“You
know what? It’s yours,” Trump said of Syria. “I’m leaving.”
(Die
Washington Post über das Gespräch zwischen Donald Trump und Recep
Tayyip Erdoğan am 14. Dezember 2018)
„President
@RT_Erdogan of Turkey has very strongly informed me that he will
eradicate whatever is left of ISIS in Syria...and he is a man who can
do it plus, Turkey is right 'next door`.“
(Trump
twittert über sein Gespräch mit Erdoğan, 23. Dezember 2018)
Am 19.
Dezember verhieß Donald Trump auf Twitter den Sieg über den
„Islamischen Staat“ und befahl – für viele unerwartet – den
baldigen Abzug des US-amerikanischen Militärs aus Syrien. Das
Pentagon schien mit der Entscheidung überrumpelt worden zu sein. Der
Verteidigungsminister James Mattis erklärte, er werde sein Amt
jemanden überlassen, der in den entscheidenden Fragen weniger
Differenzen mit dem Präsidenten habe. Brett McGurk,
US-amerikanischer „Architekt“ der multinationalen Allianz gegen
den „Islamischen Staat“, folgte Mattis am nächsten Tag. Die
syrisch-kurdischen Alliierten loben McGurk dafür, dass er dabei
half, das Konfliktpotenzial zwischen ihnen und den
arabisch-sunnitischen Stämmen in den vom „Islamischen Staat“
befreiten Regionen zu entspannen und in Raqqa, Tal Abyad und Manbij
Räte zu etablieren. Trump dagegen twitterte, er kenne McGurk nicht.
Ganz anders
als konsterniert reagierte der türkische Staatspräsident Recep
Tayyip Erdoğan. Nach seinem Gespräch mit Donald Trump habe er sich
entschlossen, noch solange eine weitere Militärkampagne gegen
Nordsyrien hinauszuzögern, bis der US-amerikanische withdrawal
abgeschlossen sei. (Das Pentagon spricht von 60 bis 100 Tagen.) Die
Türkei wolle, so Erdoğan, das Risiko eines friendly fire vermeiden.
Dass der unlängst angedrohte Einmarsch als Vernichtungsfeldzug gegen
das föderale Nordsyrien und seine Protagonisten konzipiert ist,
daran lässt die Türkei selbst keinen Zweifel. Wir werden sie „in
den Gräben begraben, die sie ausgehoben haben“, verspricht etwa
Hulusi Akar, hochdekorierter General und inzwischen türkischer
Verteidigungsminister. Von „Ausrotten“ spricht der
Staatspräsident Erdoğan. Und von „Ausrotten“ spricht inzwischen
auch Trump, der behauptet, Erdoğan werde dies mit dem machen, was
vom „Islamischen Staat“ übrig geblieben sei.
Als die
Türkei tatsächlich noch „next door“ zum „Islamischen Staat“
lag und die beiden – anders als heute – eine Grenze teilten, schien
man in Ankara lange mit der Grenzsituation versöhnt zu sein. Auch
und vor allem als der „Islamische Staat“ die syrische Grenzstadt
Tal Abyad eroberte und von den Minaretten der Moscheen ein Ultimatum
an alle Kurden verlas: Flucht oder Tod. Doch vergessen scheinen nun
die Tage, an denen die islamistischen Genozideure am türkischen
Grenzübergang feixten und ungehindert von der türkischen Armee Flüchtende mit Gewalt davon abhielten, auf die andere Grenzseite zu gelangen.
Die berüchtigte jihadistische Todesschwadrone Dokumacılar, die die
suizidalen Massaker in Diyarbakır, Suruç und Ankara ausführte,
reiste über die türkisch-syrische Grenze ein und aus. Als im Juni
2015 der militante Arm der Föderalisten, die Yekîneyên Parastina
Gel (YPG), Tal Abyad befreite, rächte das türkische Militär den
aus der Kleinstadt flüchtenden „Islamischen Staat“ mit seiner
Artillerie.
Ganz so wie
Vladimir Putin zu Beginn des Jahres Afrin den Wölfen zum Fraß
vorgeworfen hat, händigt Trump nun die säkularen Föderalisten in
Manbij und östlich des Euphrats den türkischen Aggressoren aus.
Doch der Unterschied könnte noch einer um das Ganze sein: Im
russischen Militär und dem Dunstkreis Putins regte sich anders als
bei Trump nicht der Hauch von Widerstand gegen das zynische Kalkül
des Führers. Und noch ist nicht entschieden, wie sich das in
Nordsyrien ebenfalls stationierte französische Militär verhält.
Es ist eine
mit Interesse geteilte Lüge, dass die militärische Präsenz der
US-Amerikaner in Syrien allein dem „Islamischen Staat“ galt. Mit
den Syrian Democratic Forces (SDF) gelang es – anders als im Irak,
wo McGurk als Koordinator der Allianz eine schwächere Hand aufwies –
das Kalifat zu zerschlagen, ohne die befreiten Territorien den
Shiah-Milizen unter iranischem Kommando zu überlassen. Die circa
2000 in Syrien stationierten US-amerikanischen Soldaten haben bislang
– neben koordinativen und instruktiven – vor allem eine Funktion
gehabt: ihre physische Anwesenheit verunmöglichte, dass der
khomeinistische Iran und die Hezbollah, das Regime von Bashar
al-Assad und die Türkei den ressourcenreichen Nordosten Syriens
unter sich aufteilen. Die Föderalisten befreiten unter schwersten
Verlusten Terrain für Terrain vom „Islamischen Staat“, die
Präsenz der US-Amerikaner hielt währenddessen ihre anderen Feinde
auf Distanz. In Afrin bekam diese Allianz erste Risse. Inzwischen
twittert Trump von „langen und produktiven Gesprächen“ mit
Erdoğan über den „höchstgradig koordinierten Abzug“ des
US-amerikanischen Militärs aus Syrien – und dem „stark
expandierenden“ Geschäft mit der Türkei.
Weder hat das
US-amerikanische Militär in Syrien einen hohen body count zu
erleiden noch frisst die Stationierung von 2000 Soldaten den eigenen
Militäretat auf. Die militärische Präsenz war eine relativ
kostengünstige Investition in die Absicherung eines Gemeinwesens,
das dem territorialen Vorstoß des khomeinistischen Irans erfolgreich
eingrenzt und – wenn man auch nicht viel Weiteres teilt – in dem
der Hass auf Amerika keine Staatsideologie ist. Die Entscheidung von
Donald Trump zum withdrawal aus Syrien kann folglich nur als eine
strategische für die Türkei der Grünen Wölfe verstanden werden.
Sie ist die Generalabsolution für jene Staatsbestie, die am
hysterischsten heult, sich als Regionalmacht aggressiv zur Geltung zu
bringen. Die krisenhafte Allianz der US-Amerikaner mit Saudi-Arabien
wird ergänzt durch eine mit der Türkei. Die syrisch-kurdischen
Föderalisten dagegen werden – wie in Afrin – zu territorialen
Kompromissen mit dem Regime Bashar al-Assads gezwungen.
Folgenlos,
aber nicht weniger niederträchtig als die Entscheidung von Donald
Trump ist die Erklärung des deutschen Auswärtigen Amtes zur
Katastrophendynamik Syriens. Das Amt beschwört das notorisch
multilaterale Werkeln mit „unseren Partnern (...) für einen
politischen Prozess“, als wäre es nicht die Türkei, der Partner
in crime des Auswärtigen Amtes, die die jihadistischen Mordbrenner
und irren Panturanisten als „Nationale Armee“ uniformiert und in
den Nordosten Syriens abkommandiert. Den Kampf gegen den „Islamischen
Staat“, den auch das Auswärtige Amt als Alibi vorbringt, haben die
Deutschen in Syrien nie geführt. Bis heute ignorieren die deutschen
Ministerien die dringende Bitte der syrisch-kurdischen Föderalisten,
sich den Jihadstenbräuten mit deutscher Staatsangehörigkeit sowie
ihrer Kinder anzunehmen, die in Nordsyrien arretiert sind. Anders als
jenseits des Atlantiks wird Solidarität mit den syrisch-kurdischen
Föderalisten mit Paragraf 129b und Symbolverboten konsequent
kriminalisiert. Die Forderungen nach deutschen Soldaten für
Nordsyrien ignorieren das Offensichtlichste. Wenn das Auswärtige Amt
von „Stabilisierung“ und „politischer Ordnung“ spricht, dann
ist die Grabesruhe seiner traditionellen Mordsfreunde gemeint: die der
Türkei, Saudi-Arabiens, des Irans.
Als die
türkische Armee Seite an Seite mit ihren islamistischen
Frontkämpfern in das syrisch-kurdische Afrin einmarschierte,
täuschte das Auswärtige Amt über die „legitimen
Sicherheitsinteressen (der Türkei) entlang ihrer Grenze zu Syrien“,
kokettierte es schamlos mit dem eigenen Unwissen angesichts der
„fluiden Lage“ und offerierte es den türkischen Aggressoren die
technologische Nachrüstung ihrer Panzergefährte. Anders als in
Idlib verunmöglichten in Afrin Beton, Stacheldraht, Drohnen und
gegossenes Blei, dass weitere Massen an in die Flucht Gezwungenen
nach Europa aufbrachen. Die Bilder deutscher Panzergefährten mit
türkischer Besatzung, die mit Wolfsgruß, „Allahu Akbar“
brüllend und Seite an Seite mit islamistischen Milizionären in Afrin
einrollten, grüßen uns auch mit Stoßrichtung Manbij wieder.
Vorneweg sind, wie in Afrin, die islamistischen Marodeure von Ahrar
al-Sharqiyah, die mit Vorfreunde den „Tod der Ungläubigen“
ankündigen.
Die Türkei
wälzte das säkulare Afrin zu einem Pseudo-Emirat um, in dem einzig
die Entführungsindustrie und die Produktion von Snuff-Filmen
floriert und islamistische Warlords als Pseudo-Emire um die Beute
rivalisieren. Auf der Straße herrscht für Frauen die
Zwangsverschleierung, wo zuvor die Befreiung der Frauen als einer der
zentralen Grundpfeiler des föderalen Gemeinwesens ausgerufen wurde.
Während die Türkei den Nordwesten Syriens unter ihr Diktat zwingt,
werden syrische Kurden aus Afrin vor türkische Gerichte gezerrt und
der „Zerstörung der Einheit des türkischen Staates“
beschuldigt.
Es ist nicht
eine etwaige „terroristische Bedrohung“, die die Türkei nach
Nordsyrien vorzustoßen zwingt. Die verheerenden Massaker in
Grenznähe in Reyhanlı am 11. Mai 2013 und in Suruç am 20. Juli
2015 waren islamistische – vom „tiefen Staat“ der Grünen Wölfe
Erdoğans flankiert. In der an der Türkei angrenzenden Provinz Idlib
herrschen bis heute weitflächig die syrischen Derivate der al-Qaida.
Die türkische Aggressivität gründet ganz woanders: Die dezidiert
säkulare Föderation Nordsyrien blockiert die türkische
Großraumexpansion – und sie provoziert Neid und Rachegelüste.
Denn während die Föderation auch für Araber, assyrische und
armenische Christen ein Versprechen auf bessere Tage ist, herrschen
in jenen Teilen Syriens, in die die Türkei ausgiebig investiert hat,
eine misogyne Apartheid zwischen Frauen und Männern, brutale
Gangrivalitäten und eine absurde Türkfizierung.
Die
syrisch-kurdischen Föderalisten und ihre Freunde fürchteten eine
Revolution, die aus den Moscheen kam und zu einer Geiselnahme
verkümmerte. Aus vielen guten Gründen – denn die fatalen
Mechanismen der Militarisierung des Konfliktes waren früh zu
erkennen. Stammesautoritäten, salafistische Imame, selbst ernannte
Emire, desertierte Militärs, gewiefte Start-up-Unternehmer, manche
zuvor selbst in Funktion für das Regime, heuerten in der ruralen
Peripherie der Städte junge sunnitische Männer an, die von dem
Klientelregime Bashar al-Assads ausgesperrt blieben und denen die
Zwangsrekrutierung durch die verhasste Zentralgewalt drohte. Mit
einem Miliznamen, der die Herrlichkeit des Islam pries, und dem
frommen Versprechen, die ahl as-sunna, das „Volk der Tradition“,
gegen die Häretiker zu verteidigen, warben die Warlords in Qatar und
anderswo um Finanzierung. Vor allem die Kontrolle über
Grenzübergänge und Schmuggelkorridore zwischen den „befreiten“
Territorien und zur Türkei versprachen enorme Gewinnspannen und
ließen ein islamo-mafiotisches Interessengeflecht heranwuchern, das
von den Interessen des türkischen Regimes der Grünen Wölfe
Erdoğans kaum zu unterscheiden ist.
Das
Arabisierungsregime der al-Baath hat vor allem auch in
Syrisch-Kurdistan jahrzehntelang Hass gesät, doch die Föderalisten
haben ihn nicht geerntet. Sie konterten den arabischen
Nationalchauvinismus, der sich in Entrechtung, Verfolgung und Folter
tagtäglich konkretisierte, nicht durch eine nationalistische
Gegenmobilisierung. Vor allem über lokale Räte konsolidierten die
Föderalisten die befreiten Territorien, in denen es – auch mit dem
schlagenden Argument der militärischen Allianz mit den
US-Amerikanern – gelang, auch konservativ sunnitisch-arabische
Stämme zur Teilhabe zu gewinnen. Im schleunigst niedergeschriebenen
Contract Social der Föderation ist die Säkularität des
Gemeinwesens benannt und werden Kinderehe, Vielehigkeit und weibliche
Genitalverstümmelung explizit kriminalisiert. Während im türkisch
eroberten Afrin ein schwarzer Schatten über die Frauen geworfen
wird, hat das von den Föderalisten befreite sunnitisch-konservative
Rakka – zuvor die Kapitale des „Islamischen Staates“, in der
deutsche, französische und tunesische Jihadistenbräute sich junge
ezidische Mädchen als Sklavinnen hielten – mit der großartigen
Leila Mustafa nun eine unverschleierte Frau als Vorsitzende des
Stadtrats.
Wer denkt,
die Türkei marschierte in Nordsyrien ein, um etwa aus Afrin ein
syrisches Alanya zu machen, täuscht sich gewaltig. In der imperialen
Aggression nach außen verschmelzen Islam und die
nationalchauvinistische Kontinuität der Republik ungehemmt. Und so
ist Syrien ein Abbild der aggressiven Racketisierung, die auch die
Türkei unlängst mitgerissen hat, und zugleich das zersprungene
Spiegelbild des Gründungsverbrechens der Türkischen Republik. Im
Nordosten Syriens, vor allem im Kanton Cizîrê, leben noch
heute viele der Nachkommen der Überlebenden des Genozids an
assyrischen und armenischen Christen von 1915. Auf den Straßen von
Qamişlo, Dêrik und Reš Ayna feierten sie in den vergangenen Tagen
noch fröhlich – und doch betrübt durch die drohenden Katastrophen
– Weihnachten.
Wer sich in
diesen Tagen in Äquidistanz gefällt, sollte sich bewusst machen,
was alles bedroht ist:
Solidarität
mit den Föderalisten Nordsyriens
Keinen
Fußbreit den türkischen Aggressoren
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