Es ist eine
der fatalsten Neigungen des kriselnden Subjekts, sich und das
Kollektiv, in das es gebettet ist, abseits der Totalität des
Kapitals zu halluzinieren und Kapital und Krise im Objekt zu
personifizieren. So akkumuliert das Subjekt das Moralin, womit es
verschleiert, dass sein eigener bornierter Zweck nur die Akkumulation
von Kapital ist. Dass die Krise ein Fremdkörper sei, ist deutscher
Konsens.
Die
khomeinistische Despotie im Iran, die sich unter der Totalität des
Kapitals als das absolut Andere suggeriert, aber nichts mehr fürchtet
als den Ausschluss von den Märkten, akquiriert ihr Selbstbewusstsein
aus den Krisen der anderen. Wie die „Worte der Islamischen Republik
über die Unfruchtbarkeit des marxistischen Systems“ sich bewährt
hätten, erfolge nun selbiges mit dem kapitalistischen System,
prophezeite jüngst Ali Khamenei (1). Brigadegeneral Masoud Jazayeri
ersieht in dem Krisenspektakel Occupy Wall Street (OWS) eine Intifada
(2) und Mohammad Reza Naqdi, Kommandeur der Basij-e Mostaz'afin (die
Mobilisierten der Unterdrückten), lanciert den virtuellen Jihad:
„Wall Street fall“, so der Name einer islamistischen Variante von
Occupy (3). Einer seiner Basijis konkretisiert: wenn die Revolte
gegen das ein Prozent des Kapitals nur vom „islamischen Erwachen“
beseelt werde und seine Werte annehme, werden die „Vereinigten
Staaten fallen“ (4). Basiji-Kommandeur Naqdi verheißt sodann,
250.000 seiner Untergebenen in Solidarität mit dem Occupy Wall
Street Movement zu mobilisieren (5).
Doch es waren
nur wenige Büttel des Regimes, nie mehr als 200 durstige Kehlen, die
auch nichts anderes machten als die Jahre zuvor: „Tod Israel“ zu
grölen. Dass die Krise ein Fremdkörper sei, ist eben kein
iranischer Konsens.
Anders sehen
das deutsche Antiimperialisten. Ihnen ist das khomeinistische Regime
eine authentische Inkarnation nationaler Souveränität. Der
Völkerrechtsideologe Norman Paech rauft sich die Haare, dass man mit
Israel einen Staat, dem er „die Symptome eines ‚Failing state’,
eines ‚gescheiterten Staates’“ attestiert, am Leben hielte,
während man sich gegen den „immer dominanter(en)“ Iran zum
Regime Change verschwöre (6). „Gescheiterter Staat“, so die
jüngste Chiffre für das jüdische Anti-Subjekt. Die Macht aber ist
dem antiimperialistischen Ideologen ein Faszinosum und das
khomeinistische Regime im Iran ein resoluter Souverän, der sich
keinem Diktat von außen unterordne. Dabei ist das Verhältnis der
antiimperialistischen Ideologen zum Iran vollends ein
instrumentelles: nicht der khomeinistischen Kontrarevolution, also
dem islamischen Erwachen „als Emanzipationsprozeß der
Volksklassen“ (junge Welt) gilt das eigentliche Interesse – man
würde auch nichts Weiteres als Brotkrümel gegen Loyalität bis in
den Märtyrertod konstatieren können. Die Islamische Republik Iran
erfährt die Verbrüderungsgesten antiimperialistischer Ideologen nur
mittels ihrer Funktion als anti-US-amerikanische und antizionistische
Projektionsfläche. In den Vereinigten Staaten von Amerika wird die
abstrakte Totalität des Kapitals konkretisiert, nicht nur weil sie
als militantes Organ des Wertgesetzes – eine Funktion, die sie mit
der Zwangspazifisierung der Deutschen einnahmen – global
intervenieren. Ihrer nationalen Konstitution fehlt es an
Autochthonität, an dem Schein, ein Organismus - ein Staat des ganzen
Volkes – und keine kapitalisierte Sozietät zu sein. Im
anti-US-amerikanischen Ressentiment modifiziert sich der Hass auf die
Juden, deren durch religiöse Verfolgung erzwungene Mobilität, als
Wurzellosigkeit denunziert, mit der „Magie des Geldes“ (Marx)
identifiziert wird. Dass das Geld das „reale Gemeinwesen“ der
kapitalisierten Gattung ist, wird abgespalten und verschoben auf den
kosmopolitischen Bastard, die Vereinigten Staaten von Amerika, denen
es daran mangelt, dass Bourgeois und Citoyen nicht vollends zur
autochthonen und kollektivhörigen Produktivbestie verschmolzen sind,
sondern ersterer als bornierter Egoist einer ungnädigen Konkurrenz
sich ungeniert verrät. Zur Kritik der des kapitalistischen Irrsinns
kommt diese antiimperialistische Ideologie nicht, weil sie weder
einen kritischen Begriff von der Totalität des Kapitals hat noch von
der dieser Totalität immanenten Krisenexorzierung: dem
Antisemitismus.
