Im
nordsyrischen Afrin feierten die jihadistischen Gangs am 24. Juni
gebührlich den Warlord Recep Tayyip Erdoğan als ihren Führer durch
das Entleeren ihrer Munition in das sich verdunkelnde Firmament.
Querschläger haben dabei mehrere Kollateralschäden gefordert. In
das urbane Afrin war die türkische Armee am 18. März dieses Jahres
einmarschiert. Das unter ihrem Oberbefehl stehende islamistische
Frontvieh drohte triumphierend mit der Annihilation aller
„Ungläubigen“. In Afrin begann auch der Niedergang der
türkischen Opposition – längst bevor am Urnengrab die
Perpetuierung des faschistischen Präsidialregimes Erdoğans erpresst
und erzwungen wurde. In Afrin hätte eine türkische Opposition, die
etwas auf sich hält, zum Dolchstoß entschlossen sein müssen. Sie
hätte das säkulare Afrin verteidigen müssen, wie sie İzmir und
andere lebensfreudige Refugien gegen die Muslimbrüder verteidigt.
Währenddessen haben die traditionslaizistische Cumhuriyet Halk
Partisi – bis auf wenige honorige Ausnahmen innerhalb der Partei –
und die ultranationalistische İyi Parti die militärische Aggression
gegen Afrin als nationales Gebot ausgerufen. Die Reihen waren
geschlossen.
Während von
Afrin nie eine terroristische Bedrohung für die Türkei ausging, hat
die von der nationalen Opposition heilig gesprochene Türkische Armee
im eroberten Afrin dort nun ein Pseudoemirat rivalisierender
islamistischer Milizen etabliert, inklusive Shariatribunale,
Niqabpflicht, Zwangskonversionen, brutaler Gangfehden und
Massenflucht. Eine Vorentscheidung für die Verfestigung des
faschistischen Präsidialregimes Erdoğans traf auch das deutsche
Auswärtige Amt als es zu Beginn des Jahres den Empfang von Mevlüt
Çavuşoğlu, dem Gesandten Erdoğans, als familiäre Versöhnung
inszenierte – just in dem Moment als in der Türkei die
Propagandamaschinerie gegenüber Afrin zu überhitzen drohte. Das
zivilisatorische Antlitz zu wahren, heißt heute bei den Deutschen
Vladimir Putin, Viktor Orbán, Hassan Rouhani und den jihadistischen
Eroberern von Afrin den Vortritt zu lassen, um dann Recep Tayyip
Erdoğan wenig später selbst zu gratulieren. Gratuliert haben auch
die Analysten internationaler Finanzinstitute. Man verspricht sich
vom Führer Kontinuität und Stabilität, das heißt: Grabesruhe.
Während
Muharrem İnce, die enttäuschte Hoffnung der laizistischen
Opposition, am Vortag des 24. Juni zu seinen in Millionen
mobilisierten Parteigängern in İstanbul sprach, wurden im
kurdischen Van, unweit zum Iran, die Freunde der kriminalisierten
Halkların Demokratik Partisi durch die Straßen geprügelt.
Tränengasschwaden hingen über der Stadt. Nach der demokratischen
Farce sicherte sich Muharrem İnce ab: Weder er noch seine Partei haben „Freiheit für
eine Person“ gefordert, gemeint war Selahattin Demirtaş, die
inhaftierte Galionsfigur der antinationalistischen Opposition. Wie in
Afrin feuerten in İstanbul die Freunde des faschistischen
Präsidialregimes blind in die Luft. Sie feierten nicht einzig ihren
Sieg – die Auszählung war längst noch nicht beendet. Sie
drohten einer Opposition, die ihren Sieg nicht anerkennt, mit
Massakern. Dass die türkische Opposition in dieser Atmosphäre nicht
zu Protesten aufrief, ist verständlich, doch sie hätte lange zuvor
Syrien als den Vorboten der aggressiven Racketisierung erkennen
müssen, die auch der eigenen Heimat droht.
Man mochte in
den vergangenen Tagen meinen, die Trümmeranhäufung der tagtäglichen
Katastrophen sei unaufhörlich, da erhoben sich aus dem Iran Rufe,
die die regressive Identifizierung mit der Kollektivbestie durchbrachen. Historisch erfolgte die nationale
Formierung in der Islamischen Republik über die Teilung der Gattung
in Gläubige und Ungläubige und in der antisemitischen
Identifikation von Korruption und Verderbtheit im „Großen und
kleinen Satan“, den Vereinigten Staaten von Amerika und Israel. Der
heiligste Staatszweck der Islamischen Republik ist die Vernichtung
Israels, ihr konkretes Mittel der militärische Vorstoß zur Levante.
„Tod Israel“ – das ist die Schnittmenge jeder Agitation im khomeinistischen Staat.
