Nachdem
Staatspräsident Hassan Rouhani den „Sieg“ über die
„Verschwörung der Feinde“ ausgerufen und auch die „Armee der
Wächter der Islamischen Revolution“ die Unruhen im Iran für
beendet erklärt hat, indem sie „die Rädelsführer“
identifiziert und verhaftet habe, war auch für das deutsche
Auswärtige Amt die Zeit gekommen, sich zu äußern.
Gekonnt darin, sich moralisch aufzuplustern und doch den Despotien
nicht zu nahe zu treten, fand es noch einige Phrasen zum „Recht auf
friedlichen Protest“. Auch die Europäische Union äußerte sich
erst nach der Siegeserklärung der khomeinistischen Despotie.
Federica Mogherini wahrt dabei das Prinzip der Äquidistanz und
fordert auch von den Regimekritikern, dass „sie friedlich
protestieren“. Das Unbehagen, das den Protesten gegen die
khomeinistische Despotie entgegengebracht wird, ist kaum hinter die
Maske moralinsaurer Mahnungen vor Chaos und „noch mehr“
Destabilisierung (H. Maas) zu bringen. Exemplarisch stehen dafür die
Ausführungen von Karin Senz für die Tagesschau. Sie empfiehlt es,
alles im selbstlosen Dienst für die Iraner, die Regimekritiker mit
ihren Verfolgern allein zu lassen; an sie zu denken und Anteil zu
nehmen, aber schweigend auszuharren. Während die „Verschwörung
der Feinde“ (Rouhani) mit gegossenem Blei und einer totalen
Blockade der Kommunikationspfade zerschlagen wird, rät Senz – und
das ist der höchstoffzielle Weg der Europäischen Union –, sich
wieder darauf zu konzentrieren, die als Vertragswerk
niedergeschriebene Erpressung der Khomeinisten – die Reduzierung
der Urananreicherung gegen Business –, zur Geltung zu bringen.
Dafür bedürfe es „große (europäische) Diplomaten“. Als
Gegenfigur hierzu fungiert für Senz, die die Iraner zu einer
anti-US-amerikanischen Einheit umlügt, Michael Pompeo mit seinen
Solidaritätsgrüßen an „das stolze iranische Volk“. Gerade im
„kritischen Dialog“ mit der khomeinistischen Bestie wähnen sich
die Europäer als moralisch integer, als „ehrlicher Makler“, der
kultursensibel die Grabesruhe achte, während die US-amerikanische
Konkurrenz mit Solidaritätsgesten – an denen natürlich nicht
kritisiert wird, dass es bei solchen verbleibt – die nächste
Eskalation herauf provoziere.
Die
Lüge der anti-US-amerikanischen Einheit ist keine Kritik. Sie ist
schlicht eine europäische Projektion. Einer der Slogans, die in den
vergangenen eineinhalb Jahren kontinuierlich während der wilden
Streiks in der Stahlindustrie von Ahvaz, bei den Wasserrevolten in
Abadan und Khorramshahr, den Protesten gegen die systematische
Korruption in Kazerun sowie in den vergangenen Tagen etwa in
Orumiyeh gerufen wurde, ist ein Frontalangriff auf die organisierte
Krisenprojektion und zudem eine schallende Ohrfeige für das Geraune
einer Karin Senz oder eines Michael Lüders: „Unser Feind ist hier
(im Iran), es ist eine Lüge, wenn es (das Regime) behauptet, unser
Feind ist Amerika“. Als in den vergangenen Tagen eine junge Frau
einen der im khomeinistischen Iran omnipräsenten Regimebanner, auf
denen „Nieder mit Amerika“ propagiert wird, herunterriss,
jubelten die Umstehenden ihr frenetisch zu und konterten den
notorischen Regimeslogan mit einem „Tod dem Diktator“.