Jüngst
empfing Fidel Castro den iranischen Staatspräsidenten Mahmud
Ahmadinejad auf Kuba. In der jungen Welt las man, wie er den
Schwulenmörder erlebte: „voller Vertrauen in die Fähigkeit seines
Volkes, jeder Aggression zu begegnen“ sowie in „die Effizienz“
der iranischen Produktion des Todes (etwa auch in die mit der
Heilsparole „Israel muss ausgerottet werden“ beschrifteten
„Shahab 3“-Raketen … ). Castro sei sich zudem sicher, dass das
khomeinistische Regime nichts dazu beitrüge, was einer Aggression gleich käme. (7) Würde Castro, dem man seinen
Anti-US-Amerikanismus bei mindestens acht verfehlten Anschlägen auf
sein Leben, nicht aber seine Kumpanei mit den khomeinistischen
Dissidentenkillern nachzusehen hat, sich für den Iran interessieren,
er müsste es besser wissen: Ahmadinejad selbst beschuldigte jüngst
die Getreuen Khameneis, dass sie, allein um ihn zu schwächen, einen
Konflikt mit dem Westen bewusst provozieren. Ende November wurde Ali
Akbar Javanfekr, ein Intimus Ahmadinejads und unlängst noch Direktor
der regimeamtlichen Islamic Republic News Agency (IRNA), aus seinem
Büro geprügelt und inhaftiert. Javanfekr sprach zuvor von der
organisierten Subversion einer Khamenei-treuen Bande. Diese sabotiere
die Beziehungen zu Saudi-Arabien und der Türkei, hielte dem
ba`thistischen Regime in Syrien die Treue, ruiniere also die
Reputation Irans unter den Arabern, und provoziere eine militärische
Konfrontation in der Meeresenge von Hormuz (8). Der gescheiterte
Staat ist die Islamische Republik Iran, beherrscht von konkurrienden
Rackets, die nur noch im Hass auf Israel sich synthetisieren.
Die Rackets
der khomeinistischen Despotie scheitern noch bei der Mobilisierung
zur rituellen Krisenexorzierung: dem kollektiven „Marg bar
Esraiil“. Die Lüge antiimperialistischer Ideologen, das
khomeinistische Regime sei ein friedliebendes, ist vom eigenen
Staatspräsidenten des Irans aufgeklärt worden. Die Phrase dagegen,
niemand werde von der Islamischen Republik Iran bedroht (9), liest
sich wie ein stilles Bejahen der khomeinistischen Heilsideologie:
„Tod Israel“. Dialog, Dialog, Dialog, ist der
antiimperialistische Appell an den deutschen Souverän, der die Jahre
zuvor nichts anderes gemacht hat: Dialog des BND mit den Killern des
VEVAK, in dem Spionage, Repression und staatsterroristische Aktionen
wie die Liquidierung von Dissidenten zu einem Ministerium
verschmolzen sind; Dialog zwischen Produktivdeutschen und dem Iran
über Repressionstechnologien; Dialog zwischen deutschem
Abschiebungsapparat und den Häschern von geflüchteten Schwulen und
Apostaten; Dialog zwischen deutschen Parlamentariern und
Steinigungsapologeten über Goethe und Solarenergie.
