„Es ist ein
historischer Tag“, umschrieb Frank-Walter Steinmeier mit dem 14.
Juli 2015 jenen Tag, an dem die iranische Erpressung – Reduzierung
der Urananreicherung gegen Business – auf Vertragspapier zur
Geltung gebracht wurde. Als „historisch“ würdigten auch sein
iranischer Amtskollege Mohammad Javad Zarif sowie die Funktionäre
deutscher Industrieverbände den Tag. Von Ungeduld getrieben – die
Ratifizierung dieser „historischen Einigung“ stand noch aus –
reiste weniger als eine Woche später eine deutsche Delegation aus
Politik und Industrie unter ministerialer Führung in den Iran. Die
deutschen Gäste spekulierten auf ein rasant zu steigerndes
Auftragsvolumen für die eigene Industrie, den Iranern dagegen trugen
sie einen speziellen Auftrag zu: „Stabilisierungsfaktor in der
Region“ zu werden. Im folgenden Jahr beehrte eine 120-köpfige
Delegation der deutschen Industrie den Iran. Unter den Teilnehmern
war auch die Karl Kolb GmbH & Co. KG. Der traditionsbewusste
Mittelstand aus der hessischen Provinz akkumulierte über die Jahre
eine herausragende Expertise in der Region. Unweit von Samarra im
Zentralirak verhalf Karl Kolb über eine seiner Töchter in den
1980er Jahren dem Baʿth-Regime Saddam Husseins zu Labortechnik „Made
in Germany“. Entlang des „Sauerkraut Boulevards“, wie
Inspekteure der „Vereinten Nationen“ die Hauptstraße durch den
irakischen Muthana-Industriekomplex aufgrund der unzähligen
involvierten deutschen Ingenieure und Unternehmensvertreter nannten,
wurden Tonnen von tödlichen Gasen produziert. Allein im kurdischen
Halabja wurden am 16. März 1988 bis zu 5.000 Abtrünnige vergast.
Der Iran war
in den 1970er Jahren nach den Vereinigten Staaten von Amerika der
zweitgrößte Absatzmarkt für deutsche Produkte außerhalb Europas.
Das allein kitzelt die Nostalgie deutscher Todeskrämer. Doch der
khomeinistische Iran verfolgt – anders noch als das autoritäre
Modernisierungsregime von Mohammad Reza Pahlavi – weniger die
Erneuerung seiner maroden Infrastruktur und das technologische
Upgrade seiner ruinösen Industrie. Sein Interesse an der
„historischen Einigung“ liegt vielmehr darin, über die
Wiedererlangung der zuvor eingefrorenen außerhalb des Irans
liegenden Vermögenswerte sowie über den Absatz seines schwarzen
Goldes den aggressiven Vorstoß an der Levante, im Irak und Jemen zu
finanzieren.
Was die
deutschen Charaktermasken aus Politik und Industrie schamlos
„Investitionen“ in den Frieden nennen, ist dem faschistischen
Souverän zuallererst die Finanzierungsgarantie für seine Tod
bringende Expansion. Allein die Infiltrierung Syriens verschlingt
Jahr für Jahr mehr als 15 Milliarden Dollar. Wer im Verbund mit dem
Staatspräsidenten Hassan Rouhani in der Sanktionierung etwa der
Finanzintermediäre der berüchtigten Saraya al-Quds, der
„Jerusalem-Brigade“ der Revolutionswächter, sowie der
libanesischen Hezbollah einen „historischen Fehler“ sieht, der
favorisiert die khomeinistische Gewaltordnung über Syrien, den Irak
und Jemen. Denn es sind nicht etwaige Sanktionen gegen die
islamistischen Staatsrackets, die die Versorgung der Iraner mit
Medikamenten und ähnliches erschweren. Es ist das mafiotische
Akkumulationsregime der Khomeinisten selbst, das nur zu vielen
Iranern das Gröbste verweigert, sie von den Wasserressourcen
abschneidet, die rurale Peripherie dem Elend überlässt, die
Lohntüte durchfrisst.