Während
der Silvesterproteste 2017/18 vergruben sich die deutschen Freunde
des kritischen Dialogs noch in der selbstverschuldeten
Ahnungslosigkeit, wer die Protestierenden sind und was sie denn
wollen. Und auch heute folgt man mehr auf das projektive Bauchgefühl
als auf die Slogans und die Objekte des Zorns der Protestierenden. Ab
dem ersten Tag brannten sie Finanzinstitute, die mit den Sepah
Pasdaran assoziiert sind, nieder. Die berüchtigte „Armee der
Wächter der Islamischen Revolution“ ist neben dem Klerus das
zentrale Staatsracket in der Islamischen Republik. Sie kontrolliert
über ein Geflecht von Stiftungen und Beteiligungen bis zu 75 Prozent
der iranischen Ökonomie. Von Ali Khamenei, dem „Obersten Führer
der Islamischen Revolution“, wird angenommen,
dass in seinen Händen ein Finanzkonglomerat im Wert von 95
Milliarden US-Dollar liegt. Die Slogans der Protestierenden
reflektieren diese Synthese aus ideologischem Exportauftrag und
kapitalistischem Racketwesen: „Kapitalistische Mullahs, gebt uns
unser Geld wieder“ oder „Unser Geld ist verloren, sie haben alles
an Palästina (an die Hamas & den Jihad) gegeben“. Es ist das
mafiöse Akkumulationsregime der Khomeinisten selbst, das nur zu
vielen Iranern das Gröbste verweigert, sie von den Wasserressourcen
abschneidet, die rurale Peripherie dem Elend überlässt, die
Lohntüte durchfrisst. Auch die in Europa gängige Differenzierung
zwischen „Reformern“ und „Konservativen“ wird auf der Straße
gekontert: „Reformer, Prinzipalisten – eure Rochade ist vorbei“
oder „Weder Mir (Hossein Mousavi) noch der oberste Führer (Ali
Khamenei) – wir wollen weder schlecht noch schlechter“. Häufig
gerufen werden auch die Slogans „Islamische Republik – nicht
mehr, nicht mehr“, „Unabhängigkeit – Freiheit – Iranische
Republik“ und „Kanonen – Panzer – Feuercracker, das Regime
der Akhunda wird (dennoch) verschwinden“. Akhunda ist der im Iran
gängige Name für den schiitischen Klerus.
Im
Schatten der systematischen Abtrennung vom Internetwork wurden im
Iran mehrere hundert Menschen in weniger als einer Woche ermordet.
Oppositionelle sprechen von über tausend Getöteten. Das ist ein
body count höher als an der syrischen Front. Und das war so gewollt,
denn die Strategie der Konterrevolution ist nach ihrem Vorbild. In
Mahshahr, dem logistischen Zentrum der iranischen Petroleumindustrie
in der Provinz Khuzestan, wurden die Proteste mit Panzergefährten
der „Armee der Wächter der Islamischen Revolution“ militärisch
zerschlagen. Zuvor hatten die Menschen von Mahshahr die Straßen zum
Hafen von Bandar Imam Khomeini blockiert. In Karaj, Provinz Alborz,
wurde in den vergangenen Tagen die afghanische Hezbollah, die von den
„Revolutionswächtern“ gegründete Fatemiyoun Brigade, zum
Einsatz gebracht. In Ahvaz, Provinz Khuzestan sind irakische
Shia-Milizionäre präsent. Der Vorsitzende des berüchtigten
Teheraner Revolutionsgerichts, Musa Ghazanfarabadi, sprach unlängst
offen aus, dass jene libanesischen und irakischen, afghanischen und
pakistanischen Shia-Milizen die Verteidigung der „Islamischen
Revolution“ im Iran übernehmen, sobald die „inneren Kräfte“
darin zu scheitern drohen. Die khomeinistische Justiz in der
Krisenprovinz Kermanshah droht indessen damit, die Teilnahme an den
militanten Protesten als „Korruption auf Erden“ zu
ahnden. Nach Muhammad
Javad Haj Ali Akbari, der in Teheran die zentrale Institution der
Khutbah-Predigt innehält, hätten sich die Protestierenden der
„Feindseligkeit gegenüber Allah und dem Propheten“ – die
islamischen Jurisprudenz spricht von Moharebeh – schuldig gemacht.
Auf beiden Kapitalverbrechen steht in der Islamischen Republik die
Todesstrafe. Über Television, dem Islamic Republic of Iran
Broadcasting (IRIB), werden die Arten der Todesstrafe erörtert:
Verstümmelung der Körper, Verbannung auf das offene Meer und Hängen
am Strick.
Solche
barbarischen Drohungen sowie deren Verwirklichung sind wesentliche
Mechanismen der khomeinistischen Staatsgewalt seit Anbeginn der
Islamischen Republik. Und doch unterscheidet sich die Repression, mit
der die Massenproteste gekontert werden, von der in den Vorjahren vor
allem in ihrer Ungeduld. Anders als etwa während der
Silvesterproteste 2017/18 wartete das Regime nicht zunächst ab –
es schlug direkt gnadenlos zu. Die Jugend im Iran – das weiß auch
das Regime nur zu gut – ist für die „Islamische Revolution“
längst verloren. Es hat in den vergangenen Tagen vorgeführt, dass
es längst nicht mehr auf sein Agitationspotenzial vertraut als
einzig noch auf einen militaristischen Zwangsapparat, der über die
regionalen Shia-Milizen Zugriff auch auf den Irak und den Libanon
hat. Im Südirak sind es in diesen Tagen die mit dem khomeinistischen
Iran assoziierten Milizen wie das Badr Korps, die in direkter
Koordination mit der iranischen „Armee der Wächter der Islamischen
Revolution“ die Zentren der Massenproteste in Bloodlands aufteilen.
Und auch im Libanon, wo ebenso die Massenproteste andauern, werden
die Oppositionellen wieder und wieder von Prügelkommandos der
Hezbollah terrorisiert.
Die
Islamische Republik Iran verfolgt das Prinzip der syrischen
Katastrophe. Doch anders als in Syrien, wo das al-Baʿth-Regime und
seine Mordkumpanen aus Teheran, Moskau und Beirut auf die
sunnitischen Militanten, die neo-osmanische Expansionsstrategie der
Türkei sowie Qatar und die Muslimbrüder trafen, fehlt im Iran der
Komplementär zur khomeinistischen Despotie. Und das macht die
Aussage aus dem Auswärtigen Amt über die Verhinderung von „noch
mehr“ Destabilisierung als Legitimationsphrase zur Kumpanei so
perfide. In den Iran wird weder der „Islamische Staat“ (oder ein
anderweitiges Derivat des internationalistischen Jihads) einen Fuß
hineinbekommen – dafür ist im Iran selbst das innerislamische
Schisma zu schwach ausgeprägt mit Ausnahme der östlichen Provinz
Sistan und Belutschistan – noch existieren in der iranischen
Opposition Fraktionen angesichts derer, die khomeinistische
Despotie wie ein Garant von Sicherheit erscheinen könnte. Die
kritikwürdigsten Teile der iranischen Opposition, die Volksmujahedin
sowie die Royalisten, sind vor allem Exilphänomene. Von der
ursprünglichen Parteiideologie der Volksmujahedin aus den
Revolutionsjahren – märtyrerverherrlichend und im Sinne von Ali
Shariati ein eigenartiger Kitt aus marxistisch-leninistischer und
befreiungstheologischer Theorie sowie politischer Shia – ist vor
allem noch der Führerkult um Maryam Rajavi geblieben. Heutzutage
gerieren sie sich an der Seite von Rudolph Giuliani, John Bolton und
anderen US-amerikanischen Politikern als demokratisch und säkular.
Die Volksmujahedin als auch das Regime behaupten, dass ihre Kader
Rädelsführer der Straßenproteste sind, doch kein einziger der im
Iran populären Slogan referenziert an die Partei und ihre Ideologie.
Auch die
Parteigänger einer iranischen Monarchie, die nicht einheitlich sind,
behaupten wahrheitswidrig, die Regimegegner im Iran authentisch zu
repräsentieren. Doch der einzige populäre Slogan auf Irans Straßen,
der eine Vereinnahmung durch die Royalisten legitimiert, gilt weder
dem am 16. Januar 1979 hastig aus Teheran geflüchteten letzten Shah
Mohammad Reza Pahlavi noch seinem im US-amerikanischen Exil lebenden
Sohn Reza Pahlavi. „Reza Shah, gesegnet sei deine Seele“ – ist
eine Referenz an den Gründer der Pahlavi-Dynastie. Noch als
Ministerpräsident brachte Reza Khan im Jahr 1924 die Idee einer
Iranischen Republik in das Nationalparlament ein – inspiriert von
der Türkischen Republik Mustafa Kemals. Alsdann organisierten
Kleriker wie Seyyed Hassan Modarres, dessen Antlitz später in der
Islamischen Republik auf die 100 Rial-Banknote gepresst worden ist,
im Parlament den Boykott eines Votums über die Ausrufung der
Republik. Überdies peitschten Kleriker ihr Betvieh auf, Chaos zu
säen und die Straße zu terrorisieren. Reza Khan kapitulierte und
brach mit der Idee einer Republik. 1925 wurde er dann zum Shah
ernannt und begründete so die Dynastie der Pahlavi. Doch auch als
Monarch verfolgte Reza Shah die Modernisierung Irans. Im Jahr 1936
etwa verbot er den Chador. Zuvor führte er die Schulpflicht für
Mädchen ein und grenzte den Geltungsbereich des Klerus im
Justizwesen stark ein. Er nahm den Klerikern schließlich auch das
Exklusivrecht zur Beurkundung von Eheverträgen und somit einen
lukrativen Zweig ihres Finanzkonglomerats.