Vor weniger
als einem Jahr kam es zu den letzten größeren Aufständen in Tehran
und anderswo. Man hoffte, die Revolten gegen die herrschenden Clans
und Staatsapparate zunächst in Tunesien, dann in Ägypten, Syrien
und so weiter würden auch die Menschen im Iran ermutigen, sich nach
einjähriger Grabesruhe zu erheben. Unter dem Ruf „Weder Gaza noch
Libanon, es sind Tunesien, Ägypten und Iran“ verweigerten sie sich
der kollektiven antisemitischen Projektion und forderten die
Verbannung der Religion aus dem Politischen (10). Doch die Grabesruhe
aus erpresstem Schweigen brach wieder über sie herein. In Ägypten
triumphieren die islamistischen Tugendterroristen in den Parlamenten,
während das Militärregime Kritiker, Deserteure und Hungernde in die
Knäste stopft. In Syrien wird die säkulare Opposition zunehmend
zerrieben zwischen der gnadenlosen Gewalt des ba`thistischen Regimes
und islamistischer Kontras (11). Und in Libyen herrscht nun der Run
auf die Beute: das eingefrorene Geld der Firma al-Gaddafi, die
Rohölrente, das atmende Material an jungen Männern mit Kalaschnikow
und Koran. Zumindest haben die herrschenden Milizen sich mit ihren
Pogromen gegen dunkelhäutige Immigranten hinreichend für jene
Funktion empfohlen, die zuvor das al-Gaddafi-Regime eingenommen
hatte: als vorgelagerter Rammbock gegen Migration.
Wo der
herrschende Clan verschwand, blieben die Mühlen, in denen das
Individuum zerrieben wird: Kaserne, Koran und die nicht tilgbare
Überflüssigkeit vorm Kapital. Nirgends ruht die Gewalt.
Wahr ist,
dass die Menschen im Iran nichts zu verlieren haben außer
Milizklüfte, Leichentücher, die ihre Sinne begraben, und ihr Leben.
Die gekonterten Revolutionen anderswo geben eine böse Vorahnung, wie
das khomeinistische Regime in seinen letzten Tagen zu rasen beginnen
könnte.
Die
Konstitution der Islamischen Republik war die reaktionäre Wendung
der antimonarchistischen Revolution und zugleich Resultat einer bösen
Kumpanei. Viele hatten an ihr teil, vor allem auch die leninistischen
Kaderparteien, die noch in den Folterhöllen die antiimperialistische
Bande mit dem khomeinistischen Regime beschworen. Die iranischen
Filialen des Marxismus-Leninismus, Tudeh und die Mehrheit der
Volksfedajin, riefen nicht nur zur Beschwichtigung gegenüber den
khomeinistischen Kontras auf, als bereits ihre Parteibüros gestürmt
wurden und immer mehr Genossen in die Folterhöllen des Regimes
verschwanden. Sie kooperierten auch mit der khomeinistischen
Repressionsmaschinerie, um konkurrierende Organisationen zu
zerschlagen. Denn es gab von Beginn an auch einen unversöhnlichen
Kampf gegen die islamistische Wendung der Revolution: die Erhebung
der Frauen gegen die Zwangshijabisierung (im März 1979),
rätedemokratische Organisationsformen - und auch marxistische
Gruppierungen (wie Peykar, Rahe Kargar und viele kleinere
Splitterparteien) kritisierten noch in den ersten Tagen, mit rostigem
ML-Vokabular, den offen faschistischen Charakter der khomeinistischen
Despotie. In der elektronischen Datenbank Omid: a Memorial in Defense
of Human Rights finden sich die Namen hunderter Marxisten, die
bereits tot waren als im Jahr 1982 die Massenverhaftungen von über
5.000 Tudeh-Genossen begannen. Bis zu 12.000 Regimegegner wurden
allein zwischen August 1988 und Februar 1989 hingerichtet.
Unter dem
Reformkhomeinisten Mohammad Khatami zog die Islamische Republik ihre
eigene jüngere Opposition heran: Zeitungen, die sich dem Reformismus
verschrieben, wurden legalisiert – und alsdann wieder illegalisiert
-, Reformkomitees an den Universitäten organisierten sich – und
wurden alsdann wieder zerschlagen -, und so weiter. Somit aber wurde
die säkularisierte Jugend von den Apparaten des Reformismus - nie
vollends - absorbiert. Die Revolte im Jahr 1999, von Khatami
verraten, war dann die erste schwere Krise des Reformismus. Aus einem
Querschnitt aus politischem Kalkül und Naivität suchten die
Regimekritiker im Juni 2009 erneut die Nähe von Reformkhomeinisten:
Mir Hossein Mousavi und Mehdi Karroubi. Der Organisationsapparat
schien unersetzlich; die Fraktionierung des Regimes als Garantie
einer Minderung der Repression. Auf der Straße emanzipierte man sich
alsdann von den reformkhomeinistischen Vaterfiguren: während des
al-Quds-Aufmarsches, an dem Khatami wie Mousavi traditionell
teilhaben, konterten hunderttausende Menschen die nationale
Formierung nach den Kriterien des Antizionismus: auf „Tod Israel“
der Regimetreuen folgte penetrant ein noch viel stärkeres „Tod den
russischen und chinesischen Kollaborateuren des Regimes“ und
„Putin, Chávez, Nasrallah, ihr seid die Feinde des Irans“. Doch
riskierte man nicht gänzlich, mit den Reformkhomeinisten zu brechen;
eine endgültige Abrechnung blieb bis heute aus. Doch wie auch die
letzten Organisationsstrukturen aufgeben, wo Konspirativität im
Untergrund auch Vereinzelung und gröbste Repression zur Folge hat …
Für den 2.
März 2012 war es den Menschen im Iran, also den Objekten der
Despotie, verordnet worden, daran teilzuhaben, mit der
Abgeordnetenwahl für das Nationalparlament Majles die „Islamische
Republik“ demokratisch zu legitimieren. Dieser Tag, so Ali Khamenei
Ende Februar, werde „eine noch härtere Ohrfeige“ gegen die
Feinde der Islamischen Republik werden als der 22. Bahman, dem
ausgedünnten regimeinszenierten Aufmarsch am Ehrentag der
Islamischen Revolution (12). Während der Mobster Mohammad Reza Naqdi
eine demokratische Erhebung des Volkes unter dem Banner der
Islamischen Republik prophezeite, dämonisierte der Klerus aus Qom
einen drohenden Boykott als „Sünde“ (13). Als es so weit war,
war der Propagandaapparat des Regimes aus Fars News Agency (FNA),
Islamic Republic of Iran Broadcaster (IRIB) und anderen nur zu
bemüht, nahezu einen jeden zu porträtieren, der der „religiösen
Pflicht“ nachkam, die Islamische Republik demokratisch zu
legitimieren (14). Freudig präsentierten die Regimetreuen die
gestempelten Identifikationskarten, die wie Schlüssel sind zum
islamischen Klientelsystem aus Rationierungen, Subventionen und
meistens doch nur Brotkrümeln und der Lizenz zum Prügeln. Und die
ökonomische Krise droht, einen jeden zum Objekt islamischer
Betreuung zu erniedrigen. Doch so viele können es nicht gewesen
sein, die sich erniedrigen ließen. Auf dem YouTube Channel des
Freedom Messengers sieht man verwaiste Lokalitäten, in denen man
aufgerufen war, an der demokratischen Lüge teilzuhaben. Nicht nur in
Tehran auch in Mashad, Ahwaz, Isfahan, Hamedan, Karaj, Ghazvin und
Shiraz saßen sich nur zu oft die Regimetreuen die Hintern wund –
bis die Fotografen von Fars und Co. auftraten. Freunde, die im Iran
leben, bestätigten mir diese relative Leere. Und so erwachten Tote,
wie in der Provinz Ilam, und anderswo verschwanden 2,5 Millionen
Menschen, wie in den Provinzen Tehran und Alborz, um die nötige
Quote zu erreichen.
Man sollte
denken, die Inszenierung des demokratischen Spektakels habe in einer
nackten Despotie wie dem Iran so oder so ausgedient. Gibt doch das
Majles vor allem die Kulisse ab, vor der brüderlich gegen Israel
gehetzt wird um im nächsten Moment sich unversöhnlich anzufeinden:
wie aktuell die islamischen Protestanten um Mahmud Ahmadinejad und
jene, die das absolute Privileg des Klerus gegen die Laien zu
verewigen denken. Doch ein Boykott trifft einen empfindlichen Nerv
der Islamischen Republik. Nur im Schatten der Mobilisierung der
Mostaz'afin, der überflüssigen Massen, konnte der Terror der
khomeinistischen Kontrarevolution im Jahr 1979 entfesselt werden.
Darin, dass die Khomeinisten für einen Moment – in der sozialen
Revolution gegen das monarchistische Regime und zugleich gegen die
Sozialrevolutionäre – die subproletarische Masse der Überflüssigen
als die berüchtigten Basij-e Mostaz'afin mobilisierte, liegt das
Selbstbewusstsein der Islamischen Republik. Waren es doch jene vom
Klerus sabotierten Agrarreformen, die die Flucht in die Städte
verstärkten, wo die Mostaz'afin vor der dauernden Konfrontation mit
der eigenen Überflüssigkeit in die Moscheen flüchteten. Diese
Entfaltung nationaler Souveränität zur klerikalen Despotie ist den
antiimperialistischen Freunden des Volkes nur zu oft ein
schaurig-schönes Rätsel geblieben – obgleich es zuerst die
iranischen Genossen waren, die von den Mühlen der Repression
zermahlen wurden. Und so reisten jüngst einige akademische Vordenker
des OWS-Movement nach Tehran, begrüßt zum Dialog über das ein
Prozent, um nebenbei die khomeinistische Despotie als den
authentischen Souverän über das Leben der Gedemütigten und
Verachteten im Iran zu beglaubigen.
