Montag, 2. Januar 2023

Flugschrift zum aktuellen Stand der revolutionären Erhebung im Iran Teil II

 

Das Ideal der islamischen Familie umriss Ruhollah Khomeini als er im Jahr 1981 forderte, dass bei „konterrevolutionären Umtrieben“ Eltern ihre Kinder und Kinder ihre Eltern und Geschwister zu denunzieren hätten. Das Islamic Republic of Iran Broadcasting (IRIB) – mit dem ZDF und ARD jahrelang kooperiert haben – führte im selben Jahr den Idealtypus der islamischen Mutter vor: Im schwarzen Chador gehüllt sitzt die Frau ihrem Sohn gegenüber. Der junge Mann, dem als „gottloser Marxist“ die Hinrichtung droht, hält weinend ihre Hände, während sie in das Mikrofon spricht, dass er nicht länger ihr Sohn sei, wenn er sich der „Feindseligkeit gegenüber Allah“ schuldig gemacht habe. Die Khomeinisten hatten der Mutter zuvor zugesichert, dass ihr Sohn nicht hingerichtet werde, wenn sie an der Propagandainszenierung teilhabe. Entgegen dem Versprechen richtete das Regime Mahmud Tariqoleslami wenig später im Kashefi Garten von Isfahan doch hin – derselben Kulisse, vor der er verzweifelt die Hände seiner Mutter hielt. Ruhollah Khomeini pries den propagandistisch inszenierten Bund zwischen Mutter und Henker: „Ich will mehr solche Mütter sehen, die ihre Kinder aushändigen, ohne eine Träne zu verlieren. Das ist wahrer Islam“. Ali Khamenei erblickte darin eines der schönsten Epen des Islams.


In Wahrheit fürchtet das Regime die toten Körper der Ermordeten ebenso wie ihre Familien. Als am 12. Dezember in Mashhad Majidreza Rahnavard als „Feind Allahs“ gehängt wird, schreit eine Rotte an Angehörigen der Repressionsmaschinerie ein stumpfes Allahu Akbar in den Nachthimmel. In der Morgendämmerung verscharrt das Regime den Ermordeten schleunigst unter Staub, noch bevor die Familie von Majidreza über die Ausführung der Hinrichtung benachrichtigt wird. Um Trauerversammlungen zu verhindern, versperrt das Regime die Wege, die zum Haus der Familie führen. Um das Stillschweigen der Familie zu erzwingen, nimmt das Regime den Bruder von Majidreza und einen Onkel in Geiselhaft. Das ist die tagtägliche Routine eines Regimes, das die von ihm Ermordeten aus Leichenhäusern raubt, sie hastig verscharrt und die Trauernden mit mafiotischen Taktiken bedrängt.


Aus den frühen Tagen dieser islamofaschistischen Despotie mit der Fassade einer „Islamischen Republik“ ist bekannt, dass mit Mohammed Beheshti der höchste Richter Irans den Familien inhaftierter „Konterrevolutionäre“ hohe Geldsummen abpresste, die diese in der trügerischen Erwartung aufbrachten, die Hinrichtung ihrer Liebsten abzuwenden. Nach erbrachter Zahlung wurden die Regimefeinde dann doch hingerichtet. Dem „Spiegel“ (28/1981) zufolge verkauften die Emissäre von Beheshti in Hamburg zudem Teppiche, die zuvor geraubt wurden. In der Tageszeitung „Die Welt“ erschien in jenen Tagen ein Inserat, in dem kaiserliche Seidenteppiche mit einer Knotendichte von 1,2 Millionen pro Quadratmeter angeboten wurden. Inserent war Mohammed Beheshti höchstpersönlich.


Für sein Raub-Business, so der „Spiegel“, habe Beheshti mehrere Geldsummen in Millionenhöhe vom Finanzinstitut Melli auf dessen Filiale an der Hamburger Holzbrücke transferiert. Über das berüchtigte Islamische Zentrum an der Hamburger Schönen Aussicht sei die Beute auf das Konto eines deutschen Finanzinstituts eingezahlt wurden. Mohammed Beheshti war ausgesprochen vertraut mit der norddeutschen Stadt. Zwischen 1965 und 1970, als im Iran noch die Monarchie herrschte, stand Beheshti dem IZH vor, um von dort aus die revolutionären Ideen von Ruhollah Khomeini „unter den Muslimen Europas“ populär zu machen (so die Islamic Republic News Agency-IRNA). Als Hans-Dietrich Genscher im Jahr 1984 mit einem Tross aus deutschen Industriellen in den Iran reiste, suchte er das Grab des inzwischen verstorbenen Mohammad Beheshti mit einem Gedenkkranz auf.


Angesichts der traditionellen deutschen Kumpanei mit der islamofaschistischen Despotie Irans droht so manche Solidaritätsduselei in diesen Tagen mehr zu verschleiern als aufzuklären. Als da wäre etwa der Vorsitzende der SPD-Bundestagsclique, Rolf Mützenich, der noch vor einem halben Jahr für Flüssiggas aus dem Iran warb. In den Jahren zuvor vermochte Mützenich „einige Nuancen“ bei der khomeinistischen Katastrophenpolitik in Syrien zu erkennen und empörte sich über die Tötung des Schattengenerals Qasem Soleimani als Bruch des Völkerrechts. Mützenich reproduzierte dabei die Regimelüge und sprach von der „Einigkeit“ der Iraner im Verlangen nach Rache. Wenige Tage später – und geflissentlich ignoriert von Herrn Mützenich – hallten bei den PS752-Protesten die Slogans „Soleimani ist ein Mörder und sein Führer (Ali Khamenei) auch“ und „Das Regime sagt, Amerika ist unser Feind, aber es lügt, das Regime selbst ist unser Feind“ durch den Iran. In diesen Tagen indessen lugt auch Mützenich hervor, wenn seine Partei mit der Vereinnahmung des revolutionären Slogans „Frau, Leben, Freiheit“ reines Gewissen demonstriert.


Während etwa Omid Nouripour wie ein Motivationscoach aus seinen Parteifreunden den moralischen Größenwahn herauskitzelt, „keine Frau im Iran, keine Frau in der Ukraine, keine Frau in Afghanistan oder in Saudi-Arabien darf daran zweifeln, dass wir an ihrer Seite stehen“, sind die Frauen in Afghanistan, die in diesen Tagen von den Taliban aus den Universitäten geprügelt werden, genauso allein wie die kurdischen Feministinnen in Nordsyrien mit der türkischen Armee und ihrem islamistischen Frontvieh, denen das Auswärtige Amt in einer orwellschen Sprachverdrehung ein „Recht auf Selbstverteidigung“ zuspricht. Die Deutschen stehen den Frauen in ihrer zugleich aufdringlichen wie eitlen Selbstbespiegelung vielmehr auf den Füßen.


Es scheint ganz so, als haben die politisch-staatlichen Repräsentanten weder im Auswärtigen Amt noch im Kanzleramt die Absicht, dem Regime nachhaltig zu schaden. Das viel beschworene Signal an die islamofaschistische Despotie ist dementsprechend auch nicht die Sanktionierung einiger weniger Repräsentanten des Regimes, es ist vielmehr das jüngste Gespräch einer Delegation um den Beauftragten der Europäischen Union für Auswärtiges, Josep Borrell, mit seinem iranischen Amtskollegen, Hossein Amir-Abdollahian, in Amman. Dass in der Europäischen Union die „Armee der Wächter der Islamischen Revolution“, mit der das Regime steht und fällt, weiterhin nicht als terroristisch sanktioniert ist, gründet nicht, wie ständig behauptet, in juristischen Schwierigkeiten. In Wahrheit wird in Berlin wie in Brüssel die Wette noch auf das Regime gemacht.



Revolutionsaufrufe aus dem November


Mehr als hundert Tage nach der Ermordung von Mahsa Amini ist es dem Regime mit Massakern, erzwungenem Verschwinden und Hinrichtungen nach wie vor nicht gelungen, die revolutionäre Erhebung niederzudrücken. Fehlt in diesen Tagen auch die Wucht, mit der noch am 17. November selbst unzählige Provinzstädtchen von den Revolutionsaufrufen erfasst wurden, vergeht doch kein Tag, an dem keine Molotowcocktails in Mullah-Seminare oder Repressionszentren der Basij-Miliz einschlagen, und in Teheran und anderswo aus Menschenansammlungen Slogans gerufen werden. Zum Jahresende erschallen über mehrere Tage in dem zentraliranischen Provinzstädtchen Semirom Slogans wie „Wir hassen deine Religion, verflucht sei deine Moral“, während die Revolutionäre in Najafabad in der Provinz Isfahan „Unser Geld ist im Libanon (bei der Hezbollah), unsere Jugend ist in Haft“ rufen. Im kleinen Semirom hatten zuvor zwischen den eingeschneiten Berghängen Tausende an der Trauerversammlung für den ermordeten Revolutionär Ali Abbasi teilgenommen. Auch auf dem Großen Bazar Teherans werden am Jahresende Slogans gerufen wie „Armut, Korruption, Inflation – wir schreiten voran zur Revolution“, während 40 Tage nach dem Massaker im kurdischen Javanrud die Revolutionäre die Straße der Kleinstadt verbarrikadieren und den Regimeschergen entgegenrufen „Kurden, Belutschen sind Geschwister – sie verfluchen den Führer (Ali Khamenei)“.


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