Anders sein
Sohn Mohammad Reza Pahlavi, der mit der Säkularisierung nicht
gänzlich brach, sich aber wieder und wieder opportunistisch an den
Klerus schmiegte. Wenige Monate nachdem Mohammad Reza im Jahr 1941
das Amt seines Vaters übernommen hatte, überzeugte er den Ayatollah Hossein Tabatabai Qomi, der zuvor
aufgrund der antiklerikalen Modernisierungspolitik von Reza Shah ins
irakische Exil nach Najaf gegangen war, wieder in den Iran zu kommen,
um eine integrale Stütze der Monarchie gegen das kommunistische
Gespenst zu werden. Mohammad Reza genehmigte wieder den Chador,
stärkte die islamische Theologie im Schulwesen und brach mit dem
Prinzip der Koedukation. Soviel zur Verklärung der Tage unter
Mohammad Reza etwa bei „Before Sharia Spoiled Everything“:
Emanzipation war ein Klassenphänomen, die Massen außerhalb der
urbanen Bourgeoisie waren weiterhin dem Zugriff der islamischen
Karitas und ihrer tugendterroristischen Lehre ausgehändigt.
Seit der
revolutionären Umwälzung des Irans im Jahr 1979 verschleiert der
Klerus seine langjährige Liaison, die einer Hassliebe glich, mit dem
Thron. Verschwiegen wird etwa, dass der Klerus im Jahr 1953 die
Schlüsselfunktion bei dem Coup gegen den Premierminister Mohammad
Mosaddegh innehatte. Es liegt also nahe, dass der populäre Slogan
„Reza Shah, gesegnet sei deine Seele“ vor allem eine Bekundung
zum antiklerikalen, säkularen Staat ist.
Selbst
wenn es so wäre, dass die Volksmujahedin und die Königstreuen einen
nicht unerheblichen Teil der iranischen Opposition repräsentieren –
sie können nicht gemeint sein, wenn das Auswärtige Amt von „Chaos
im Iran“ raunt und den „viel größeren Problemen“, mit denen
ein Ende der Islamischen Republik drohe. Die Wahrheit ist eine
andere: Das Auswärtige Amt assoziiert die eigenen
„Sicherheitsinteressen“ mit der Fortexistenz jener Staatswesen,
die als Meister des Todes ständig Trümmer auf Trümmer häufen. Die
Türkei der Grünen Wölfen etwa, die mit sunnitischen Jihadisten als
Frontvieh und deutschen Panzergefährten des Typs „Leopard 2A4“
das einzige Gemeinwesen in Syrien terrorisiert, in dem Rackets und
Warlords noch nicht triumphiert haben. Und der khomeinistische Iran,
der in diesen Tagen die Sozialrevolutionäre im Irak und den Iran
schlachtet, und doch auf die „europäischen
Bemühungen“ vertrauen kann,
das Business mit ihm zu ermöglichen.
Wenige
Tage nachdem sich auch in Europa keiner mehr täuschten konnte, dass
das Schweigegebot einer Karin Senz nur die moralinsaure wie zynische
Fassade der khomeinistischen Strategie der systematischen Abtrennung
vom Internet ist, traten weitere sechs europäische Staaten zum von
Deutschen, Briten und Franzosen kreierten Clearingsystem Instex bei,
mit dem – bislang erfolglos – weiteres Business mit dem Iran
garantiert werden soll. Der britische Ambassador Robert Macaire im
Iran versicherte,
dass die Europäer weiter bemüht sind, mit Instex das Business zu
ermöglichen, das „allen Iranern zugutekommt“. Sie können nicht
anders als ihre Kumpanei als humanistischen Dienst umzulügen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen