„Trump
Is Right on Syria. Turkey Can Get the Job Done. There will be no
victory for the terrorists.“
(Recep Tayyip
Erdoğan als Gastautor der New York Times, 7. Januar 2019)
„Bolton
hat einen schwerwiegenden Fehler gemacht und wer auch immer so denkt,
hat auch einen Fehler gemacht. In dieser Angelegenheit können wir
keine Kompromisse eingehen.“
(Erdoğan über John
Bolton, der zaghaft Sicherheitsgarantien für die kurdischen
Alliierten einforderte.)
Während
Donald Trump davon fantasiert, dass „Präsident Erdoğan“
ausrotten wird, was vom „Islamischen Staat“ übrig geblieben ist,
übernehmen die Derivate der syrischen al-Qaida die Provinz Idlib nahezu in
Gänze sowie Teile der Provinzen Hama und Aleppo und verleiben sich
dort auch die ersten Dörfer im Distrikt Afrin ein. Die türkische
Armee, die in Idlib stationiert ist, verharrt in
Passivität, während die türkeiloyale „Nationale
Befreiungsfront“ in die Flucht geschlagen wird. Selbst angesichts
der Konfrontationen in Grenzdörfern wie Atmeh schreitet die
türkische Armee nicht ein. Anders als ihre Helden in Afghanistan,
die noch gezwungen waren, sich in Höhlen zu tarnen, herrschen die
syrischen Derivate von al-Qaida nun über ein expandierendes
Territorium entlang eines Teils der Südgrenze des Nordatlantikpakts.
Die stärksten Verbände innerhalb der türkeinahen „Nationalen
Front“ – Ahrar al-Sham und die den Muslimbrüdern nahen Faylaq
al-Sham – eroberten noch im März 2015 Seite an Seite mit der
syrischen al-Qaida, der al-Nusra Front, und unter dem Namen Jaysh
al-Fatah die Stadt Idlib. Fusionsgespräche scheiterten
schlussendlich am nationalistischen Flügel von Ahrar al-Sham, den
ständigen Gerüchten über feindselige Intrigen und der
sektiererischen Aggressivität gegenüber Brigaden, die nicht
dieselbe Radikalität im Glauben teilen.
Über die
Gründe der türkischen Passivität mag spekuliert werden – doch
zweifelsohne rufen die vergangenen Tage Erinnerungen an den Fall von
Aleppo-Stadt Ende des Jahres 2016 hervor. Die Einnahme des urbanen
Ostens von Aleppo durch die Loyalisten Bashar al-Assads war weniger
die zwingende Konsequenz militärischer Überlegenheit als die der
drückenden Abhängigkeit der sunnitischen Militanten von der Türkei.
Die Milizionäre der ahl as-sunna mögen darauf vertraut haben, dass
der türkische Militäreinmarsch in Nordsyrien auch einen Korridor in
das östliche Aleppo schlagen werde, in Wahrheit aber drängte
Erdoğan, der mächtigste sunnitische Warlord in Syrien, die
Militanten in Aleppo dazu, die urbane Front aufzugeben und in die
nördlich gelegene Periphere abzusickern, wo die türkische
Militärkampagne Fırat Kalkanı, das „Schild des Euphrats“,
einzig noch die Verhinderung der territorialen Integrität eines
säkularen und föderalen Nordsyriens verfolgte, doch längst nicht
mehr eine direkte Konfrontation mit dem Damaszener Regime. Wie in
jenen Tagen des Falls von Aleppo liegt die Vermutung nahe, dass
Erdoğan dem Großmeister der Warlords, Vladimir Putin, Idlib
überlässt, um in Manbij ermächtigt zu werden, eine weitere
Militärkampagne zur Vernichtung der Föderation der Abtrünnigen zu
beginnen.