Querfront
gegen Israel
Während im
Iran das Heilsversprechen „Marg bar Esraiil“ - in einem Moment,
wo die Menschen es riskiert haben, es zu kontern – sich blamiert
hat, der organisierte Hass auf Israel als Pazifisierungsaktion nach
innen vorerst gescheitert ist, gilt die khomeinistische Despotie dem
antizionistischen Internationalismus noch als eine edle Adresse. Für
den 30. März rufen die Islamische Republik Iran und die
Internationale der Muslimbrüder, flankiert von US-amerikanischen und
europäischen Feinden Israels wie dem notorischen Campo
Antiimperialista, zum Global March to Jerusalem (GMJ) auf (15).
Während in Syrien das mehr und mehr isolierte Ba`th-Regime bei der
brutalen Zerschlagung der von Muslimbrüdern islamisierten Revolte
von dem khomeinistischen Regime gestärkt wird, die Gerüchte nicht
abreißen, dass die ba`thistischen Todesschwadronen von iranischen
Pasdaran direkt instruiert werden und seit einem Jahr Flaggen der
Islamischen Republik Iran und ihrer libanesischen Filiale in den
Bastionen der oppositionellen Muslimbrüder verbrannt werden und auch
die Hamas sich mehr und mehr von den iranischen und syrischen
Kumpanen distanziert, vereint man sich im Hass auf die
Emanzipationsgewalt der Juden, den Staat Israel, dann doch wieder –
ohne dass an der syrischen Front der Tod durch das Schrapnell oder
das oppositionelle Hinrichtungskommando auch nur für einen Moment
ruht. Man sollte denken, dass jeder Mensch, der zumindest ein wenig
Interesse an den Menschen und ihrem Unglück hat, sich empört über
die projektive Versöhnung an dem Objekt Israel, das den Despotien
und ihren Konkurrenten das Alibi für jede Bestialität ist. Doch die
empirischen Menschen sind dem Antizionismus nur eine Bagatelle.
Im
Antizionismus verrät sich der Unwille, das einzig Vernünftige zu
tun: mit einer Sozietät, die von den konkreten Individuen absieht,
um sie als Exemplare der kapitalisierten Gattung zu konstituieren,
die alsdann aus dem Blut und Boden einer Nation erwachen, Schluss zu
machen. Der Antisemitismus ist das Kompendium, sich wider die
Vernunft abseits der Totalität des Kapitals zu halluzinieren und
Kapital und Krise im Objekt zu personifizieren; er ist - wie seine
geopolitische Reproduktion im Antizionismus - Verdrängung und
Beschwichtigung, Spaltung und Verschiebung, wahngeschwängerte
Projektion und exorzistische Austreibung des falschen Ganzen. Israel
garantiert in eben jenen falschen Formen von Staat und Nation das
Asyl der antisemitisch Bedrohten; als militanter Souverän gegen die
präventive Kontrarevolution des Antisemitismus ist Israel aber der
einzige Staat, der eine nicht zu bezweifelnde Legitimität hat. Wer
Staatskritik zuerst als Israelkritik vorbringt, ist kein
Staatskritiker, sondern Antisemit, für den Israel der Jude unter den
Staaten, also kein wahrer Staat ist: ein „Staat aus der Retorte“,
ein „virtueller Staat“, ein integrationsunwilliger, „kolonialer
Fremdkörper“ oder eben ein „Krebsgeschwür“.
Eine
Solidarität mit den Menschen, die in der Hölle Gaza zu leben
gezwungen sind, würde sich doch empören, wenn Rackets wie die
Popular Resistance Committees (PRC) oder der Palestinian Islamic
Jihad (PIJ), finanziert und instruiert von Tehran, den Menschen in
Gaza den Jihad im Interesse der khomeinistischen Despotie
aufoktroyieren. Mahmoud Abu Rahma, ein Dissident aus Gaza, wurde
abgestraft, weil er, ohne ein Freund Israels zu sein, aussprach, was
die Freunde Palästinas nicht interessiert: den Terrorismus
palästinensischer Rackets gegen die Eigenen (16). Sie graben ihre
Artillerie in Wohnstraßen ein und zwingen Menschen dazu, in
ihrer Nähe auszuharren. Militärmanöver werden von Kindern
flankiert, explodierende Munitionsdepots und der Stahlschrott
präzisionsloser al-Qassams verstümmeln und töten Menschen,
Kritiker werden drangsaliert. Während es Israels Interesse ist,
möglichst präzise jene jihadistische Artillerie – vom Iran
imitierte BM-21 Grad und ähnliches – zu neutralisieren, ist es das
Kalkül palästinensischer Rackets menschliche Kollateralschäden zu
produzieren: totes Material für ihren Propagandaapparat. Nicht
selten, dass die al-Qassam-Kommandos von Kindern flankiert werden.
