Sonntag, 30. September 2018

Ein „Akt europäischer Souveränität“ – Notizen zur Kumpanei mit der khomeinistischen Despotie und der Türkei der Grünen Wölfe



Am frühen Morgen des 8. Septembers wurden die zuvor monatelang hinausgezögerten Hinrichtungen von Ramin Hossein Panahi sowie der beiden Cousins Zanyar und Loghman Moradi ausgeführt. Am Vortag der Morde demonstrierte in Teheran ein Männerbund aus Hassan Rouhani (in Stellvertretung von Ali Khamenei), Recep Tayyip Erdoğan und Vladimir Putin, dass einzig sie in Syrien und darüber hinaus zwischen Leben und Tod zu entscheiden haben. Simultan zu den Hinrichtungen bombardierte die iranische „Armee der Wächter der Islamischen Revolution“ das nordirakische Koya, wo viele kurdische Geflüchtete aus dem Iran leben. In Koya – zwischen Erbil und Sulaymaniyah liegend – hat die oppositionelle Demokratische Partei Kurdistans-Iran (PDK-I), deren Parteiführungen im Exil von den khomeinistischen Schergen bis nach Berlin und Wien verfolgt und gemeuchelt wurden, ihre Basis.

Das türkische Militär macht es der Islamischen Republik Iran seit Monaten vor. Am 15. August bombardierte es einen Konvoi, der eine Gedenkzeremonie in Koço, ein ezidisches Dorf südlich des Sinjar-Gebirges, verließ und ermordete dabei den ezidischen Politiker Ismail „Mam Zekî“ Özden und Angehörige einer ezidischen Selbstverteidigungseinheit. An jenem Tag jährte sich das Massaker von Koço. Etwa sechshundert ezidische Männer ermordete der Islamische Staat am 15. August 2014; über tausend Kinder und Frauen wurden aus dem Dorf entführt und in die Sklaverei gezwungen*. Die am 15. August 2018 Ermordeten haben um sie getrauert. „Mam Zekî“, einer der Organisatoren des Fluchtkorridors der vom Islamischen Staat Gehetzten und Parteigänger Abdullah Öcalans, wurde vom türkischen Boulevard als Trophäe präsentiert.

Die Islamische Republik Iran und die neo-osmanische Türkei teilen nicht einzig den aggressiven Geltungsdrang jenseits der eigenen Staatsgrenzen und die ökonomische Krise, die beide vollends erfasst und den Wert ihrer Währungen in den Abgrund gerissen hat. Es scheint ganz so, dass umso krisenhafter die Verfasstheit und aggressiver die Krisenexorzierung beider Regime ist, desto inbrünstiger beschwört die deutsche Politik wie ein irrer Selbstläufer die geteilten Interessen mit beiden.

Es ist nicht einzig das Aasgeiern auf ein gesteigertes Auftragsvolumen für die heimische Industrie, welches die Kumpanei anreizt. Der deutsche Blick auf die Katastrophen, die jenseits des europäischen Toten Meeres Trümmer auf Trümmer häufen, ist der des Friedhofsverwalters mit sozial- oder christdemokratischer Parteierziehung zur Charakterlosigkeit. Seit die auf Vertragspapier zur Geltung gebrachte iranische Erpressung – Reduzierung der Urananreicherung gegen Business als Finanzierungsgarantie für die khomeinistische Aggression in Syrien, dem Irak und anderswo – von den US-Amerikanern nicht mehr mitgetragen wird, beschwört man in Europa einen „historischen Fehler“. Während im Iran bei Straßenprotesten das Ende der Islamischen Republik eingefordert wird, erhebt Heiko Maas den „Erhalt der Zahlungskanäle“ zur „Priorität“ des europäischen Krisenmanagements. Für die Islamische Republik Iran kreierten Deutsche, Franzosen und Briten nun ein eigenes Zahlungssystem, das das Business mit den khomeinistischen Schlächtern über ein Clearinghaus jenseits der internationalen Finanzmärkte ermöglichen soll. Dieser Vorstoß sei, so die beteiligten Minister, ein „Akt europäischer Souveränität“.

Freiheit für Roya Saghiri – im Iran inhaftiert, weil sie gegen den Zwangshijab protestierte 

Während die europäischen Kumpanen die Eskalation der Krise als drohende Folge einer „Isolierung des Irans“ (Auswärtige Amt) umlügen und somit systematisch über den eliminatorischen wie auch selbstzerstörerischen Charakter der khomeinistischen Despotie täuschen, machen sich die Streikenden in der Stahlindustrie von Ahvaz, die Protestierenden gegen die grassierende Korruption in Kazerun und gegen das Niederbrennen der Wälder in Marivan keine Illusionen, dass die Islamische Republik selbst die Krise ist**. Die europäische Politik gegenüber dem Iran ist längst nicht nur Beschwichtigung. Sie ist die offene Flanke für einen angeschlagenen Tyrannen und die unmissverständliche Feinderklärung an einen säkularen Iran.

