Eine
Flugschrift aus gegebenem Anlass
„Wir
werden es nicht zulassen, dass wie früher nur gewisse kleine Kreise
den Profit der Arbeit anderer haben“, versprach Robert Ley,
Organisator der NS-faschistischen Deutschen Arbeitsfront, im Jahr
1935 den Volksgenossen. Dass die Arbeit einen Sinn hat, wo sie doch
nur die unmittelbarste Verwertungsagentur des Kapitals ist, dass sie
einen „ethischen und seelischen Wert“ erhält, wo sie doch ein
Zwang ist, dass aus ihr „ein Ideal“ entsprießt, eine „Ehre der
Arbeit“ und aus dieser „eine gemeinsame Auffassung von Volk und
Nation“, und dass dies alles gegen das „gewisse“ parasitäre
ein Prozent erwehrt wird, blieb nicht nur ein feuchter Traum eines
faschistischen Karrieristen wie Robert Ley: es eskalierte in der
Vernichtung durch Arbeit.
Der Wahn
endete nicht mit dem 8. Mai 1945 und der Zwangspazifisierung der
Deutschen. Dass er bis heute Staats- und Volksauftrag der
postnazistischen Charaktermasken des Kapitals ist, verrät sich auch
in der jüngsten Krise. So ist auch die deutsche Variante der „Occupy
Wall Street“-Bewegung nur ein weiterer Ausdruck des deutschen
Arbeitswahns. Und so falsch liegen die hiesigen „99 %“ nicht,
wenn sie sich als die 99 Prozent der Deutschen brüsten. Um nur zwei
der Namhafteren unter den letzteren zu nennen: Die Produktivbestie
Hans-Ulrich Jörges, die bei anderer Gelegenheit das Kalkül des
Staates, die mit ihm identifizierten Überschüssigen nicht dem
Hunger zu überlassen, eine „wahre Honigroute zum Kommunismus“
nannte, ruft nun auf, der die „Realwirtschaft (zer-)störenden
Spekulation muss das Kreuz gebrochen werden“. Und Johannes
Singhammer, ein Mann aus der Politik, stimuliert das nationale
Gedächtnis. Zu erinnern sei, wie nach dem 8. Mai 1945 die Deutschen
sich von „tiefster Zerstörung und menschlicher Erniedrigung“
befreiten: mit „ehrlicher Arbeit“. Ein knochenbrechender
Malthusianismus, nach dem nur wer arbeitet ein Existenzrecht habe,
und die Mystifikation einer Schicksalsgemeinschaft der nationalen
Arbeit – auch das sind die 99 Prozent.
Was den
Deutschen eine Mission ist und im Worst Case ein Mandat zum Pogrom,
die produktive oder eben „ehrliche“ Arbeit, ist dem
materialistischen Kritiker Marx nur „ein Pech“, unmittelbares
Verwertungsmittel des Kapitals, gewesen (MEW 23, S. 532). Die
Spaltung der kapitalen Totalität in Produktions- und
Zirkulationssphäre aber ist die Basisideologie der kapitalisierten
Gattung – nicht nur des germanisierten Teils –; sie ist die
ideologische Reproduktion des Kapitalverhältnisses im Medium seines
ureigenen Fetischismus.
Das Geld ist
den Individuen der materielle Repräsentant einer Abstraktion, die
sie Tag für Tag bewältigen ohne ein Bewusstsein von ihr zu haben.
Dass die sinnlich so verschiedenen Dinge des Lebens einen Wert haben,
dass die Dinge unter den einheitlichen Charakter der Ware gezwungen
sind, ist ihnen zur zweiten Natur geworden. Der einzelne Mensch als
„Eigentümer bloßer Arbeitskraft“ (MEW 23, S. 892) ist
gezwungen, die Arbeitskraft gegenüber seiner Individualität zu
objektivieren und sie als die ihm einzig eigene Ware zu vermarkten.
