Barbarei.
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