In diesen
Tagen wird der Erhalt einer Despotie, deren heiligster Staatszweck
die Annihilation Israels und deren konkretes Mittel der militärische
Vorstoß zur Levante ist, zum schicksalshaften Auftrag
deutsch-europäischer Friedenspolitik gemacht. Die „geschlossene
Front“ der Kollaborateure mit dem khomeinistischen Iran, die der
Ratspräsident der Europäischen Union Donald Tusk in diesen Tagen
ausgerufen hat, ist vor allem ein Affront gegen die Menschen im Iran
selbst. Das deutsche Auswärtige Amt hatte sich zu Beginn des Jahres
solange über die überregionalen Massenproteste im Iran
ausgeschwiegen, wie es nur möglich war. Als die Grabesruhe im Iran
wieder zu herrschen schien, luden die Europäer Mohammad Javad Zarif,
den Gesandten des Obersten Revolutionsführers, zum demonstrativen
Schulterschluss nach Brüssel.
Doch die
Proteste dauern nicht nur – in unterschiedlicher Intensität –
bis heute an, sie blamieren auch gnadenlos die Lüge der europäischen
Kollaborateure: dass das Business mit der khomeinistischen Despotie
seine Friedhofsdividende auch über die Iraner ausschüttet. Die
regimefeindlichen Iraner, die Ende des vergangenen Jahres die
Grabesruhe durchbrochen haben, täuschen sich nicht darüber, dass
mit ihr einzig die terroristische Aggression nach außen forciert
wird. Sie fordern folglich den militärischen Abzug aus Syrien und
ein Ende der Finanzierung der libanesischen Hezbollah und der
palästinensischen Muslimbrüder der Hamas.
Der iranische
Staatspräsident Hassan Rouhani sprach jüngst in Neyshabur (in der
als konservativ geltenden Provinz Razavi Khorasan) über die
„historische Reue“, die den US-Amerikanern droht, wenn sie die
Beschwichtungspolitik der Europäer gegenüber dem Iran nicht mehr
mittragen. Und von den „Zuhörern“ schlug es ihm entgegen:
„Telegram, Telegram“. Der Messengerdienst
Telegram wurde kürzlich auf Geheiß des Obersten Führers Ali
Khamenei komplett gesperrt. Das Regime hat inzwischen mit „Soroush“
eine eigene Kommunikations-App, die als Emojis demütig verhüllte
Frauen aufbietet, die Porträts vom Obersten Führer halten oder
notorische Slogans wie „Tod Israel“ präsentieren. Während über
40 Millionen Iraner auf das kriminalisierte Telegram vertrauen, sind
es bei der propagierten Regime-App Soroush nur 5 Millionen.
In Kazerun,
in der südlichen Provinz Fars liegend, wird seit einigen Wochen
wieder und wieder protestiert. Am 20. April wurde unter dem Slogan
„Unser Feind ist hier, es ist eine Lüge, wenn Sie sagen, unser
Feind ist Amerika“ die wöchentliche Khutbah-Predigt, die in der
„Islamischen Republik“ die zentrale Institution der Agitation
ist, verunmöglicht. Vor wenigen Tagen riefen die Protestierenden in
Kazerun den Slogan „Ihr steht zu Gaza, aber uns verratet ihr“.
Die Regimeschergen konterten mit gegossenem Blei, mehrere
Protestierende wurden getötet. Seitdem haben sich die Proteste in
Kazerun radikalisiert. Die Straße zur Moschee, wo die wöchentliche
Khutbah-Predigt gehalten wird, ist abgeriegelt aus der Furcht,
Protestierende könnten diese wie vor einigen Wochen kapern. Eine
Filiale der mit den Pasdaran assoziierten Mehr Bank sowie
Polizeistationen brannten nieder. Einer der Slogans, die gerufen
werden, meint unmissverständlich das Ende der Islamischen Republik:
„Nieder mit dem Vilayat-e Faqih“, der Befehlsgewalt des
(Obersten) Rechtsgelehrten bis zum Austritt des okkulten zwölften
Imams aus der Verborgenheit.
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