Ein
guter Kapitalist im deutschen Sinne ist einer, der von der
Arbeitskraft, die er kauft, den Maschinen, die er vernutzt, und sich
höchstpersönlich als „wir, die Völker“ spricht, der tagsüber
kühl kalkuliert und abends den Arbeitskraftbehältern auf die
Schulter klopft. So einer geißelt das Geld, das nicht „sinnvoll
wirtschaftet“, also der Produktion gehorcht, sondern
„herumzigeunert“ – und vor allen anderen pflichtet ihm ein
deutscher Karrierist aus der Spekulationssphäre bei: die
Zinsen sind an allem schuld.
Unterdessen
formiert sich in der Peripherie des Europas der Produktion der
nationale Opferschutz wider die Nicht-Arbeit – unter Parolen wie
„Zigeuner zu Seife“ oder doch nur „zur Arbeit“. Hier wie dort
wird das „leistungs- und anstrengungslose“ Überleben in der
rassistischen Figur des Zigeuners denunziert. Über mehr als zwei
Wochen marschieren im nördlichsten Böhmen, einer einstigen Bastion
des sudetendeutschen Faschismus, hunderte Tschechen auf, um die
Roma-Ghettos als verdächtigten Hort parasitärer Nicht-Arbeit zu
stürmen. Am 17. September sind es bis zu 3500 Menschen, die in
Varnsdorf nur noch von der Staatsgewalt am Pogrom gehindert werden.
Ende September dann wiederholt sich die rassistische Raserei in
Bulgarien.
Und
weiter nach Ungarn. Wo noch vor wenigen Monaten Milizen
gegen„Zigeunerkriminalität“ aufmarschierten
und Roma-Familien in die Flucht zwangen, herrscht nun Frieden durch
Arbeitszwang. Vom ersten Arbeitsmarkt rassistisch ausgegrenzt, werden
die Roma von Staats wegen rekrutiert: zunächst für die Rodung eines
Hügels, auf dem dann deutsche Eichen angepflanzt werden. Hier in
Gyöngyöspata, wo drei Monate lang Milizen die Ärmsten unter den
Armen terrorisierten, begann jüngst dasPilotprojekt des „Ungarischen
Arbeitsplans“ der
Budapester Regierung. Überwacht werden die Arbeiten von der
faschistischen Jobbik, der populärsten Partei in Gyöngyöspata.
(Bei anderer Gelegenheit ratschlagteCsanád
Szegedi, Jobbik-Abgeordneter im Europäischen Parlament, man müsse
„Zigeuner“ provisorisch in gesonderten Zonen konzentrieren, die
man nur mit „Registrierung“ und bis Anbruch der Nacht verlasse
dürfe.) Auch eine Verleihung der Arbeitskräfte an nicht-staatliche
Interessenten ist möglich, einschließlich zwangsverordneter
Mobilität. Vorgesehen ist zudem, dass frühberentete Polizeibeamte
den Arbeitsdienst organisieren.
In
Ungarn erweist sich zudem, dass der rassistische Hass auf die Roma im
Antisemitismus zu eskalieren droht. Der Herr über Gyöngyöspata,
Oszkár Juhász, beteuert, nicht die gesetzestreuen und also
arbeitswilligen Roma seien die Feinde Ungarns. Das jüdische Israel
sei es, das Ungarn aufzukaufen drohe. Als seine Partei Jobbik zu
Beginn des Jahres 2010 sich aufmachte, drittstärkste Partei im
ungarischen Parlament zu werden, plakatierte sie das Antlitz des
israelischen Staatspräsidenten Shimon Peres, das einen geschwärzten
Davidstern halb verdeckte und kontrastiert wurde mit dem Symbol der
Pfeilkreuzler, der ungarischen Schwesterpartei der NSDAP, und dem
Slogan:„Okkupiere
doch deine Mutter, aber nicht unser Vaterland“.
In jenen Tagen wurde das ungarische Parlament als „Synagoge am
Kossuthplatz“, die „auszuräuchern“ sei, denunziert und der
Verschwörungsmythos vom „Judeobolschewismus“ wiederbelebt.
Jüngst bewies die Jobbik auf einer propalästinensischen
Demonstration von vor allem arabischstämmigen Immigranten, wer die
originäreren Antisemiten sind: die Parole „Jetzt, Jetzt“
(gemeint: ein palästinensischer Staat) überholte sie mit den
Rufen „Dreckige
Juden“.
Anwesend waren drei Jobbik-Parlamentsabgeordnete sowie der
antisemitische Reformpfarrer Loránt Hegedús jun., der die
ungarische HAMASZ zur Rettung der Heimat initiierte. Denn nicht
nur Krisztina
Morvai,
Jobbik-Abgeordnete im Europäischen Parlament, befürchtet, dass die
Ungaren zu Palästinensern auf ihrem eigenen Flecken Land werden.
Dass der
Antisemitismus, der die Juden als Übermenschen, als
Verfleischlichung der Zirkulationssphäre halluziniert, den
Antiziganismus in seinem Wahn noch übertrumpft, ist ein schwacher
Trost für die von Pogromen bedrohten Menschen. Kein politischer
Souverän existiert, der ihr Leben zu schützen wagt; kein Asyl, das
garantiert ist.
So
hat die deutsche Regierung am 14. April 2010 mit dem jungen Staat
Kosovo einen Abschiebungspakt ratifiziert,
in dem letzterer sich verpflichtet, pro Jahr bis zu 2.500 von
deutschen Beamten als überschüssig bewertete Menschen aufzunehmen.
Über 10.000 Menschen, unter ihnen hier geborene Kinder von
Flüchtlingen, sind derzeit zur Ausreise in den Kosovo verpflichtet.
Die meisten von ihnen sind in den späten 1990ern von
nationalistischen UÇK-Milizen in die Flucht gezwungen wurden.
Diejenigen, die im Kosovo ausharrten, wurden in provisorischen Lagern
der UNHCR auf mit Blei, Cadmium und Quecksilber verseuchten
Industriehalden einquartiert. Bis heute leben sie in ständiger Angst
vor Pogromen in solchen von der albanischen Bevölkerung abgegrenzten
Elendslagern.
Falls
sich die deutsche Nation auch für jene erschließt, die wegen
mangelnder Autochthonität zuerst nicht als Gleiche gelten, dann nur
selektiv: also für jene, denen es nun gelingt, eine produktive
Funktion zu verbürgen. Doch die Entscheidung des Staates über die
Produktivität eines Menschen ist keine allein mit dem Individuum
sich befassende, aus reinem Kalkül über die Verwertbarkeit des
lebendigen Dings getroffene, sobald ein kollektives Ressentiment
vorherrscht. So ist die Entscheidung über Abschiebung eine
fundamental rassistische über die Wertigkeit des Menschen für den
Staat des Kapitals. Und hier wie dort werden die Roma zur nationalen
Verschiebungsfläche zugerichtet, auf die eine die Wirtsgemeinschaft
schröpfende, pathogene Kollektivität projiziert wird. Die Roma
werden also nicht nur als nicht verwertbares Leben abqualifiziert.
Das Bild, welches die Deutschen sich von den Roma
machen: „Bettel-Rumänen“ und „Rotationseuropäer“,
provoziert die kapitalisierte Gattung. Im Antiziganismus verrät sich
eine unbändige Angst vor der drohenden Verwilderung des
Arbeitskraftbehälters, vor der eigenen Entkapitalisierung.
So schaudert es
dem wesentlichsten Aufklärungsorgan des deutschen, wahrlich
klassenlosen Proletariats: „Ihre Beine und Füße sind verdreht,
sie schlurfen gekrümmt, hinken theatralisch. Elends-Bettler belagern
die Weihnachtsmärkte (…) und die Behörden (sind) machtlos.“ Die
Ahnung, dass nichts als bloße Natur, nichts als kränkelnde
Leiblichkeit, die ohne „aufdringliches Geschnorre“ entschläft,
übrig bleibt, sobald die Krise sich totalisiert, erschreckt den
glühweinseligen Deutschen vor der eigenen Asozialität und dem
drohenden Schicksal: der noch zögernde Tod der bürgerlichen
Subjektivität. Das antiziganistische Ressentiment ist also mehr als
eine bloß launische Feindseligkeit. Es richtet die „Rumänen“ zu
Aggressionsobjekten zu, auf denen die eigene drohende
Überschüssigkeit, die Degeneration des Arbeitskraftbehälters in
nur dürftig in Lumpen gehüllte Natur, verschoben wird.
Der
antiziganistische Furor war das Staatsgründungsverbrechen der
kosovarischen Nation. Doch auch die Deutschen haben im Hass auf die
als absolut unbrauchbar denunzierten Roma-Flüchtlinge sich den Kitt
zur nationalen Versöhnung einverleibt. Nachdem das Gemeinwesen der
Deutschen sich um sechzehn Millionen an und für sich überflüssige
Subjekte aufgebläht hatte, fanden diese ein Objekt, das ihnen die
Gelegenheit versprach, die in der Krise sich verratende eigene
Fungibilität zu projizieren. „Der Spiegel“ stillte die nationale
Empfindung, jene untermenschliche Anti-Nation zur zivilisierten
deutschen Nation gefunden zu haben, deren antideutscher Barbarei sich
zu erwehren sei: Die „Dünkelhäutigen“, die „bettelnd durch
die Straßen“ vagabundieren und sich weigern, am Förderband
auszuharren; sie, die „Roma und Sinti“, „tyrannisieren“ den
nationalen Frieden (in: Der Spiegel, 7.9.1992). Das „Gewissen
seiner Nation“, Helmut S., log den antiziganistischen Pogrom in
Rostock-Lichtenhagen in eine bloße Emotion um: Werde aus seinem Land
ein „Schmelztiegel“, „entartet“ es und wenn die Wut sich
rege, etwa „über de facto vierzig Prozent Arbeitslosigkeit“,
breche die Frustration durch und „endet in Gewalt“ (in: FR,
12.9.1992). Und der damalige Berliner Senator für Inneres, Dieter
H., beteuerte, dass in Rostock-Lichtenhagen nicht der nationale
Hygienewahn, sondern der „berechtigte Unmut“ über den
organisierten Asylbetrug der Roma-Flüchtlinge hervorgetreten sei
(zit. n. Die Zeit, 6.10.1992). Einen Monat nach dem Pogrom in
Rosstock-Lichtenhagen drängte die deutsche Politik die rumänische
Regierung dazu, sich zu verpflichten, die vom Mob terrorisierten
Roma-Flüchtlinge aufzunehmen. Französische Juden, die am 19.
Oktober 1992 in Rostock sich mit den
Roma-Flüchtlingen solidarisierten,
wurden von deutschen Polizisten verprügelt und inhaftiert. (Im Jahr
1992 gab es allein bis zum Monat September 970 rassistische und
antisemitische Gewalttaten mit zehn Toten und 700 Verletzten
(Konkret, 10/1992).)
In der Krise
fällt den Subjekten nichts anderes ein, als ihr Unglück, die
Arbeit, als das einzig Richtige im falschen Ganzen zu beschwören.
Sie spalten zwanghaft auf, was doch nur als Verhältnis existiert: so
wird aus der Totalität des Kapitals eine Produktionssphäre, die
ihnen zugleich Schicksal wie Auftrag ist, und eine
Zirkulationssphäre, die an dem ideologischen Antlitz ihres blinden
Willens zur Kapitalproduktivität zu kratzen droht. Wie Marx
festhielt, ist die Spekulation nicht die Krise selbst, vielmehr „ein
Resultat und eine Erscheinung“ der Krisenhaftigkeit kapitaler
Akkumulation (MEW 12, Berlin 1972, S. 336). In Wahrheit fungiert die
sich aufblähende Finanzindustrie nicht als Saboteurin sondern als
Komplizin der Diktatur der Arbeit. Beschleunigt vor allem durch den
Rationalisierungstriumph der Informationstechnologien speit das
Kapital immer mehr Menschen als wertlos aus und verüberflüssigt die
halbe Gattung, weil ihre Arbeitskraft zu keiner kapitalproduktiven
Funktion findet – und darüber wird kein Eichenwald hinwegtäuschen.
Die Flucht ins fiktive Kapital, in Spekulation und Kredit, kaschierte
nur das Krisenpotenzial der Despotie der Fabrik; sie schob die Krise
nur hinaus, deren angeschwollenes Potenzial nun durchbricht
Es ist also
jenes Verhältnis des ‚ganzen’ Kapitals, in dem Arbeit bei Strafe
des Hungertodes Zwang ist und zugleich nur Selbstzweck der Verwertung
des Werts, das die Krise in sich trägt und gebärt. Jenes
Verhältnis, das aus sich heraus den Hass auf das Glück, das durch
kein Äquivalent zur Leistung, durch kein Opfer verbürgt wird, als
nationale Ideologie produziert. Das Verhängnis der Subjekte ist
doch, dass wo die Möglichkeit schwindet, die Ware Arbeitskraft zu
verkaufen, also kapitalproduktiv zu funktionieren, mit noch mehr
Opferwilligkeit die Arbeit zum Schicksal erhoben wird. Die
Mobilisierung der Ressentiments gegen die Nicht-Arbeit treibt die
böse Erinnerung aus, dass die Arbeit selten Glück, sondern meist
nur Entbehrung bedeutet. An den Roma, funktionalisiert zu Objekten
der Projektion, verfolgen sie mit rohster Gewalt den bloßen Gedanken
an ein Leben ohne Arbeit und Zwang. Der notorische Verdacht, der eine
leistet weniger als der andere, eskaliert im Antiziganismus so zur
rassistischen Empörung über die organisierten Parasiten.
Das die
Vernunft verhöhnende Moment liegt so in der Arbeit selbst: dass
trotz der Revolutionierung der Produktivkräfte, die die Reduzierung
der Arbeit auf ein Minimum für alle Menschen ermöglicht, der
Verkauf der Ware Arbeitskraft das Leben der Subjekte weiterhin
absolutistisch diktiert – als stummer Zwang und Fetisch.
Die Spekulation auf Getreide und ähnlichem ist tödlich, die
Diktatur der Arbeit, die das überschüssige Leben – um in der
Sprache eines deutschen Ministers zu sprechen – als Menschenmüll
auf Halde entlädt, ist es noch mehr. Und so bleibt das Engagement
für die ‚ehrliche Arbeit’ und den ‚gerechten Preis’
doch nur eine Bestätigung von Akkumulation und Konkurrenz.
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