Und in diesen
Tagen schlägt es ihr in Teheran und anderswo im Iran erneut
entgegen: „Palästina, Syrien, das sind die Gründe unserer Misere“
(das heißt: die Finanzierung der Hamas und die aggressive
Stabilisierung des Regimes Bashar al-Assads), „Verlasst Syrien“,
„Nicht Gaza (Hamas), nicht der Libanon (Hezbollah), unser Leben für den Iran“ und „Unser Feind ist hier, es ist eine Lüge, wenn sie sagen, unser Feind ist Amerika“.
Denn es sind
nicht etwaige Sanktionen gegen die islamistischen Staatsrackets, die
die Versorgung der Iraner mit Medikamenten und ähnliches erschweren.
Es ist das mafiotische Akkumulationsregime der Khomeinisten selbst,
das vielen Iranern das Gröbste verweigert, sie von den
Wasserressourcen abschneidet, die rurale und städtische Peripherie
dem Elend überlässt, die Lohntüte durchfrisst, die nationale
Währung gänzlich entwertet. Die regimefeindlichen Iraner, die heute
die Straßen Teherans einnehmen, täuschen sich nicht darüber, dass
mit dem europäischen Iran-Business einzig die terroristische
Aggression nach außen forciert wird. Sie fordern unmissverständlich
in ihren Slogans den militärischen Abzug aus Syrien und ein Ende der
Finanzierung der libanesischen Hezbollah und der palästinensischen
Muslimbrüder der Hamas.
Ausgegangen
sind die jüngsten Proteste vom Teheraner Bazar. Große Teile des
Bazars standen im Jahr 1979 noch an den Barrikaden der „Islamischen
Revolution“. Das Modernisierungsregime von Mohammad Reza Pahlavi
mit seiner beschleunigten Industrialisierung drohte den tradierten
Status der Bazare zu zerstören. Doch auch in der Islamischen
Republik büßte der Bazar seine zuvor zentrale ökonomische Funktion
nach für nach ein. Seine Produkte werden heute von Billigimporten
aus China, Indien und Pakistan verdrängt. Fabriken sowie Export und
Import sind längst unter Kontrolle der militaristischen
Revolutionsgarde, dem wesentlichen Akteur eines islamomafiotischen
Akkumulationsregimes. Dem noch andauernden Streik der Teheraner
Bazaris schlossen sich nicht nur die Bazare in Shiraz, Kermanshah und
anderswo an, auch viele andere Iraner nahmen die Gelegenheit wahr,
die Massenproteste zu Beginn des Jahres wieder zu
beleben.
Die Wochen
zuvor protestierten in Ahvaz Stahlarbeiter unter Slogans wie „Sie
zahlen die Löhne nicht und rufen Tod für Amerika, aber unser Feind
ist hier“. Hieß es bei Imam Khomeini noch „Streik ist eine
Sünde“ – die konspirativen Streikkomitees des
Industrieproletariats aus den Revolutionsjahren wurden ab dem Juli
1981 durch Massenhinrichtungen gänzlich zerschlagen –, streiken im
Iran tagelang ganze Schlüsselindustrien, wie zuletzt die
Transporteure. Das ideologische Elend der Islamischen Republik –
anders als in der Türkei – ist nicht mehr zu kaschieren. Am
al-Quds-Tag, an dem der Bluthund Khomeini im Jahr 1979 ausrief, es
werde alsbald nur noch eine einzige Partei existieren: die „Partei
Allahs“ (Hezbollah), erfolgte auch in diesem Jahr die
Orchestrierung nach klassischem Muster: Die Mullahs marschierten in
traditioneller Robe, davor oder dahinter invalide Veteranen, dann das
Gros aus mit Brotkrümeln Korrumpierten, zwangsverpflichteten Beamten
mit ihren Familien und Milizionären der „Revolutionswächter“,
der Hezbollah und Basiji. Doch selbst das Bildmaterial der
Regimeagenturen aus Missiles-Attrappen, Scheinhinrichtungen und in
Flammen aufgehenden Judenpuppen konnte nicht über die repressive
Kümmerlichkeit der „Mobilisierung“ täuschen. Passanten machten
sich über die erbärmlichen Häufchen, die den motorisierten
Einpeitschern hinterhertrotteten, lächerlich. Andere konterten den
staatstragenden Slogan „Tod Israel“ lachend mit der
Verächtlichmachung eines Propheten: „Tod Ismael“.
Freiheit
für Ramin Hossein Panahi
Die Slogans
der Stunde sind unmissverständlich: „Nieder mit dem Vilayat-eFaqih“, der Befehlsgewalt des (Obersten) Rechtsgelehrten Ali
Khamenei bis zum Austritt des okkulten zwölften Imams aus der
Verborgenheit. Und: „Wir wollen kein Regime der Akhundha“ (Akhund
ist der persische Name für einen Kleriker). Sadeq Larijani,
Bandenführer der iranischen Justiz, drohte jüngst den
Protestierenden mit der Todesstrafe. Lassen wir sie nicht allein.
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