Und nicht nur im Iran ergreift dieses deutsche Europa Partei für die aggressivsten Feinde des freien Lebens und gegen die allein gelassenen Säkularen. Als die türkische Armee Seite an Seite mit ihren islamistischen Frontkämpfern in das syrisch-kurdische Afrin einmarschierte, täuschte das Auswärtige Amt über die „legitimen Sicherheitsinteressen (der Türkei) entlang ihrer Grenze zu Syrien“, kokettierte es schamlos mit dem eigenen Unwissen angesichts der „fluiden Lage“ und offerierte es den türkischen Aggressoren die technologische Nachrüstung ihrer Panzergefährte. Anders als in Idlib verunmöglichten in Afrin Beton, Stacheldraht, Drohnen und gegossenes Blei, dass weitere Massen an in die Flucht Gezwungenen nach Europa aufbrachen. Mehrere hunderte Geflüchtete ermordete die türkische Armee in den vergangenen Jahren entlang der Grenze zu Syrien. Exakt dies muss Angela Merkel gemeint haben als sie lobte, die Türkei erbringe „Herausragendes“ als Prellbock weiterer wilder Migration.

Die Türkei wälzte das säkulare Afrin zu einem Pseudo-Emirat um, in dem einzig die Entführungsindustrie und die Produktion von Snuff-Filmen floriert und islamistische Warlords als Pseudo-Emire um die Beute rivalisieren. Die ezidischen Gemeinden in Afrin sind verwaist. Auf der Straße herrscht für Frauen die Zwangsverschleierung, wo zuvor die Befreiung der Frauen als einer der zentralen Grundpfeiler des föderalen Gemeinwesens ausgerufen wurde. Während die Türkei den Nordwesten Syriens unter ihr Diktat zwingt, werden syrische Kurden aus Afrin vor türkische Gerichte gezerrt und der „Zerstörung der Einheit des türkischen Staates“ beschuldigt. Doch anders als die „Causa Özil“, die zur Sinnkrise deutscher Integrationspolitik wurde, provozierten die Bilder deutscher Panzergefährten mit türkischer Besatzung, die mit Wolfsgruß und Seite an Seite mit islamistischen Mordbrennern in Afrin einrollten, keine deutschen Befindlichkeiten.

Es ist nicht zufällig, dass Heiko Maas vor und nach seiner jüngsten Amtsreise in die Türkei seine Besorgtheit um das deutsche Ansehen außerhalb der eigenen Staatsgrenzen äußerte – ganz so als wenn die „Schande von Chemnitz“, also die spontane wie organisierte Anrottung der grölenden Klasse, zuallererst eine Bedrohung für die deutschen Exportüberschüsse sei und nicht für die dort lebenden Geflüchteten***. Gerade in der Kumpanei mit den orientalischen Despoten wähnen sich die Deutschen als moralisch integer, als „ehrlicher Makler“, der die Grabesruhe achtet, während die US-amerikanische Konkurrenz immerzu auf Krawall gebürstet ist.

Auch der Vorgänger von Heiko Maas im Auswärtigen Amt wusste angesichts des migrantenfeindlichen Straßenkrawalls im sächsischen Heidenau, die Deutschen als die Geschädigten auszumachen. Die Identifikation der nationalsozialistischen Rotte als die „eigentlichen Undeutschen“ (S. Gabriel) muss weiterhin auch als Drohung verstanden werden. Der staatsoffizielle Antiextremismus ist die moralinsaure Fassade der Kumpanei mit der organisierten Barbarei anderswo, ganz so wie der Ausspruch von Heiko Maas, „Ich bin wegen Auschwitz in die Politik gegangen“, dem perfiden Initiationsritual zu einem Auswärtigen Amt ähnelt, das den Erhalt einer Despotie, deren heiligster Staatszweck die Annihilation Israels ist, sowie das geteilte „strategische Interesse“ mit dem islamomafiotischen Regime Erdoğans zum schicksalshaften Auftrag deutsch-europäischer Friedenspolitik macht.

Die Deutschen wären aber keine Deutschen mehr, wenn sie nicht ihre Lügen selbst glauben würden. Der Staatsempfang Recep Tayyip Erdoğans wird als Sachzwang zelebriert, denn wir bräuchten „offene Worte“ und „den Dialog mehr denn je“ (A. Özoğuz). In „angespannter Atmosphäre“ und mit „ernster Miene“ wird den Märkten als auch den durch die ökonomische Krise verunsicherten türkischen Parteigängern Erdoğans versichert: Unter keinen Umständen werden wir unseren partner in crime fallen lassen; das einzige, was von uns droht, ist das Sudeln der Kollaborateure in Selbstmitleid. Und so wird in den nächsten Tagen ein wenig über „vertane Chancen“ (der langjährige Kölner Stadtvater F. Schramma) bei der Einweihung der Zentralmoschee gejammert, als wäre diese von der DİTİB ursprünglich für „einen Dialog mit Andersgläubigen“ konzipiert und nicht für die Vereinnahmung der Gläubigen ganz im Sinne von Tugendhaftigkeit und ewigem Türkentum.

Keinen Zweifel dagegen lässt man an dem geteilten „strategischen Interessen“ (A. Merkel) mit der Türkei und den deutschen Investitionen. Anders als im Iran wird in der Türkei nach wie vor gebaut und gebaut. Und gestorben. Mitfinanziert von europäischen Finanzinstituten. Um die 400 Tote forderte allein die Realisierung des dritten Flughafens Istanbuls. Die Organisierung der Proletarier ist gebrochen. Jüngst zerschlugen Polizei und der milizähnliche Sicherheitsdienst des Flughafenkonsortiums Proteste gegen die elendigen Zustände gnadenlos nieder. In der ehrwürdigen FAZ forderte Erdoğan indessen in einem „Gastbeitrag“ einen „Schulterschluss“ der „verantwortungsbewussten Staaten“ für ökonomische Rationalität und gegen die egozentrische Schutzzollpolitik der US-Amerikaner, während er sein eigenes Brüllvieh antisemitisch agitiert und die türkische Ökonomie in Territorien mit ihm assoziierter Gangster aufteilt.



* Eine der größten Massenfluchten der vergangenen Jahre war die der Eziden aus dem Irak im Angesicht des genozidalen Vorstoßes des Islamischen Staats im Sinjar-Gebirge. Nicht wenige von ihnen wird von bayrischen Gerichten selbst kein subsidiärer Schutz gemäß § 4 AsylG zugestanden, da die „Verfolgungsdichte“ im kurdischen Nordirak zu gering sei. In griechischen Slums harren indessen überproportional viele Eziden aus. Auch die Verfolgungsintensität von kurdischen Geflüchteten aus dem Iran wird systematisch niedrig bewertet. Jahrelang werden sie gegängelt von der Residenzpflicht und anderen behördlichen Schikanen. Die überwältigende Mehrheit von ihnen sind junge Menschen, denen die islamische Tugenddiktatur verhasst ist.
** Selbst die jüngste Brot- und Wasserrevolte im südirakischen Basra war vor allem auch eine gegen die grassierende Korruption und die katastrophale Infiltrierung des Iraks durch den khomeinistischen Iran mit seinem Unwesen der Milizen. Dass im schiitischen Basra die Repräsentanzen der Islamischen Republik Iran sowie loyaler Milizen und Parteien niedergebrannt wurden, bestärkt den Eindruck, dass einzig noch in Berlin, Paris und London sowie im syrischen Präsidentenpalast von Bashar al-Assad der khomeinistische Iran als Stabilitätsanker gilt.
*** Auch unter Freunden der Ideologiekritik geistert der Mythos herum, dass es das Appeasement mit dem Islam ist, das so manche Deutsche aus Protest gegen die angestammten Parteien zur völkischen Alternative – Alexander Gauland: „Wir haben kein Interesse daran, Menschheit zu werden. Wir wollen Deutsche bleiben.“ – treibt. Bei aller Einfühlung in die grölende Klasse überhört man doch, was diese in Chemnitz und anderswo selbst äußert: Es ist nicht das islamische Patriarchat oder etwas anderes ihnen Fremdartiges, das den Hass der „Absauf“-Deutschen provoziert. Sie denunzieren die Geflüchteten als die unerwünschten Rivalen um die Zuneigung des Souveräns. Ihre Enttäuschung über den Staat – ganz so wie bei der abtrünnigen Geliebten („Merkel, du Fotze“) – besteht darin, dass sie ihn mit den Geflüchteten teilen müssen. Sie fordern, als Kurtisanen des 'verborgenen Staates', dass die Liebe der Mutter allein ihnen gilt – und mag die einzige amouröse Geste des Souveräns darin bestehen, dass dieser ihnen vorführt, dass es anderen noch elendiger ergeht. Es war hemmungslose Neidbeißerei, die sich in Chemnitz Bahn brach, und nicht eine irgendwie „verkürzte“ Islamkritik und die Trauer um das Leben eines jungen Menschen. Die „Islamkritik“ der völkischen Alternative endet – in der geopolitischen Reproduktion – bei dem Mufti von Damaskus, dem theologischen Schergen Bashar al-Assads, oder mit Vladimir Putin bei Ramzan Kadyrov.

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