Auch nicht selten, dass Kinder durch Querschläger aus den
Munitionssalven der Hamas getötet und dann als
unschuldige Opfer Israels präsentiert werden (17). Verschwiegen wird
von der Israelkritik, dass nicht nur die Hamas sich offen einer
Todesindustrie rühmt, die das palästinensische Volk perfektioniert
habe (18).
Die Menschen
in Gaza und anderswo werden nicht nur auf das Opfer im Interesse
anderer verpflichtet, viel mehr noch auf eine völkische Identität.
Sie sind den Israelkritikern nicht Subjekt ihrer Emanzipation, viel
mehr nur lebendes Material für den völkischen Selbstzweck:
„Palästina – das Volk wird dich befreien“. Als im September
2011 Mahmoud Abbas sich um die Aufnahme der Palestinian Authority
(PA) als eigener Staat in die United Nations bemühte, konkretisierte
seine Palestine Liberation Organization (PLO) sodann, dass kein
Palästinenser, der vor der Nakba (1946 bis 1949) im heutigen Israel
lebte, das Recht habe, Staatssubjekt zu werden. Sie – und jedes
ihrer Kinder, Enkelkinder und so weiter - werden verpflichtet, auf
ewig Heimatvertriebene zu sein (19). Verschwiegen, dass nicht
wenige Araber das spätere Staatsterritorium Israels verließen, weil
die arabischen Führer dazu aufriefen. Denn diese fürchteten, dass ihr Menschenmaterial dem Friedensappell in der
israelischen Unabhängigkeitserklärung folgen könnte. Andere Araber
flüchteten, weil sich in ihren Dörfern die Mörderbanden des
NS-Kollaborateurs und Muftis Mohammad Amin al-Husseini eingegraben
haben. Manche Geflüchtete unter ihnen – und ihre Kinder und Enkel
– leben heute unter Zwang in libanesischen oder syrischen Ghettos.
Nie hat der Antizionismus daran gedacht, die Repression des syrischen
oder libanesischen Souveräns gegen die Palästinenser zu
kritisieren. Nie würde man die jüdischen Israelis, die vor Pogromen
aus Ägypten, Syrien, Libyen oder dem Irak flüchteten, noch heute
Refugees nennen. Im Libanon wird den Palästinensern verwehrt, auf
dem nationalen Arbeitsmarkt zu konkurrieren (20). So sind die
Palästinenser vollends den Racketstrukturen unterworfen. Aus den
circa eine Million Arabern, die in den Jahren der israelischen
Staatswerdung (1946-49) sowie 1967 vor Konflikten, Repressalien und Hunger
flüchteten oder dem Aufruf ihrer Führer folgten, sind heute fünf
Millionen geworden, die von der UN Agency for Palestine Refugees
(UNRWA) als „Palestine refugees“ kategorisiert werden. Das Elend,
flüchtig zu sein, wird vererbt – und es ist im Interesse nicht nur
der arabischen Regime: so sind die libanesischen Ghettos der
Rekrutierungspool für die palästinensischen Rackets, die dort ihr
Menschenmaterial einschwören, für eine imaginierte Blut und
Boden-Identität das Leben zu opfern. Die präventive
Kontrarevolution Global March to Jerusalem rühmt sich, dass sie es
im Libanon zur größten GMJ-Koalition aus Muslimbrüdern und
Panarabisten gebracht hat. Kein Wort zu dem Elend der Palästinenser
im Libanon. Kein Wort über die brutalen Stellungskämpfe zwischen
syrischem Regime, der schiitisch-libanesischen Amal und verfeindeten
palästinensischen Rackets in den 1980ern und libanesischer Armee und
sunnitischen Jihadisten wie zuletzt im Jahr 2007.