Die
Anwesenheit rivalisierender Akteure in der Provinz Idlib – unter
ihnen auch Brigaden der „Freien Syrischen Armee“ – ermöglichte
es bislang noch, dass manche Kleinstädte wie Atarib, Kafr Nabl oder
Maarrat al-Nu'man zivile Strukturen verteidigen konnten, die nicht
vollends vereinnahmt sind von der herrschenden islamomafiotischen
Milizökonomie. Doch während der türkische Warlord Erdoğan als
Gastautor der ehrwürdigen New York Times sich bei „Human Rights
Watch“ zu bewerben schien,
eroberte am Vortag die syrische al-Qaida das Städtchen Atarib. Vor
einem Jahr beschwor Erdoğan – und die Führung der
strenglaizistischen Cumhuriyet Halk Partisi (CHP) log mit ihm – die
Einnahme von Afrin, zuvor ein säkulares Refugium und friedliebendes
Binnenexil für Hunderttausende Syrer, als humanistische Geste:
„Zunächst werden wir die Wurzeln der Terroristen abtöten, dann
werden wir Afrin wieder lebenswert machen. Für wen? Für die 3,5
Millionen Syrer, die wir in unserem Land bewirten.“ Heute sieht die
türkische Armee unaufgeregt zu, wie sich die syrische al-Qaida
Dörfer im Süden des Distrikts Afrin krallt. Unterdessen werden
syrische Kurden aus Afrin vor türkische Gerichte gezerrt und der
„Zerstörung der Einheit des türkischen Staates“ beschuldigt
und droht weiteren
Abgeordneten der Halkların Demokratik Partisi (HDP) die Aufhebung
der Immunität, weil sie gegen die Hinrichtung des iranischen Kurden
Ramin Hossein Panahi protestiert haben. Zur Wahrheit über die
türkische Katastrophe gehört auch, dass es der Dunstkreis der
ultranationalistischen, aber islamskeptischen „Partei des
Vaterlands“ ist, der am hysterischsten eine weitere Militärkampagne
gegen das föderale Nordsyrien herbeibrüllt.
Man sollte
sich daran erinnern, wofür genau die Anklage des türkischen Staates
142 Jahre Haft für den Oppositionspolitiker Selahattin Demirtaş
fordert. Die schwerste Anschuldigung in der Anklageschrift betrifft
die Herbsttage des Jahres 2014, als der „Islamische Staat“ nur
noch wenige Straßenzüge davon entfernt war, die syrisch-türkische
Grenzstadt Kobanê einzunehmen. Wochen zuvor überrannten die
Soldaten des Kalifats die nordirakische Sinjar-Region, nahmen Kinder
und Frauen zu Sklaven und ermordeten jene männlichen Eziden, denen
nicht die Flucht gelang. Die genozidale Drohung, die sich dem
kurdischen Kobanê Meter für Meter näherte, konnte von niemandem
mehr geleugnet werden. Selahattin Demirtaş, der nunmehr seit dem 3.
November 2016 inhaftiert ist, rief in jenen Herbsttagen zu
gewaltfreien Protesten auf – für Solidarität mit Kobanê und
gegen die Repression jenen gegenüber, die Kobanê verteidigten. Die
türkische Anklage macht daraus „Volksverhetzung und Aufstachelung
zur Gewalt“.
Wäre in
diesen Tagen Kobanê an den „Islamischen Staat“ gefallen, hätten
die Genozideure über einen durchgängigen Grenzstreifen von mehr als
200 Kilometern mit der Türkei geherrscht. Mit den Soldaten des
Kalifats, darüber täuschte sich niemand in Ankara, ist Damaskus
nicht zu erobern. Viel mehr begann der „Islamische Staat“ auch
jene sunnitischen Militanten, denen die ausgiebige Generosität der
Türkei gilt, in aufreibende Revierfehden um Territorien, Rekruten
und theologische Reinheit zu zwingen. Und doch folgen die türkeinahe
nationaljihadistische Islamische Front, die Brigaden der „Freien
Syrischen Armee“, die syrische al-Qaida und der „Islamische
Staat“ einem ähnlichen Koordinatensystem: Die Übernahme der
Kontrolle über weitflächige Grenzstreifen oder gar Grenzübergänge
zur Türkei war und ist eine der priorisierten Beuten der syrischen
Katastrophe. Eine Schleuse zur Türkei garantiert ein logistisches
Nadelöhr und stößt die Pforte zu einer lukrativen
Schmuggelökonomie auf. Der Grenzübergang Bab al-Hawa etwa, der den
syrischen M45 Highway von Aleppo nach İskenderun verlängert, wurde
am 19. Juli 2012 von der „Freien Syrischen Armee“ unter Kontrolle
gebracht. Im Dezember 2013 wurde sie von den syrischen Taliban der
Ahrar al-Sham (als Mitglied der inzwischen nicht mehr existenten
Islamischen Front) verdrängt, die im Juli 2017 dann vor der
syrischen al-Qaida via Bab al-Hawa in die Türkei flüchteten.
Die syrische
Katastrophe reizte in der Türkei eine Hochkonjunktur islamischer und
panturanistischer Nichtregierungsorganisationen an. In der syrischen
Hölle, wo das Aushungern eine zentrale Strategie des Regimes von
Bashar al-Assad war und Menschen über Jahre auf wenigen
Quadratkilometern eingeschlossen blieben, entschied über Loyalität
und Rekrutierung als erstes ein funktionierendes Distributionssystem
in den eingeschlossenen Distrikten. Wer die Mehlmühlen und
Brotstuben kontrolliert, erzwingt Hörigkeit. Graswurzeljihadisten –
humanistisch geschmückt als Caritas – wie İHH İnsani Yardım
Vakfı, İmkander und İyilikder mit Nähe zum Staat der
Muslimbrüder, Grüne Wölfe wie Yesevi Yardım aber auch klandestine
Moscheen und diskrete Schleuser des „Islamischen Staates“
begründeten den logistischen Unterbau der sunnitischen Militanten in
Syrien.
Doch wenden
wir uns wieder den Herbsttagen des Jahres 2014 zu. Die türkischen
Panzergrenadierbataillone, die selbst bei friendly fire durch den
„Islamischen Staat“ geduldig auf den an Kobanê angrenzenden
Hügeln ausharrten, bildeten einzig die absurde Kulisse für eine
„next door“-Politik, die so ganz anders gemeint sein muss als von
Donald Trump in diesen Tagen. Die Proteste gegen die türkische
Passivität gegenüber dem „Islamischen Staat“ und dem
aggressiven Einschreiten jenen gegenüber, die von der Türkei aus
nach Kobanê wollten, um die Grenzstadt zu verteidigen, eskalierten
alsdann. In Gaziantep und anderswo verbrüderten sich Polizisten mit
militanten Grauen Wölfen, die Protestierende hetzten. Im
laizistischen İzmir-Bornova traktierte eine nationalchauvinistische
Rotte unter „Allahu ekber“-Gebrüll und dem Wolfsgruß den stark
blutenden und leblos wirkenden Ekrem Kaçaroğlu, dem zuvor das
gegossene Blei eines Polizisten traf. Der Kurde verlor Tage später
sein Leben.
Doch am
mörderischsten eskalierten die Proteste im Südosten, wo Freunde
eines freien Rojavas auf Parteigänger der kurdischen Hizbullah
trafen. Auch hier kam es zum Schulterschluss zwischen Polizisten und
den militanten Feinden eines säkularen Kobanê. Einer ihrer
(vermutlich im Iran oder im Libanon lebenden) Führungskader,
Edip Gümüş, äußerte sich zuvor über den „Islamischen Staat“:
„Diejenigen, die sagen, dass sie Muslime sind, können nicht unsere
Feinde sein“. Die Hizbullah begann in den Jahren 1979 - 1980
als von Ruhollah Khomeini inspirierter sunnitischer Zirkel zur
(Re-)Missionierung der mit Unglauben und Degeneration konfrontierten
Kurden und endete als militante Todesschwadrone, die unzählige
Abtrünnige bestialisch folterte und ermordete und „unkeusche“
Frauen mit Säure verätzte.
Im folgenden
Jahr sollten die Schläferzellen des „Islamischen Staates“ in der
Türkei selbst zu schlagen: am 6. Juni in Diyarbakır, am 20. Juli in
Suruç, der Schwesterstadt von Kobanê, am 10. Oktober in Ankara. Die
Toten waren ausnahmslos Oppositionelle, zumeist Parteigänger der HDP
von Selahattin Demirtaş.
(Wer
irritiert ist, dass in diesen Beobachtungen die deutsche Politik
nicht vorkommt: das Auswärtige Amt bastelt an der baldigen
Funktionsfähigkeit einer „Special-purpose entity“, eines eigenen
Zahlungssystems, das das Business mit den khomeinistischen Mördern
im Iran über ein Clearinghaus jenseits der internationalen
Finanzmärkte ermöglichen soll. Man muss eben Prioritäten haben.)
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