Montag, 22. Januar 2018

Flugschrift: Solidarität mit Efrîn und seinen Verteidigern


Efrîn, der nordwestlichste Zipfel des de facto inexistenten Gouvernements Aleppo, ist der einzige Teil Nordsyriens, der noch nicht weitflächig zur Ruine geschliffen worden ist. Unzählige Kurden und vor allem sunnitische Araber aus der Peripherie von Aleppo sind hierher geflohen. Efrîn ist auch der westlichste Kanton der Demokratischen Konföderation Nordsyriens. Die Co-Vorsitzende des Kantons, die kurdische Alevitin Hêvi Ibrahim, bekräftigt die Befreiung der Frauen sowie ein angstfreies Leben auch für alle religiösen Minoritäten als zentrale Grundpfeiler der Konföderation.

Nie ist irgendeine Aggression von Efrîn ausgegangen. Währenddessen unterliegt Efrîn seit längerem einem strengen Isolationsregime seitens der Türkei sowie islamistischer und panturkistischer Milizionäre. Entlang der türkischen Grenze zum Kanton verunmöglichen Beton, Stacheldraht, Drohnen und gegossenes Blei die Versorgung des Kantons mit dem Gröbsten, entlang der innersyrischen Grenze des Kantons zur Provinz Idlib floriert die Entführungsindustrie islamistischer Rackets. Nicht von ungefähr lobte Angela Merkel unlängst vor ihren europäischen Amtskollegen in Brüssel, die Türkei erbringe „Herausragendes“ als Prellbock gegen wilde Migration.

Doch nicht einzig die Isolierung von Efrîn ist als systematische Aggression zu werten. Denn anders als für die in Efrîn Lebenden wird die türkisch-syrische Grenze für die Angehörigen islamistischer und panturkistischer Todesschwadronen durchlässig gehalten. Protegiert vom türkischen Souverän schufen Grüne und Graue Wölfe einen propagandistischen und logistischen Apparat, einen quasi militärisch-“humanistischen“ Komplex für die islamistischen Militanten – inklusive Benefizabende, auf denen die Traditionslinie vom Mentor Osama Bin Ladens, Abdullah Azzam, über das spirituelle Haupt der Hamas, Ahmed Yasin, bis hin zum kaukasischen Emir Dokka Umarov gezogen wird. Es ist ein Milieu, in dem der völkisch-panturkistische Geltungsdrang sich unlängst islamisch ummantelt hat und so beschriften die Brigaden Grauer Wölfe wie die Muntasır Billah ihre Artilleriegeschosse mit den Namen nationaler Idole wie Enver Paşa, jungtürkischer Mitorganisator des Genozids an den anatolischen Armeniern, oder Muhsin Yazıcıoğlu, Gründer der „Partei der Großen Einheit“ und Hauptinitiator des antialevitischen Pogroms von Maraş im Jahr 1978. Der türkische Nachrichtendienst MİT fungiert hierbei – Can Dündar schrieb darüber und war folglich gezwungen, die Türkei zu verlassen – als logistische Guerilla. Und wer sich noch an die ungestört grinsenden Genozideure des „Islamischen Staat“ erinnert, die vor türkischer Beflaggung am Grenzübergang Cerablus – Karkamış feixten, wird wissen, dass die türkische Generosität selbst noch den blutrünstigsten unter den islamistischen Banden galt.