Die Menschen
gelten dem Antizionismus nur dann als Unterdrückte, wenn sie zu
Zwecken Anderer zu mobilisieren sind. Anderweitig werden sie von der
Todesstille begraben. Während der saudische Klerus zur Tötung des
syrischen Despoten al-Assad aufruft, weil dieser Moscheen zerstöre,
aber nicht seine Pflicht tue, den Golan zu verteidigen, wittert das
al-Assad-Regime eine zionistische Konspiration hinter der Revolte.
Das ist das Verhängnis der arabisierten und islamisierten Subjekte,
die in ihrem antisemitischen Wahn von den antiimperialistischen
Freunden Palästinas noch bestärkt werden. Die säkulare Revolte im
Iran ist die einzige, die sich dieser kollektiven Krisenexorzierung
entzogen hat. Es ist zu hoffen, dass ihr Schweigen baldigst endet.
Diese Todesstille ist unerträglich.
(1) „Today
the Islamic Republic's words about the unfruitfulness of the Marxist
system have been proved and the same thing is happening to the
capitalist system." Zitiert nach Fars, 13.10.2011; siehe zudem
MEMRI Special Dispatch Nr. 4258.
(2) Im
Gespräch mit Alalam TV (http://www.alalam.ir/), 9.11.2011. S. MEMRI
Special Dispatch Nr. 4268.
(3) S.
wsfall.com.
(4) „You
must understand that if the Occupy Wall Street labor movement in the
U.S. is influenced by the Islamic awakening, and changes the movement
in any morals, the United States will fall." In: Press TV,
31.10.2010. S. MEMRI Special Dispatch Nr. 4242.
(5) Khabar
(www.khabaronline.ir), 16.11.2011.
(6) Paech:
Wer überlebt?, in: junge Welt, 22.12.2011.
(7) junge
Welt, 14.01.2012.
(8) S. den
oppositionellen Freedom Messenger, 17.01.2012.
(9) So etwa
die Broschüre gegen die diesjährige SIKO in München oder der
nationalpazifistische Appell von deutschen Akademikern.
(10) S. „Die
vergessene Revolte“ auf meinem Blog, 30.03.2011.
(11) Die
US-amerikanisch-britisch-französisch-türkische Allianz mit den
schariatischen Despotien des Gulf Cooperation Council (GCC) gegen das
libysche und syrische Regime erinnert weniger an die Konstellationen
in Afghanistan in den Jahren 1979 bis 1989, wie es in der jungen Welt
in Solidarität mit den Ba`th-Killern suggeriert wird. Denn – und
das ist ein Unterschied ums Ganze - findet sich unter der
ba`thistischen Despotie in Syrien kaum Menschenfreundliches, das zu
überdauern hätte, während an dem autoritären
Modernisierungsregime der Demokratischen Republik Afghanistan die
antifeudalen Agrarreformen, die Alphabetisierungskampagnen und die
Kriminalisierung der schariatischen Ökonomie aus Zwangsheirat und
Sklaverei die religiöse Reaktion und den antikommunistischen Eifer
provozierten. Anders als in Afghanistan der 1980er ist die Revolte
gegen das ba`thistische Regime keine religiöse Reaktion auf die
Modernisierung, denn wo gibt es eine solche noch in Syrien -
nirgends. Viel mehr sind es jene, die bei der nationalen Formierung
durchfallen und sich nun, flankiert von den schariatischen Despotien
des Golfes, mit Kalaschnikow und Koran nach den fatalen Mechanismen
von Racket und Religion formieren - wie in so vielen anderen
islamisierten Ruinen arabischer Diktaturen. Und so brechen auch
frühere konfessionelle Konflikte wieder durch. Zu Beginn der 1970er
riefen syrische Muslimbrüder zum Jihad gegen das als häretisch
denunzierte Regime auf. Bereits in jenen Jahren desertierten
sunnitische Offiziere und schlossen sich islamistischen
Todesschwadronen an. Am 16. Juli 1979 überfielen Jihadisten ein
Kadettenkorps und töteten mehr als 200 Kadetten, die meisten von
ihnen Alawiten. Das Regime konterte mit Massenverhaftungen, Folter
und Tod. Am 2. Februar 1982 riefen die Muslimbrüder die sunnitische
Bastion Hama zur befreiten Zone aus. Kader der Ba`th-Partei wurden
aufgespäht und getötet; in den Moscheen ersah man ein baldiges Ende
des gottlosen Regimes. Unter dem Kommando des ba`thistischen Militärs
Mustafa Tlass, einem Sunniten aus al-Rastan, wurde Hama eingekesselt
und ausgeräuchert. Tausende Menschen starben. Im Schatten der
Abstrafung der jihadistischen Verschwörer wurde auch die