Im Tausch
wird vom konkreten Gebrauchswert der Produkte abstrahiert, indem man
die Waren als Werte identisch setzt, das heißt: sie werden gegen
Geld, das die Äquivalentform zu allen anderen Waren annehmt,
getauscht. So wird aber von der Eigenheit der einzelnen
Arbeitstätigkeit abgesehen: „Sie wissen es nicht, aber sie tun
es“, heißt es bei Marx von den Exemplaren der kapitalisierten
Gattung, die im Tausch von der konkreten Arbeit abstrahieren, indem
sie die Produkte ihrer Anstrengung als Waren, also Werte gleichsetzen
(MEW 23, S. 88). Wie die Waren als Werte qualitativ gleich sind, so
sind es auch die verschiedenen konkreten Arbeiten, die in der
Warenproduktion angewandt werden: als abstrakte Arbeit.
Der Wert
existiert nur durch das soziale Verhältnis der Menschen zueinander,
das aber nur das Selbstverhältnis des Kapitals ist, weil die
Selbstverwertung des Werts mit der Selbsterhaltung der in die
Subjektform gebannten Individuen (1) identisch zu sein scheint. Er
existiert nur in den Denkformen, die den Direktiven seiner Verwertung
gehorchen und so sich objektivieren. So wird er real ohne konkret zu
werden: er ist eine Realabstraktion. Und real ist das Abstrakte des
Kapitalverhältnisses nur darin, dass es den Menschen zum stummen
Zwang wird, dass es sie zu existieren, zu überleben erst berechtigt:
Wer nicht arbeitet, der frisst auch nicht.
Der
kapitalisierten Gattung ist die bewusstlos getätigte Realabstraktion
des selbstzweckhaften und den Fetischismus beseelenden Arbeitens die
Bedingung ihrer Existenz: der Tribut an den stummen Zwang. In der
(nicht nur deutschen) Ideologie wird dieser Zwang als „ehrliche“
Arbeit vor sich selbst verschleiert.
Das Geld,
womit die Produktivbestien sich konfrontiert fühlen, ist nur die
„unmittelbare Existenzform“ der abstrakten Arbeit (MEW 13, S.
42). Doch die kapitalisierte Gattung verliert davon jede Spur: Die
„vermittelnde Bewegung“, in der die Ware Geld die Äquivalentform
zu allen anderen Waren annehmt und so erst zu Geld und alsdann zu dem
Gott unter den Waren wird, verschwindet „in ihrem eigenen
Resultat“; es reflektiert sich den Warenhüter nun mehr als „die
Magie des Geldes“ (MEW 23, S. 107). Geld und Kapital sind zwar
nichts anderes als akkumulierte Waren in abstrakter Form, doch in
diesen Formen spuken die Produkte vernutzter, also verstorbener
Arbeitskraft als vollends eigenlebige, „automatische Subjekte“
(ebd., S. 169).
Die
nicht-bewusste Form der Abstraktion, die die Warenhüter tätigen,
wird ihnen erst in der Geldform in verkehrter und verkehrender, also
fetischistischer Form bewusst. „Das Geld ist das real Abstrakte zum
Anfassen, es enthält als einzige Bestimmung alle anderen Waren, nur
keinen ihrer Gebrauchswerte.“ (2) Das Kapital in seiner
mystifiziertesten Form: „der sich selbst verwertende Wert, Geld
heckendes Geld“, trägt schließlich „keine Narben“ seiner
Genese mehr (MEW 25, S. 405); viel mehr: es ist als hätte es sich
von seiner eigenen Genese vollends emanzipiert. Nichts erinnert die
Warenhüter noch daran, dass es die produktive Arbeit ist, die die
Substanz der gespenstischen Existenz des Werts ist. Die rätselhafte
Metamorphose von Geld in mehr Geld schwebt über den Warenhütern als
„eine prozessierende, sich selbst bewegende Substanz“ (MEW 23.,
S. 169), wo sie doch in Wahrheit das Resultat kapitalproduktiver
Arbeit ist. Die dinglichen Objekte, also Ware, Geld und Kapital,
transformieren zu übermächtigen Subjekten und die in die
Subjektform gebannten Individuen zu ohnmächtigen Objekten. Diese
Verkehrung wird von den Menschen Tag für Tag authentifiziert: „indem
es das Kapital ist, was da in ihnen denkt, hat es sich selbst
reproduziert.“ (3)
Nicht nur,
dass die „99 %“ den Fetischismus des Kapitalverhältnisses
reproduzieren, indem sie dieses ideologisch spalten, um in der
Zirkulationssphäre die Dämonen der Krise zu exorzieren; nicht nur,
dass sie sich über das Unglück in der Produktion ausschweigen und
an den politischen Souverän appellieren, das Geld müsse
regionalisiert oder vom Zins befreit werden, damit es die Produktion
als unser Schicksal nicht sabotiere; nicht nur also, dass ihnen das
falsche Ganze das einzig Richtige ist, das nur von der Magie des
Geldes oder doch nur von den Charaktermasken des fiktiven Kapitals zu
befreien sei – nein, ihr ganzes Spektakel ist doch darauf
herunterzubrechen, dass sie sich der Idiotie hingeben, ein
Charakterdefekt wie „Gier“ sei der Systemfehler. Die Camper –
eine deutsche Comedyserie zur Krise.
Die
kapitalisierte Gattung, nicht nur die „99 %“, ist beherrscht vom
Äquivalenzprinzip und wo sie aufbegehrt, tut sie es in seinem Namen.
Und wo man sich noch fragt, was sie auch anderes tun könne in einem
Verhältnis, in dem nur noch zu hoffen ist, einen „gerechten Preis“
gezahlt zu bekommen, eskaliert ihre Wut im Verschwörungsdenken.
Nicht nur, dass die „99 %“ blind sind für die antisemitische und
wie derzeit in Tschechien und Ungarn antiziganistische Mobilisierung
im Namen der „ehrlichen“ Arbeit, inszenieren sie sich als
Avantgarde der realen 99 Prozent, als, zum Teil mit dem NS-Jargon
versierte, Stichwortgeber. Kritik von Herrschaft heißt aber mit dem
Konsens der kapitalisierten Gattung zu brechen – und dies vor allem
auch im Interesse einer revolutionären Aufhebung der Getrenntheit.
Und es ist die kapitalproduktive Arbeit – also die Kollektivehre
der Deutschen, Ungaren, etc. –, die die Geldform und die weiteren
verrückten Formen der Verwertung des Werts lostritt.
(Wahrlich
sind die Vertracktheiten und theologischen Mucken des
Kapitalverhältnisses mit seiner okkulten Qualität dann doch besser
im Marxschen Original nachzulesen.)
Das Kapital,
soviel wissen wir nun, muss sich unentwegt verwerten, das ist der
zentrale Herrschaftsimperativ dieses totalitären Verhältnisses.
Doch die Verwertung des Werts stößt dabei auf strukturelle
Schranken. Die Einzelkapitalien sind zur Produktivitätssteigerung
und somit zur technischen Rationalisierung des Vernutzungsprozesses
von lebendiger Arbeitskraft gezwungen, um in der Konkurrenz nicht zu
verlieren. Doch eben jene technische Rationalisierung spuckt noch
mehr Massen an Arbeitskräften aus, die nun nicht mehr zur
kapitalproduktiven Funktionalisierung eingesaugt, sondern
verüberflüssigt werden. Die Mikroelektronik sowie die Informations-
und Telekommunikationstechnologien revolutionierten die
Produktivkräfte, scheiterten aber als Basistechnologien eines neuen
Arbeitskraft einsaugenden Akkumulationsregimes – und so viele
iPhones können von chinesischen Kulis nicht zusammengeschraubt
werden, um darüber hinwegzutäuschen. Das Kapital, gezwungen sich zu
verwerten, flüchtet in Spekulation und Kredit, also ins fiktive
Kapital, in dem eine ‚ewige’ Akkumulation des Kapitals stimuliert
wird – bis eben die spekulativen Blasen zu platzen beginnen.
(Ohne
Zweifel ist dies schlecht verkürzt, lest es doch
bitte woandersnach.)
Die tätige
Unvernunft ist doch, dass die Revolutionierung der Produktivkräfte
es ermöglicht, die Arbeit für alle Menschen auf ein Minimum zu
reduzieren, aber sie doch nur Massen an unwertem Material auf Halde
entlädt, also dem Hunger aushändigt. Nicht nur, dass kaum einer es
wagt, ein Leben ohne Arbeit und Zwang zu denken, viel mehr trauert
man im Kollektiv der 99 Prozent der fordistischen Produktionsdespotie
nach, diesem „wissenschaftlichen System zur Schweißauspressung“
(Lenin), das nicht zufällig nach einem Autor antisemitischer
Pamphlete benannt wurde. Und nicht nur, dass die halbe Gattung
verüberflüssigt ist, gebietet Arbeit auch dort, wo keine
kapitalproduktive Funktion einzunehmen ist, herrisch über die
Menschen: als Hunger oder eben als zwangsverordnete Arbeit, die, ohne
die Möglichkeit kapitalproduktiv zu sein, sich ungeniert als
Selbstzweck entblößt.
An
dem schlanken Faschismus des ungarischen Krisenregimes erfährt man,
wo es endet, wenn ein „Pfad der Arbeit“ wider die Spekulation
eingeschlagen wird: Der „Ungarische Arbeitsplan“ droht vor allen
anderen den vom ersten Arbeitsmarkt rassistisch ausgegrenzten und als
„parasitär“ denunzierten Roma mit Zwangsarbeit und Kasernierung.
Viktor Orbán, ungarischer Ministerpräsident, konkretisiert:
Nicht mittels „den Technologien des 21. Jahrhunderts“, sondern
„mit der Hand“ werden die von Staats wegen verordneten Arbeiten
zu erledigen sein. Und so wird auch noch die Möglichkeit der
technischen Revolution, aufreibende Arbeit zu erleichtern, kassiert,
um an den Überschüssigen zu demonstrieren: Arbeit ist unser
Schicksal und die Menschen nur eine Funktion.
„Erbitte
Gottes Segen für deine Arbeit - aber erwarte nicht, dass
er sie auch noch tut“. In diesen Worten eines ausgedienten
deutschen Politikers und Autoren moralisierender
Bedienungsanleitungen für das variable Kapital (mit Titeln wie
„Ehrliche Arbeit…“) verrät sich das ganze Verhängnis der
kapitalisierten Gattung: Vor dem unbarmherzigsten Gott unter den
Göttern, das Kapital mit seinem Propheten: dem Geld, verbeugen wir
uns seine Strafe fürchtend und zugleich auf seinen Segen hoffend:
die ‚geglückte’ Verwertung. Unser Opfer ist die Arbeit, Glück
ohne Opfer dagegen ist uns nur zu verdächtigt, denn unser Schicksal
ist die Herrschaft in Produktion.
(1) „Unter
der Form des Subjekts tastet sich das Individuum beständig darauf
ab, ob seine Stofflichkeit der Funktionalisierung genügt. Es
beargwöhnt sich als ungenügend und mangelhaft. Sein
Selbstbewußtsein ist Selbstmisstrauen, sein Selbstgefühl das der
‚Minderwertigkeit’ und Überflüssigkeit im Angesicht des Werts.
Diese Angst zuzulassen, das hieße, dem Nichts sich zu konfrontieren,
der totalen Entwertung.“ Joachim Bruhn: Was ist deutsch. Zur
kritischen Theorie der Nation, ça ira Verlag 1994, S. 149.
(2) Gerhard
Scheit: Quälbarer Leib. Kritik der Gesellschaft nach Adorno, ça ira
Verlag 2011, S. 44.
(3) Joachim
Bruhn: Karl Marx und der Materialismus, in: Bahamas 33/2000.