Alle vorangegangenen Aggressionen ignorierend spricht das Auswärtige Amt, diese deutsche Institution der Grabverwaltung, davon, dass „die Türkei legitime Sicherheitsinteressen entlang ihrer Grenze zu Syrien“ habe, wo diese doch darin bestehen, die Grenze für vor allem kurdische Flüchtende zur Todeszone zu machen und zur Schleuse islamistischer Bluthunde. Wenn der Noske dieser Tage von „militärischen Konfrontationen“ spricht und nicht von einem Vernichtungsfeldzug, wie ihn die türkische Staatsfront ganz offen ausruft, dann quält sich die Charakterfratze aus dem Auswärtigen Amt nicht bloß in Äquidistanz. Wie zuvor dem khomeinistischen Iran wird der türkischen Staatsfront aus Grünen und Grauen Wölfe zu erkennen gegeben, dass sie mit nichts Weiterem belästigt werden als mit pseudohumanistischer Affektiertheit. Den vor Versöhnungskitsch triefenden Empfang von Mevlüt Çavuşoğlu im niedersächsischen Goslar zu Beginn des Jahres – als in der Türkei bereits tagtäglich ein vernichtender Schlag gegen die Abtrünnigen in Nordsyrien angedroht wurde – und das ganz ungenierte Ausplaudern der deutschen Unternehmung, die türkischen Panzergefährten technologisch nachzurüsten, kann die türkische Staatsfront nicht anders verstanden haben denn als Billigung ihrer Aggression. Auch in diesen Stunden rollen die deutschen Kolosse auf Efrîn zu.

Das Jahr ist noch jung – und das deutsche Auswärtige Amt ergreift wenige Tage nach der Niederschlagung der dezidiert antiklerikalen Erhebung im Iran nun auch gegenüber den säkularen und feministischen Freunden der Föderation in Nordsyrien Partei für die aggressivsten Feinde des freien Lebens. Die Protestrufe im Iran waren noch nicht verstummt, da empfingen Sigmar Gabriel und seine britischen und französischen Amtskollegen den Gesandten der Islamischen Republik Iran, Mohammad Javad Zarif, demonstrativ in Brüssel, um sich kollektiv als Opfer drohender US-amerikanischer Sanktionen zu gerieren.

Während die Deutschen „Flexibilität“ als Tugend mit Blick auf die deutsch-türkische Versöhnung – die Kollaboration hat nie geruht, einzig an ihrer Fassade wurde grob gekratzt – beschwören, nimmt die türkische Staatsfront eine totalitäre Gestalt an. „Die Türkei – ein Herz“, freut sich die laizistische Hürriyet über abgebildete türkische F-16 und schwarze Rauchschwaden. Die Islamisierung der Türkei erfolgt über die aggressive Verschmelzung von Religion mit der nationalchauvinistischen Kontinuität in der Republik und der Rachsucht an den Abtrünnigen der nationalen Einheit: Tek millet, tek bayrak, tek vatan, tek devlet („Eine im Glauben geeinte Nation, eine Flagge, ein Vaterland, ein Staat“). In dieser Atmosphäre nationalistischer Verrohung gilt als Freiwild, wer aus dem Millet gläubiger Patrioten exkommuniziert wird. Folglich wird in Istanbul, Diyarbakır und anderswo jeder antimilitaristische Protest im Keim erstickt. Vor seinem Brüllvieh in der Provinz Bursa drohte Recep Tayyip Erdoğan mit schweren Konsequenzen für jeden, der den kursierenden Protestaufrufen folgt. In diesen Stunden häufen sich jene, die verhaftet werden, weil sie auf Twitter und anderswo sich gegen die Aggression gegenüber Efrîn ausgesprochen haben.

Jeder, der gegen die Afrin Operation ist, steht den Terroristen bei“, so Mevlüt Çavuşoğlu. In der Türkei gilt seit einigen Wochen ein Dekret mit Gesetzesrang, mit dem Lynchmord an „Staatsfeinden“ amnestiert wird. Graue wie Grüne Wölfe rüsten ihr Rudel seit längerem zum Kampf gegen die Abtrünnigen. Das Diyanet, das Islam-Amt mit seiner deutschen Filiale DİTİB, instruiert indessen ihre Imame darin, zum Einmarsch nach Efrîn die Eroberungssure „Sure-i Feth“ zu verlesen. Der Präsident des Amtes, Ali Erbaş, bat in der repräsentativen Hacı-Bayram-Moschee in Ankara um göttlichen Beistand für die türkischen Soldaten.

Dass Vladimir Putin seine schützenden Hände einzig über Efrîn entfaltet hat, um dieses dann später den Wölfen zum Fraß vorwerfen zu können, hätte jeder wissen müssen, der sich nicht über diesen Großmeister der Rackets täuscht. Dass die Deutschen der türkischen Staatsfront die Treue halten, dürfte auch nicht überraschen. Wer aber sollte dann die Verteidigung von Efrîn als ureigenes Interesse verstehen? Fraglos als erstes die direkt Betroffenen: die religiöse Minorität der Eziden, die in Efrîn Zuflucht vor ihren islamistischen Häschern gefunden hat; die säkularen Kurden, die als Abtrünnige gebrandmarkt werden, wenn sie sich nicht dem neo-osmanischen Geltungsdrang unterwerfen. Es sollte aber auch im ureigensten Interesse aller sein, die mit ihrer Kritik an dem herrschenden Führerkult nicht auch noch das Gröbste an Emanzipation erledigt wissen wollen, wofür die Föderation Nordsyrien zweifelsohne einsteht: die Befreiung der Frauen vom traditionellen Joch, die Verteidigung der Menschen in Absehung ihrer Konfession, der entschlossene Widerstand gegen den islamistischen Vernichtungsfeldzug.

Während an der türkischen Grenze zu Efrîn der Mehterhâne, eine säbelrasselnde osmanische Militärkapelle, dröhntsprechen Angehörige der türkischen Armee sowie turkmenischer Milizen ganz offen aus, worin die Stoßrichtung liegt: in der panturanitischen Einverleibung Nordsyriens. 

Lassen wir Efrîn und seine Verteidiger nicht allein! 

Samstag, 13. Januar 2018

„Nieder mit der Republik der Mullahs“ - Notizen zu den Protesten im Iran gegen die „Islamische Republik“


Eine ganze Woche hielten sie durch, Tag für Tag, über alle Provinzen mit unterschiedlicher Intensität verteilt. Ihre Slogans zielten auf die wesentlichen Elemente der „Islamischen Republik“, diesem Meister projektiver Krisenexorzierung. Sie forderten den militärischen Rückzug aus Syrien und ein Ende der Finanzierung der libanesischen Hezbollah und der palästinensischen Muslimbrüder, wo doch der militante Vormarsch der „Islamischen Revolution“ zentraler Staatszweck ist. (Allein die Stabilisierung des Regimes von Bashar al-Assad verschlingt Jahr für Jahr zwischen 15 - 20 Milliarden Dollar.) In Karaj, Provinz Alborz, und anderswo brannten sie Finanzhäuser nieder, die mit den Sepah Pasdaran, den „Wächtern der Islamischen Revolution“, affiliiert sind, welche doch das entscheidende Staatsracket einerseits der imperialen Aggression und andererseits eines mafiotischen Akkumulationsregimes sind. In Khomeini Shahr, Provinz Isfahan, und anderswo traf ihr Zorn die Medressen der tugendterroristischen Hozeh Elmieh, in Doroud, Provinz Lorestan, und anderswo die Büros der Imame der wöchentlichen Khutbah-Predigten und die Stiftung des Staatsgründers Ruhollah Khomeini. In ausgelassener Freude rissen sie in Bandar Abbas, Provinz Hormozgan, und anderswo die berüchtigte Straßendekoration mit dem Antlitz des „Obersten Führers“, Ali Khamenei, und seines Vorgängers Ruhollah Khomeini sowie ihre heiligen Verse herunter. In Arak, Provinz Markazi, wird ein frömmelnder Büttel für sein penetrantes „Allahu Akbar“ als „ehrlos“ beschimpft und ausgelacht. In Isfahan, einem der Zentren der Geistlichkeit, heißt es „Entweder diese oder nächste Woche, die Mullahs verschwinden“, in Teheran „Die Islamische Republik muss zerschlagen werden“ und in Khorramabad, Provinz Lorestan, „Wir wollen keine Islamische Republik“. Zum häufigst gerufenen Slogan wurde „Akhunds verschwindet“ oder – variiert - „Nieder mit der Republik der Akhunds“. (Akhund ist der persische Name für einen Kleriker unabhängig von seinem Rang.)

Nach dem hochrangigen Akhund Ghiaseddin Taha Mohammadi, der für die Khutbah-Predigt zuständige Ayatollah in der Provinz Hamedan, ist das Gerede über das ökonomische Elend als zentraler Beweggrund für die Protestierenden „eine Nebelwand“. Die Intrige, zu der sich die Abtrünnigen viel mehr verschworen hätten, sei die Trennung von Staat und Islam. Das sei der ursächliche Grund, dass in 61 Städten die Büros der Imame der wöchentlichen Khutbah-Predigten geplündert wurden. In Wahrheit ist in der „Islamischen Republik“ - und nicht nur dort – die ökonomische Krise von der politischen nicht zu trennen.

Unter den Protestierenden werden in Nostalgie schwelgende Monarchisten sein, Kommunisten, Anarchisten, Libertäre, Islamverächter, Angehörige diskriminierter Derwisch-Vereinigungen. Vieles werden sie nicht gemein haben, außer der Einsicht in den Charakter der „Islamischen Republik“ als einem mörderischen Verelendungsregime und folglich, wie es in einem weiteren Slogan heißt, in die „Islamische Revolution“ als verheerendsten Fehler der jüngeren Vergangenheit. Zur Symbolfigur wurde eine junge Frau, die in den Vortagen der Proteste sich in einer belebten Teheraner Straße dabei fotografieren ließ, wie sie ihren Hijab als Galgen in die Höhe hielt. Protestierende riefen später: „Die Frauen sind auf der Straße, die Mutlosen sind zuhause geblieben“.

Staatspräsident Hassan Rouhani dankte inzwischen den „Revolutionswächtern“ sowie ihrem Prügelheer der Basiji für das Niederschlagen der Revolte. Mindestens 8000 Regimekritiker wurden in den vergangenen Tagen inhaftiert und es kommen tägliche weitere hinzu. Inzwischen scheinen sich die Befürchtungen zu bewahrheiten, dass Teile der berüchtigtsten Milizen innerhalb der schiitisch-irakischen „Volksmobilisierung“ im Iran stationiert werden.

Der Repression, der Blockierung der Kommunikationswege, den Inhaftierungen, den Morden und Todesdrohungen folgt die Gegenmobilisierung. Die Orchestrierung erfolgt nach klassischem Muster: Die Mullahs marschieren in traditioneller Robe, davor oder dahinter invalide Veteranen, dann das Gros aus mit Brotkrümeln Korrumpierten, zwangsverpflichteten Schülern, Beamten mit ihren Familien und Milizionären der „Revolutionswächter“, der Hezbollah und anderen Todesschwadronen. Allein der Zwangscharakter der Loyalitätsbezeugung blamiert das Selbstbild des „Stabilitätsankers“ (Staatspräsident Hassan Rouhani über den Iran). Doch in einem Europa, wo traditionell den islamistischen Schlächtern mit der „Kunst des Feingefühls“ (Jean-Claude Juncker) begegnet wird, eignet sich selbst noch das Propagandamaterial, das sich aus solchen Ausmärschen des Brüllviehs ergibt, zur Schleichwerbung für jene „regionale Stabilität“, die der faschistische Souverän verspricht.

Es überrascht nicht, dass sich keine deutsche Redaktion für jenes Bildmaterial entscheidet, bei dem die repressive Kümmerlichkeit der „Mobilisierung“ in noch jedes Auge springt – etwa wo zwangsverpflichtete Schüler die durch die Chassis dröhnenden Slogans des Einpeitschers kontern oder wo Passanten sich über die „Masse“ einiger weniger Imame und ihrer schwarz verschleierten Frauen belustigen. Was man hingegen im „heute journal“ und anderswo zu sehen bekommt, ist das ausgewählte Bildmaterial, das mit der totalitären Formierung wirbt.

Mit wenigen Ausnahmen, wie den Deutschnationalen René Springer und den antiimperialistischen Souveränisten Knut Mellenthin, solidarisiert sich kaum einer offen mit der khomeinistischen Despotie – die deutsche Art, sich moralisch aufzuplustern, ist die des „ehrlichen Maklers“, dessen eingebildete Ausgeglichenheit und Nüchternheit den Verfolgten und Bedrohten als Kälte entgegenschlagen. Von den ersten Tagen an begegneten die Deutschen der antiklerikalen Erhebung mit Relativierungen und Gerüchten. Einer der den Deutschen den Iran erklären darf, wenn Michael Lüders verschnupft ist, ist dabei Adnan Tabatabai. Der Lehrbeauftragte ist nicht nur der Sohn von Sadegh Tabatabai, einem inzwischen verstorbenen engen Vertrauten von Ruhollah Khomeini, Adnan Tabatabai berät nach eigenen Aussagen auch das deutsche Auswärtige Amt. Ihm zufolge seien die Proteste eine camouflierte Rache der Erzkonservativen am Staatspräsidenten Hassan Rouhani, um im nächsten Moment zu raunen, dass keiner so genau wisse, wer die Protestierenden seien. Allerhöchstens, so das Fazit, seien es Lumpenproletarier und Vandalen ohne „politische Programmatik“, die mit ein wenig wohlfahrtsstaatlicher Einfühlung leicht zu besänftigen seien.

Dabei schreien die Protestierenden seit Anbeginn der jüngsten Proteste in aller Unmissverständlichkeit in die Dunkelheit, was ihre politische Programmatik ist: einem nach außen aggressiv militaristischen und nach innen klerikal-tugendterroristischen Verelendungsregime ein baldiges Ende zu bereiten. Adnan Tabatabai, der mit dem Reformflügel dieses Regimes um Mohammad Khatami affiliert ist, leugnet, dass die Revoltierenden dieser Tage überhaupt irgendetwas gemein haben mit denen des Jahres 2009. Zu Unrecht werden letztere inzwischen auch von Freunden eines säkularen Irans als Produkt der Bandenrivalität innerhalb der „Islamischen Republik“ abgetan. Natürlich war es vor allem der Konflikt zwischen theologischen Reformern wie Mehdi Karroubi und Mohammad Khatami sowie ihren intellektuellen Parteigängern wie Mir-Hossein Mousavi, treuen Söhnen der „Islamischen Republik“, und dem bissigen Populisten Mahmud Ahmadinejad und seinen klerikalen Förderern, der die Massenaufmärsche in diesem Ausmaße ermöglichte (Teherans Stadtvater Mohammad Bagher Ghalibaf sprach davon, dass allein am 15. Juni bis zu 3 Millionen Menschen in Teheran protestiert hatten). Ermöglichten die Reformer auch eine Organisationsstruktur, die nicht völlig in die Konspirativität abgedrängt war, so war es doch nicht ihre politische Programmatik, die sich auf der Straße vorrangig Bahn brach. Als am 18. September 2009 der „Tag der Mobilisierung der Muslime“ zur Befreiung Jerusalems anstand, den Khomeini ausgerufen hatte, konterten unzählige Iraner ihre Vermassung zum antizionistischen Brüllvieh. Aus den Chassis der Einpeitscher dröhnte auf den Straßen Teherans, Isfahans und anderswo ein penetrantes „Tod Israel“. In seiner Ansprache beschwor Mahmud Ahmadinejad, es sei nicht nur der Tag, an dem die iranische Nation sich vereine, vielmehr sei es der Tag, an dem alle Nationen sich vereinigten, gegen die eine Anti-Nation Israel. „Marg bar Esrail“ dröhnte es – und dem khomeinistischen Brüllvieh schlug es entgegen: „Tod den russischen und chinesischen Kollaborateuren des Regimes“, „Putin, Chávez, Nasrallah, ihr seid die Feinde des Irans“ und „Weder Gaza (Hamas) noch der Libanon (Hezbollah), unser Leben dem Iran“. Dagegen hatten Mir-Hossein Mousavi, Mehdi Karroubi und Mohammad Khatami, die Jahr für Jahr am Aufmarsch teilnahmen, dazu aufgerufen, im rivalisierenden Grün für die Vernichtung Israels mitzumarschieren. An diesem Tag wurde die „Islamische Republik“ in ihrem Fundament erschüttert.

Die Strategie der Reformer, die Desillusionierten und dezidiert Säkularen zu ganz anderen Zwecken zu vereinnahmen: der Ehrenrettung der „Islamischen Republik“, ermöglichte eine Mobilisierung, an die heute nicht mehr zu denken ist. Das ideologische Korsett aber wurde alsdann von vielen der Protestierenden gesprengt. So kam es zu für Außenstehende irritierende Szenen, in denen abwechselnd Slogans wie „Nieder mit der Diktatur der Kleriker“ und „Allahu Akbar“ ertönten. Nicht nur, dass das ideologische Herzstück der „Islamischen Revolution“ - die organisierte Projektion auf Israel – gekontert wurde, wie am „Tag der Befreiung Jerusalems (al-Quds)“, es wurde ganz offen das Ende des „Obersten Revolutionsführers“, Ali Khamenei, als auch des wesentlichen Prinzips des „Islamischen Staates“ (so die programmatische Schrift von Khomeini) gefordert. Während der militanten Proteste am 26. Dezember 2009, dem „heiligen Tag“ Ashura, dröhnte durch Teherans Straßen auch der Ruf: „Nieder mit dem Vilayat-e Faqih“, der Diktatur der Mullahs als Stellvertreter des okkulten „verborgenen Imams“.

Wenig später war die revolutionäre Erhebung wieder niedergeschlagen. Europäer und US-Amerikaner tadelten das Ausmaß an Brutalität und ließen doch keinen Zweifel daran, dass ihr menschelnder Gestus keine Konsequenzen haben würde und einzig noch die Kumpanei mit den Mördern, wie das Überbringen von Repressionstechnologien (Siemens-Nokia und so weiter), verschleiert.

Umgab die Massenproteste im Jahr 2009 für die Europäer zunächst noch einen kulturindustriellen Reiz, bevor sie sich radikalisierten, blieb eine weitere Unternehmung, die erzwungene Grabesruhe zu durchbrechen, gänzlich ignoriert. Am 14. Februar 2011 kam es in Teheran, in Isfahan und Shiraz, in Tabriz und Rasht zu Protesten, die die Perfidität des Regimes, die Revolutionen in Ägypten und Tunesien als von ihm inspiriertes originäres „Islamisches Erwachen“ zu vereinnahmen, blamierten. Wie in den vergangenen Tagen zerrissen und verbrannten die Protestierenden Banner mit dem Antlitz des „Obersten Revolutionsführers“ und forderten ein Ende der islamistischen Despotie: „Nieder mit der Diktatur der Mullahs“, „Nein zur Islamischen Republik“, „Mubarak, Ben Ali, nun folgt Seyed Ali (Khamenei)“, „In Kairo und Teheran: Tod den Despoten“ und – als Variation - „Nicht Gaza, nicht der Libanon, es sind Tunesien, Ägypten und der Iran“. Die Proteste dauerten bis zum 15. März an, dem Chaharshanbe Suri. Von den Klerikern als „wider den Islam“ denunziert, geriet das zoroastrische Feuerritual zu einer Nacht flammender Barrikaden und militanter Slogans in Teheran, Isfahan, Shiraz, Kermanshah und selbst noch in der Provinz.

Wer also wie Adnan Tabatabai raunt, eigentlich wisse so keiner genau, wer die Unzufriedenen auf der Straße seien und was sie wollen, will nicht nur alle Spuren zu vorangegangenen Erhebungen verwischen. Er leugnet, dass nur allzu viele Menschen im Iran existieren, die das islamistische Verelendungsregime im Ganzen verachten und auf jede Gelegenheit hoffen, es herausfordern zu können.

Aufruf zu Protesten in der Kleinstadt Astaneh, Provinz Gilan, 1. Januar: Die gesprengte Kette trägt den Schriftzug „Islamische Republik“

Die als endlos erschienenen Jahre zwischen dem 26. Dezember 2009 und heute markieren den erzwungenen Emanzipationsprozess der Säkularen von der Reformlüge, die sich unter Hassan Rouhani als bloßes taktisches Manöver des „Obersten Revolutionsführers“ entlarvt hat. Ali Khamenei und die Vordenker der „Revolutionswächter“ sind sich darüber bewusst, dass sie die „Islamische Republik“ als Fassade ihres militaristisch-klerikalfaschistischen Akkumulationsregimes einzig erhalten können, wenn sie die Illusion der Reformen nähren – ohne selbst weiterreichendere Reformen zu tolerieren als wenige Millimeter mehr unverschleiertes Haar. Das Idol der Reformer, Mohammed Khatami, forderte folgerichtig die Zerschlagung der jüngsten staatsfeindlichen Exzesse.

Was den europäischen Fürsprechern des „kritischen Dialoges“ ein Moment demokratischer Teilhabe ist, haben scharfsinnige iranische Oppositionelle als Erpressung längst entlarvt. Der Kandidat der ultrakonservativen „Prinzipalisten“, Ebrahim Raisi, war demnach nur der Scheinkandidat von Khamenei, die fromme Drohung, mit der die vom Regime entfremdeten Iraner an die Urne, die im Iran ein Grab ist, gezwungen wurden. Ein um sich greifender Boykott hätte nicht nur das Selbstbild der „Islamischen Republik“ als in sich einige Nation blamiert – dies ist unlängst geschehen. Es muss wenigstens noch der Anschein bemüht werden, dass die Iraner dem Befehl an die Urne zu treten nachkommen, um als „Stabilitätsanker“ die Verhandlungsposition gegenüber Europäern und US-Amerikanern zu halten. Die deutsche Reaktion auf die jüngsten Proteste und ihre vorübergehende Niederschlagung lässt keinen Zweifel daran, dass das Regime selbst diesen Anschein nicht mehr bemühen muss, um von den Deutschen als Souverän, als partner in crime, anerkannt zu werden. Jüngst empfingen die Charakterfratze aus dem Auswärtigen Amt sowie ihre britischen und französischen Amtskollegen den bevollmächtigten Vertreter des „Obersten Führers“, Mohammad Javad Zarif, in Brüssel. Die dazugehörige Äußerung aus dem Auswärtigen Amt kann für die im Iran Inhaftierten nicht anders als eine zynische Verhöhnung dröhnen: Das Berliner Amt könne die sanften Worte von Rouhani, sich die „legitimen“ Forderungen der Protestierenden zu Herzen zu nehmen, „nur begrüßen“ und „die iranische Regierung ermutigen, diesen Dialog zu führen“. Dass für Rouhani keine der erhobenen Forderungen „legitim“ sind und er den „Revolutionswächtern“ zur Niederschlagung der Proteste gratuliert hat, interessiert nicht weiter. Fraglos haben auch die US-Amerikaner weder in Syrien noch jüngst im Irak die iranische Aggression eingegrenzt.

Das lange Schweigen verrät, dass das deutsche Auswärtige Amt zunächst spekulierte, dass die Proteste alsbald ein unblutiges Ende nehmen und wieder die Ruhe herrschen würde, die im Iran die eines Grabes ist. Die dünne Äußerung, die nach Tagen des Ausharrens folgte, können die khomeinistischen Schlächter nicht anders verstehen, als dass ihnen von den Deutschen nichts Weiteres droht als pseudohumanistische Affektiertheit. Hassan Rouhani, der Staatspräsident von Gnaden des „Obersten Führers“, hat dabei eine staatstragende Funktion über den Iran hinaus. Den Deutschen ist der sanft sprechende Rouhani die Personifizierung ihrer Reformlüge: dass mit der Zunahme des Auftragsvolumens für die deutsche Industrie auch die Freiheit im Iran zunähme. Ali Khamenei und seinem innersten Vertrautenkreis dagegen ist Rouhani die Reformermaske, mit der Schaden von der „Islamischen Republik“ abgewendet werden soll. Dass Rouhani darin erfolgreicher ist, die Deutschen in ihrer Treue zur Islamischen Republik zu bestärken als in der Stabilisierung des Regimes, spricht für sich.