Donnerstag, 10. Oktober 2019

Flugschrift zu Nordsyrien und dem Irak: Kein weiterer Meter den Aggressoren!



Dass ihre antiimperialistische Widerstandsrhetorik projizierte Aggression und ihre ureigene Staatspolitik die imperialistische Entgrenzung ihres terroristischen Apparates ist, daran lässt weder der faschistische Agitator Recep Tayyip Erdoğan noch irgendein klerikaler Einpeitscher der Islamischen Republik Iran den Hauch eines Zweifels: „Ihr sagt, dass die Drohnen (die am 14. September in saudische Raffinerien einschlugen) aus dem Norden und nicht aus dem Süden angeflogen kamen. Süden oder Norden – welchen Unterschied macht das? Der Iran ist in eurem Norden und er ist in eurem Süden“, drohte jüngst Ahmad Alamolhoda, der die wöchentliche Khutba-Predigt in der nordöstlichen Stadt Mashhad hält. „Der Iran ist nicht beschränkt auf seine geografischen Grenzen“, so der ranghohe Kleriker aus dem innersten Kreis der khomeinistischen Despotie. Die Islamische Republik Iran sei „die Hezbollah im Südlibanon“ als auch „die Hamas in Palästina“, sie sei die Houthi-Miliz im Jemen als auch die Shiah-Milizen in Syrien und dem Irak.

Wenige Tage später – die Gegenreaktion auf die Demonstration des terroristischen Potenzials der khomeinistischen Despotie blieb aus – massakrieren die Shiah-Milizen im Irak mehrere hundert vor allem junge Männer, die gegen Verelendung, die systematische Korruption und das Unwesen sektiererischer Rackets protestieren. Das Morden an jenen, die auch gegen die Entgrenzung der khomeinistischen Despotie auf der Straße ausharren, hält auch in diesen Stunden an – und das Auswärtige Amt als auch das State Department sitzen es weiterhin konsequent aus. Selbst die rituell vorgetragene Besorgtheit, die gebrechliche Fassade europäischer Humanität, blieb bislang aus.

Im südirakischen Nasiriyah etwa zerreißen Protestierende einen der übergoßen Banner der al-Fadhila, der klerikal-islamischen „Partei der Tugend“, mit dem Antlitz von Mohammad Yaqoobi, der als einer der ranghöchsten Kleriker der irakischen Shiah als „absolute Instanz der Nachahmung“ zu gelten hätte und in dessen wahngeschwängerten Schriften sich „Juden und Freimaurer“ gegen den Islam verschworen haben. In Karbala trifft es ein Banner mit dem Antlitz von Ali Khamenei unter den Rufen der Anwesenden, der khomeinistische Iran solle den Irak verlassen. In der Nacht werden die Zentren der Islamischen Dawa Partei sowie der Badr Brigade, einer militanten Agentur der khomeinistischen Despotie, niedergebrannt. Worin diese Massenproteste, die in Baghdad wie auch im Südirak ungebrochen andauern, enden, ist nach wie vor ungewiss. Dass an der Emanzipation der irakischen Jugend vom Milizunwesen und der Shiah-Variante des „Islamischen Staates“ niemand anderes Interesse äußert, ist eine Katastrophe, die weitere Trümmer anhäufen wird.

Indessen brachen auch im Iran – wenn auch begrenzt auf das kleine Lordegan – wütende Straßenproteste aus. In der dörflichen Peripherie von Lordegan haben sich mindestens 300 Menschen mit HIV infiziert, nachdem sie, so der Verdacht, mit kontaminierten Kanülen auf Diabetes geprüft wurden. Der Gesundheitsminister beschuldigt dagegen Heroinsüchtige und Menschen mit außerehelichem Sexualleben, ein Kapitalverbrechen im Iran. Wie selbstverständlich attackierten die Protestierenden das Büro des Imams der Khutba-Predigt und brannten es nieder. Und wie selbstverständlich riefen sie Slogans, die die aggressive Entgrenzung des khomeinistischen Regimes als ihr eigenes Unglück ausmachen: „Verlasst Syrien, kümmert euch um den Iran“ und „Weder Gaza (Hamas) noch der Libanon (Hezbollah), unser Leben dem Iran“.

Inzwischen überschattet eine Katastrophe die andere. „Ich habe nichts zu kritisieren“, konstatierte jüngst Horst Seehofer in Ankara neben seinem türkischen Amtskollegen Süleyman Soylu, einem faschistischen Bluthund, der an anderen Tagen Oppositionellen persönlich mit dem Tod droht. Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan machte die Tage zuvor – etwa vor den „Vereinten Nationen“ – aus seinem Herzen keine Mördergrube und versprach mit der Einverleibung Nordsyriens auch ein Ende der Migrationskrise. Man erinnere sich: Auf den vor Versöhnungskitsch triefenden Empfang von Mevlüt Çavuşoğlu im niedersächsischen Goslar zu Beginn des Jahres 2018 folgte die terroristische Okkupation von Afrin, wo heute Shariah-Gangs und Devastation herrschen. „Zunächst werden wir die Wurzeln der Terroristen abtöten, dann werden wir Afrin wieder lebenswert machen. Für wen? Für die 3,5 Millionen Syrer, die wir in unserem Land bewirten“, erklärte Recep Tayyip Erdoğan in den Vortagen des Militäreinmarsches.

Dass Vladimir Putin seine schützende Hand einzig über Afrin entfaltet hat, um dieses dann später den Wölfen zum Fraß vorwerfen zu können, hätte jeder wissen müssen, der sich nicht über diesen Großmeister der Rackets täuscht. Bei Donald Trump dagegen war bis zuletzt noch zu hoffen, dass er auf jene US-amerikanischen Politiker hört – etwa auf einen der namhaften republikanischen Senatoren wie Lindsey Graham –, die davon überzeugt sind, dass die US-amerikanische Militärpräsenz in Nordsyrien eine relativ kostengünstige Investition in die Absicherung eines säkularen Gemeinwesens ist, in dem der Hass auf Amerika nicht zur nationalen Formierung beiträgt. Die bloße physische Präsenz weniger US-amerikanischer Soldaten schreckte das türkische Regime Grüner Wölfe davor ab, nach Afrin sich auch weitere Teile Nordsyriens zu krallen. Drüber hinaus grenzte die bislang erfolgreiche US-amerikanische Militärkooperation mit dem föderalen Nordsyrien die iranische wie auch russische Infiltration Syriens ein. Verhöhnend twitterte dagegen Trump von den 50 Soldaten, die er aus der Grenzregion zwischen Tell Abyad und Serê Kaniyê abzog. Eine andauernde Präsenz dieser 50 Soldaten würde weder Löcher in das US-amerikanische Militäretat reißen noch würde sie das Leben dieser jungen US-Amerikaner riskieren. Alle getwitterten Argumente von Trump sind vor allem eins: eine perfide Lüge, hinter der sich die Kumpanei mit der Türkei Erdoğans tarnt.

Der Armeeverband der syrischen Föderalisten, die Syrian Democratic Forces (SDF), hat vor Wochen unter US-amerikanischer Aufsicht strategische Verteidigungspositionen in der Grenzregion abgetragen, um das „Security Mechanism Framework“ auszuführen und koordinierte Grenzpatrouillen mit US-amerikanischem und türkischem Militär zu ermöglichen. Sie vertrauten darauf, dass eine andauernde US-amerikanische Präsenz die türkische Armee und ihr islamistisches Frontvieh davon abhält einzumarschieren. Die Wahrheit ist, Trump ist mit seinem pazifistischen Geraune ganz Europäer: Er bedient jene, die am aggressivsten brüllen, und überlässt die Region den Großmeistern der Rackets – ganz so wie im Irak. Während jedoch unter deutschen Politikern das Geraune vor einer „weiteren Destabilisierung und Verkomplizierung“ das Höchste an Gefühlen ist, spricht sich eine Vielzahl an US-amerikanischen Senatoren für die Verteidigung Nordsyriens aus moralischer Verpflichtung und ureigenem strategischen Interesse aus.

Marschiert und sagt den Ungläubigen, dass die Armee Mohammeds zurück ist“, skandiert die türkische Gazette Yeni Akit, während simultan die den Islam skeptisch beäugende Vatan Partisi, die „Partei des Vaterlandes“, hinter der Förderation Nordsyrien eine US-amerikanisch-israelische Intrige wittert. In diesen Tagen schließen sich die Reihen. Wird gegen die Abtrünnigen marschiert, existieren in der Türkei keine Parteien mehr und so fraternisiert auch die strenglaizistische Cumhuriyet Halk Partisi – mit wenigen Ausnahmen – mit den Aggressoren. Das türkische Propagandaspektakel – von CNN Türk über die Moscheen der Diyanet – lässt sich höchstens noch in den Begriffen der Psychopathologie beschreiben. Vergeblich wäre da die Hoffnung, dass hohe Verluste innerhalb der türkischen Armee die Freude am Tod anderer dämpft.

Ihre ökonomische Unterlegenheit gleichen die Türkei der Grünen Wölfe und die khomeinistische Despotie durch die aggressive Verfolgung ihrer strategischen Agenden aus. Und doch bleibt ihnen die Krise eingebrannt. Die gnadenlose und zugleich panikartige Reaktion auf die Massenproteste im Irak ist vielsagend. In diesem Sinne: Solidarität mit den Protesten gegen Verelendung und Milizwesen im Irak! Kein weiterer Meter der türkischen Armee, Solidarität mit den Föderalisten Rojavas!

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