anderweitige, säkulare Opposition brutalst zerschlagen. Tausende
Menschen verschwanden in die Folterhöllen des Regimes. Gestärkt vor
allem durch die schariatische Inc. Katar gelang es den Islamisten nun
wieder, die Revolte mehr und mehr auf die sunnitischen Bastionen wie
Homs und Hama zu konzentrieren, wo nun auch jene Gespenster des
Zerfalls sich einfinden, die selbst den geopolitisch ambitionierten
Muslimbrüdern noch bedrohlich werden könnten. Indessen ist es in
Syrisch-Kurdistan, wo es zuvor am unruhigsten war, sehr viel stiller
um die überwiegend säkulare Opposition geworden, auch weil hier die
Interessen, allen voran von der Türkei, gänzlich andere sind. Wenig
fraglich inzwischen, dass Veteranen des afghanischen und irakischen
Jihads unter den mindestens 600 Libyern sich befinden, die in die
Türkei nahe der syrischen Grenze ausgeflogen wurden, dass immer mehr
islamistische Apokalyptiker dem Ruf des Ayman al-Zawahiri nach Syrien
folgen und – als worst case – eine Weiterwanderung des
konfessionalistischen Mordens aus dem Irak nach Syrien droht. Da der
US-amerikanische Militärapparat im Irak nicht willens war, das
Überleben irakischer Minoritäten zu garantieren, wäre nun zu
fragen, warum es in Syrien in den befreiten Territorien, wo nicht
selten Säkulare, Alawiten und Christen mit dem ba`thistischen Regime
identifiziert werden, anders sein sollte. Und zu welcher humanitären
Intervention soll ein Europa fähig sein, dessen zuletzt einziges
Argument für ein Überleben des libyschen Regimes um al-Gaddafi sein
Terror gegen Flüchtlinge war … (Ganz zu schweigen von den
Deutschen, die noch in einer im Januar 2009 ratifizierten
Vertragsschrift, in der die Abschiebung von Flüchtlingen in die
syrische Hölle geordnet wird, die „Wahrung und Stärkung des
Geistes der Solidarität zwischen beiden Staaten“ beschwören.)
(12) IRIB,
29.02.2012.
(13) ISNA,
22.02.2012. Von einer „religiösen Pflicht“, die Islamische
Republik demokratisch zu legitimieren, sprach Naser Makarem Shirazi,
einer der ranghöchsten Kleriker im Iran, in: Fars, 22.02.2012.
(14) Fars,
03.02.2012.
(15) “In
light of the recent speech of Supreme Leader of the Islamic
Revolution Ayatollah Seyed Ali Khamenei regarding Iran's open support
for different movements or groups against Israel, Hossein
Shaikhol-Eslam, the Secretary of the Board for the Global March to
Jerusalem (GMJ), emphasized that the Global March to Jerusalem is a
symbol representing the protests of the different movements from the
free nations of the world against the occupation, oppression,
injustice and Judaization of Jerusalem.” Fars, 26.02.2012. Des
Weiteren finden sich unter den Organisationen des Marsches vor allem
ägyptische, libanesische, jordanische, pakistanische und türkische
Muslimbrüder.
(16) „There
are more victims of shootings from, or explosions in, training sites.
Many children are killed or maimed when explosive devices left in the
streets or farms explode in their hands. And there is the young man
who was shot in the legs for daring to publicly criticize a local
resistance leader.” In: Ma'an News Agency, 05.01.2012.
(17) S.
Haaretz, 14.03.2012.
(18) „For
the Palestinian people death became an industry at which women excel
and so do all people on this land: the elderly excel, the Jihad
fighters excel, and the children excel. Accordingly [Palestinians]
created a human shield of women, children, the elderly and the Jihad
fighters against the Zionist bombing machine, as if they were saying
to the Zionist enemy: We desire Death, as you desire Life.” In:
al-Aqsa TV, 29.02.2008.
(19) „This
would not only apply to refugees in countries such as Lebanon, Egypt,
Syria and Jordan or the other 132 countries where Abdullah says
Palestinians reside. Abdullah said that ‘even Palestinian refugees
who are living in [refugee camps] inside the [Palestinian] state,
they are still refugees. They will not be considered citizens.’”
In: The Daily Star (Lebanon), 15.09.2011.
(20) S. Der
Spiegel, 24.09.2011.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen